Black Friday in den USA: Prügeln um Rabatte

Die Augen von DeAndre Johnson sehen in diesem Moment aus wie die des Säbelzahneichhörnchens Scrat aus dem Film "Ice Age". Besser: Scrat, wenn es eine Eichel findet. Johnson hält keine Nussfrucht in seinen Händen, sondern Zubehör für eine Videospielkonsole. Er ist 1,95 Meter groß und 225 Kilogramm wuchtig, weshalb er eher wie ein Grizzlybär wirkt denn wie ein prähistorisches Eichhörnchen. Er hat zwei Frauen mit einem Grunzen verscheucht und einen ihm körperlich ebenbürtigen Mann mit der Einladung zum Faustkampf. Bei einer jungen Frau mit Tränen in den Augen zieht er seine wichtigste Karte: "Ich bin sauarm, Lady! Das Ding hier ist meine einzige Chance auf ein friedliches Weihnachten."

Es ist Donnerstagabend, die Amerikaner feiern an diesem Tag Thanksgiving. Im Fernsehen läuft den ganzen Tag über Football, zum Abendessen gibt es Truthahn und Kartoffelpüree - vor allem aber gibt es gewaltige Rabatte. Eigentlich erst einen Tag später, am sogenannten Black Friday, doch die Filiale der Supermarktkette Walmart im Süden von Los Angeles ruft bereits am Vorabend ständig neue Sonderangebote aus.

Von 18 Uhr an ist dieses Computerspiel für Kinder billiger zu haben: 37 statt 75 Dollar - Johnson stand dafür seit elf Stunden vor der Tür. Um 20 Uhr gibt es einen Fernseher für 648 statt 998 Dollar und einen Whirlpool für 299 statt 500 Dollar. Auch hier will Johnson zuschlagen. Nicht, weil er es braucht. Weil er es haben will - und es sich nur an diesem Tag leisten kann.

Wer hat den moralischen Vortritt?

Black Friday in den USA: Prügeln um Rabatte

Die Menschen schubsen, stoßen, schlagen. Sie brüllen und keifen und zetern, hin und wieder weint jemand. Bei Twitter gibt es dafür sogar den Hashtag #walmartfight. Die Kunden diskutieren permanent, doch geht es nur selten darum, wer zuerst da war. Es geht bei dem Wettstreit darum, wer die ärmste Sau ist in diesem Laden und damit den moralischen Vortritt hat. Das Thanksgiving-Wochenende von Donnerstag bis Montag (Cyber Monday) steht längst nicht mehr für eine gemütliche Zeit. Es sind Tage des Konsumwahns und vor allem am Donnerstag ein Symbol für die Ungleichheit in diesem Land.

"Es gibt Menschen, die auf diese Sonderangebote dringend angewiesen sind. Sie sind bereit, am Feiertag stundenlang in einer Schlange zu stehen und sich womöglich auch zu prügeln", sagt Britt Beemer vom Marktforschungsunternehmen America's Research Group. Laut einer Prognose der National Retail Federation haben in diesem Jahr mehr als 70 Prozent der Menschen, die am Donnerstagabend einkaufen, in ihrem Haushalt ein Jahreseinkommen von weniger als 50 000 Dollar. Wer arm ist, der opfert den Feiertag der Schnäppchenjagd.

Vor einigen Jahren öffneten die Geschäfte am Freitagmorgen, dann um Mitternacht - mittlerweile beginnen Unternehmen wie Walmart, Kmart und Sears am Vorabend um 18 Uhr mit der Schlacht um die Rabatte. Amerikanische Haushalte geben durchschnittlich knapp 700 Dollar an diesem Wochenende aus. Damit die Geschäfte geöffnet sein können, müssen allerdings auch viele Menschen am Feiertag arbeiten. Walmart etwa benötigt allein am Donnerstag mehr als 500 000 Arbeitskräfte. Auch dabei tun sich gewaltige Unterschiede auf: In Haushalten mit einem Jahreseinkommen von mehr als 80 000 Dollar pro Jahr müssen nur acht Prozent der Menschen an Thanksgiving arbeiten - bei Haushalten mit einem Verdienst von weniger als 40 000 Dollar sind es mehr als 30 Prozent.

"Ich würde jetzt auch lieber daheim sitzen, aber es geht nicht"

So ist das auch bei den Johnsons: DeAndre verdient mit seinen beiden Jobs (Bauarbeiter und Nachtwächter) etwa 28 000 Dollar brutto im Jahr. Seine Ehefrau Lauren steuert 13 000 Dollar bei - sie arbeitet an Thanksgiving beim Elektrohändler Best Buy, weil ihr Stundenlohn an diesem Tag um 50 Prozent angehoben wird. Die drei Kinder sind bei Johnsons Mutter, die ihn per Handy über neue Sonderangebote informiert - es gibt keinen Truthahn, kein Bier, kein Football. Es gibt mehr Gehalt für die Mama und Rabatte für Papa. "Ich würde jetzt auch lieber daheim sitzen, aber es geht nicht", sagt Johnson. Dann stürmt er zu Schlafanzügen, die um 60 Prozent reduziert sind.

Es gilt als Luxus für Unternehmen wie den Buchhändler Barnes & Noble, das Sportgeschäft Big 5 oder den Heimwerkershop Lowe's, ihre Filialen erst am Freitag wieder zu öffnen. Und es gilt als Luxus, an diesem Tag nicht einkaufen zu gehen. Thanksgiving, das verdeutlichen die Statistiken und auch der Eindruck in dieser Walmart-Filiale in Los Angeles, ist nur ein Feiertag für jene, die sich das leisten können. Alle anderen müssen entweder Geld verdienen oder Geld sparen.

Johnson hat um 20 Uhr seine Einkaufsliste abgearbeitet, draußen warten bereits mehr als 800 Menschen, zur nächsten Rabattschicht in den Laden gelassen zu werden. Er bezahlt insgesamt 1152 Dollar. "Mehr als 950 Dollar gespart", sagt er. Das wichtigste Produkt ist dieses Spiel, ein Weihnachtsgeschenk für alle Kinder. Er hat geduldig gewartet, schnell zugegriffen und danach heldenhaft verteidigt. Aber hätte er sich auch dafür geprügelt? "Ich hätte dafür getötet", sagt er. Sein Blick wirkt so, als würde er das tatsächlich ernst meinen.