Woher kommen Coronavirus-Pandemien? : Wenn ein Schuppentier plötzlich die ganze Welt ins Chaos stürzt

Matthias Glaubrecht ist Evolutionsbiologe und Professor für Biodiversität der Tiere an der Universität in Hamburg.Woher kommen Coronavirus-Pandemien? : Wenn ein Schuppentier plötzlich die ganze Welt ins Chaos stürzt

Sie haben jüngst zweifelhafte Berühmtheit erlangt: Schuppentiere, auch Pangoline genannt. Denn die mit Katzen und Mardern entfernt verwandten Säugetiere könnten die lang gesuchten Zwischenwirte des neuartigen Coronavirus sein.

Dafür - und damit auch massiv gegen die Idee, dass das Virus aus einem Labor in Wuhan stammt, sprechen jedenfalls die derzeit verfügbaren wissenschaftlichen Daten. Zwar ist das für einen direkten Nachweis nötige Material von jenem Tiermarkt, auf dem das Virus wohl auf Menschen übersprang, von den chinesischen Behörden vernichtet worden. Dass so die wahre Quelle vertuscht werden sollte, ist wenig plausibel; eher wird es eine panische Tabula-Rasa-Aktion gewesen sein, mit dem Ziel möglichst alles infektiöse Material zu vernichten.

Plausibel dagegen sind die wissenschaftlichen Daten, die auf jene seltsamen, urtümlich wirkenden Säugetiere hinweisen. Zwar kennen selbst Zoologen die mit acht Arten in Asien und Afrika beheimateten Insektenfresser kaum, die sich vor allem von Ameisen und Termiten ernähren.

So viel aber ist sicher: Die vom Aussterben bedrohten Schuppentiere werden seit Jahren derart massiv gewildert, dass sie der Internationalen Weltnaturschutzorganisation IUCN neuerdings als die am meisten gehandelten Wildtiere gelten.

Schmugglerpfad führt über Deutschland nach China

Schätzungsweise bis zu hunderttausend Pangoline dürften jährlich so zu Tode kommen. Über die letzten Jahre könnten es laut Angaben des WWF insgesamt sogar mehr als zwei Millionen dieser Tiere gewesen sein.

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Ein nicht unerheblicher Teil davon stammt aus Westafrika, vor allem aus Nigeria. Und laut einer Ende 2019 in „Global Ecology and Conservation“ publizierten Studie führt einer der Schmugglerpfade direkt per Luftfracht über Deutschland nach China.

Pangoline stehen seit längerem unter Schutz. Und zuletzt wurde 2016 durch die CITES (Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora) auch das internationale Verbot nochmals verschärft, mit ihnen oder ihren Teilen zu handeln. Geholfen hat auch dies indes den Schuppentieren nicht.

Denn vor allem in China gilt ihr Fleisch als Delikatesse und ihre Schuppen werden in der so genannten “Traditionellen Chinesischen Medizin” als Heilmittel angesehen. Wissenschaftlich nachweisen lassen sich die angeblichen Wirkungen, zu denen wie so oft auch Potenzsteigerung gehört, nicht. Denn die Hornschuppen bestehen wie unsere Finger- und Fußnägel vor allem aus Keratin.

Nach allem, was wir heute wissen, begann die jüngste Pandemie offenbar bereits im November 2019 auf dem Huanan Seafood Market in der zentralchinesischen Millionenstadt Wuhan. Hier sprang der Erreger von einem Wildtier auf den Menschen über.

Dutzende Arten exotischer Wildtiere zum Verkauf

Immerhin hatte von einhundert Infizierten, bei denen die Lungenkrankheit, die inzwischen Covid-19 heißt und im Dezember erstmals bemerkt wurde, die Hälfte intensiven Kontakt zu diesem Markt gehabt, als Wildtierhändler oder Marktmanager.

Wie auf vielen asiatischen Märkten wurden dort – unter oft abenteuerlichen hygienischen Bedingungen – neben Fisch und Meeresfrüchten auch Dutzende Arten exotischer Wildtiere zum Verkauf angeboten. Dicht gedrängt waren Schlangen und Schildkröten, Nagetiere und allerlei Katzenverwandte bis hin zu Vögeln lebend in Käfige gepfercht, während nebenan frisch geschlachtete Tiere zum Verzehr zerlegt wurden. Von einem oder einigen dieser Tiere könnte der Erreger auf Menschen übergesprungen sein.

Der Fischmarkt in Wuhan. Hier, so glauben Experten, begann die Coronavirus-Pandemie

Foto: imago images/Kyodo News

Ob allerdings tatsächlich von einem Pangolin, ist nicht gesichert. Als chinesische Behörden den Markt in Wuhan im Januar schlossen, wurden die dort zum Verkauf angebotenen Waren und Wildtiere vernichtet – und damit auch jene Spuren, die es Virologen ermöglicht hätten, die ursprüngliche Infektionskette vom Tier zum Menschen vor Ort zu verfolgen.

Immerhin: Laut einer Ende März veröffentlichten Studie in „Nature“ haben Virologen um Yi Guan von der Universität Hongkong sehr ähnliche Erbgutsequenzen des jüngsten pandemischen Coranavirus bei Malaiischen Schuppentieren (Manis javanica) identifiziert, die nach Südchina geschmuggelt worden waren.

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Im Gewebe der eingefrorenen Tiere, die bereits zwischen August 2017 und Januar 2018 in den Provinzen Guangxi und Guangdong beschlagnahmt worden waren, fanden sich sogar gleich zwei unabhängige Linien mit unterschiedlich starker Übereinstimmung zum derzeit Menschen befallenden Sars-CoV-2. Diese lag meist zwischen 86 bis 92 Prozent, im Falle eines der 18 untersuchten Tiere aber waren es sogar 99 Prozent.

In Südostasien zirkulieren unterschiedliche Varianten von Coronaviren

Pangoline sind damit derzeit der wahrscheinlichste Zwischenwirt. Sie, gehandelt auf einem Markt für lebende Tiere, sind so auch die plausibelste Quelle der Pandemie - viel plausibler als eine Kühltruhe in einem virologischen Institut jedenfalls.Woher kommen Coronavirus-Pandemien? : Wenn ein Schuppentier plötzlich die ganze Welt ins Chaos stürzt

In Südostasien zirkulieren in tierischen Reservoirs offenbar unterschiedliche Varianten von Coronaviren. Zuvor hatten Forscher Anfang Februar berichtet, dass Viren bei chinesischen Hufeisennasen-Fledermäusen der Gattung Rhinolophus zu 89 Prozent dem Erbgut des Erregers von Covid-19 ähneln.

Ein Arbeiter desinfiziert im Jahr 2004 auf einem Wildtiermarkt im chinesischen Guangzhou Käfige mit Larvenrollern. Damals gab es...

Foto: picture-alliance /dpa/dpaweb

Das macht sie für viele Virologen zum ursprünglichen Wirt und zur eigentlichen Quelle. Bereits beim Sars-Ausbruch 2002 hatte man ein Jahrzehnt später herausgefunden, dass ursprünglich aus der Rötlichen Hufeisennase isolierte Viren in ihrem Genom zu 97 Prozent mit dem Erreger übereinstimmten. Und auch das Mers-Coronavirus von 2012 stammt ursprünglich aus Fledermäusen.

Zoonosen nennen Wissenschaftler solche Infektionskrankheiten, deren Erreger sich auf natürliche Weise vom Tier auf den Menschen übertragen, bevor sie von Mensch zu Mensch weitergegeben werden. Etwa 200 solcher Krankheiten sind bekannt, denen es gelingt, vom Tier auf den Menschen überzuspringen.

Schon seit Ewigkeiten springen Viren von Tieren auf den Menschen über

Vermutlich erkranken viele Millionen Menschen im Jahr an Zoonosen, vor allem in Asien und Afrika, wo die Menschen zusammen mit Tieren auf engem Raum leben. Insgesamt sind die von Nutz- und Wildtieren übertragenen Krankheiten viel häufiger und weiterverbreitet, als wir bislang wussten. Sie verursachen etwa 60 Prozent aller Krankheiten des Menschen. Und immerhin drei Viertel aller neu auftretenden Infektionskrankheiten springen von Tieren über.

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Meist stammen sie von Nutztieren wie Schweinen, Hühnern oder Rindern, mit denen viele Menschen gerade in ärmeren Ländern auf engstem Raum zusammenleben.

Sie sind ein altes Erbe der Menschheit, aber sie werden uns in Zukunft noch mehr beschäftigen. Als sogenannte „emerging viruses“ drohen weitere aus Tieren überspringende Viren unsere Welt zu verändern – weil wir Menschen in diese Welt so massiv eingegriffen haben und dies weiterhin tun. Denn ursächlich verantwortlich dürfte sein, dass gerade in den tropischen und subtropischen Regionen in Asien und Afrika immer mehr Menschen leben und diese zunehmend in abgelegene Regionen vordringen.

Sie roden dort Wälder, berauben dadurch Wildtiere ihres Lebensraumes. Sie jagen sie und vor allem bringen sie die Wildtiere auf Märkte in immer dichter besiedelten Dörfern und sogar mitten in Millionenstädte, von wo sich Zoonosen dann rasant ausbreiten können. Eine solche subtropische Metropole ist Wuhan.

Dazu kommt, dass vielerorts, aber vor allem in China, das Fleisch von wilden und exotischen Tieren als Statussymbol für eine wachsende und zunehmend wohlhabende Mittelschicht gilt. Und seit etwa zwei Jahrzehnten - genau dem Zeitraum, in dem zunehmend jene „emerging diseases“ verstärkt auftreten - vernetzen sich China und andere Länder Südostasiens immer mehr global.

Die nächste Pandemie ist nur eine Frage der Zeit

Zudem werden Wild- wie Nutztiere und die aus ihnen gewonnenen Produkte um den ganzen Globus befördert. Ein Vergleich der Gensequenzen des jüngst sich von China über die Welt ausbreitenden Covid-19 Erregers zeigt es eindrucksvoll: Der weltweite Reiseverkehr und die globalen Handelsströme sind ein ideales Transportmittel für Pandemien.

Letztlich geraten die von Wildtieren stammenden Viren außer Kontrolle, weil wir selbst außer Kontrolle geraten sind auf diesem Planeten. Das ist keine “bewusste” Verschwörung der Natur gegen uns, auch wenn man es so empfinden könnte. Sondern es ist schlicht eine logische - ökologische - Konsequenz unseres Verhaltens und unserer eigenen Biologie sowie der Biologie jener Erreger.

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Noch bevor die gegenwärtige Infektionswelle überwunden ist, lässt sich vorhersagen, dass die nächste durch Zoonosen verursachte Pandemie nur eine Frage der Zeit sein wird. Dementsprechend sollten wir uns mitten in der derzeitigen Krise bereits auf die nächste Pandemie vorbereiten, meinten unlängst der Evolutionsbiologe Jared Diamond und der Virologe Nathan Wolfe.

Unwissenheit oder Ignoranz werden auch in Zukunft dazu führen, dass Tierkrankheiten auf den Menschen überspringen, so die Experten in einem Gastbeitrag Mitte März für die „Washington Post“. Daher gehe es nicht um Schuldzuweisungen, sondern um globale Verantwortung zunehmend global agierender Nationen.

Wie die Welt auf die Pandemiegefahr reagieren muss

Das klingt abstrakt. Konkret bedeutet es vor allem, dass wir, wenn wir zukünftig weitere Ausbrüche überspringender Viren verhindern und das Risiko einer tödlichen Zoonose zumindest reduzieren wollen, bei Verzehr und Handel von Wildtieren weltweit ansetzen müssen.

Zum einen sollten wir unbedingt den zunehmenden, auch illegalen Handel mit allen möglichen Arten von Wildtieren rigoros einschränken und möglichst dauerhaft unterbinden. Zum anderen sind gerade die asiatischen Wildtiermärkte, aber auch jene in Afrika und Lateinamerika, ein gravierendes Problem.

Sie sind eine Gefahr für die Gesundheit der Menschen weltweit und für unser aller Leben geworden. Auf dramatische Weise wird uns das derzeit vor Augen geführt: Letztlich weil auf den Märkten wie dem in Wuhan hunderttausende Wildtiere zum Verzehr gehandelt werden, sterben in Italien und New York Hunderte und Tausende Patienten auf den Intensivstationen und droht der Welt eine Wirtschaftskrise wie seit einem Jahrhundert nicht mehr.

Das ist allemal Grund genug, Wildtiermärkte weltweit zu verbieten. Dass diese Praktiken viele Tierarten – vom Pangolin über Elefanten und Nashörner bis zum Tiger – bedrohen, die unmittelbar am Rand des Aussterbens stehen, kommt hinzu.

Die Bedrohung ist längst da und kommt immer näher

All das zusammengenommen legt nahe, dass sich unser Umgang mit diesem Planeten grundsätzlich ändern muss, wenn wir langfristig und ohne katastrophale Einschnitte auf ihm überdauern wollen.

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Es sollte auch klar machen, dass biologische Bedrohungen aus dem Labor zwar denkbar sind und sich Theorien darüber für Schuldzuweisungen bestens eignen. Es es sollte auch klar sein, dass solche ebenso abenteuerlichen wie aus wissenschaftlicher Sicht unhaltbaren Verschwörungstheorien vor allem von der eigentlichen Verantwortung abzulenken – etwa jener für den fahrlässigen Umgang mit dem aktuellen Ausbruch wie derzeit in den USA; letztlich aber insbesondere jene Verantwortung, die im Umgang mit der Natur selbst liegt.

Für die real längst existierenden biologischen Bedrohungen der Menschheit sind böswillige oder auch nur unachtsame Forscher in Geheimlabors gar nicht nötig zu erfinden. Denn die Bedrohung durch von Wildtiere überspringende Erreger ist längst da und kommt immer näher.

Wenn wir als Menschheit das einsehen und verstehen - und eher heute als morgen konsequent reagieren -, dann würde sich dies nicht nur für uns lohnen. Auch für die Schuppentiere könnte ihre mögliche Rolle bei der derzeitigen Pandemie letztlich doch noch etwas Gutes haben und sie in letzter Sekunde vor dem drohenden Aussterben bewahren.

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Matthias Glaubrecht ist Evolutionsbiologe und Professor für Biodiversität der Tiere an der Universität in Hamburg, Gründungsdirektor des dortigen Centrums für Naturkunde und Autor des kürzlich bei C. Bertelsmann erschienenen Buches „Das Ende der Evolution. Der Mensch und die Vernichtung der Arten“.