Karlsruher Forscher simulieren menschliche Organe auf Chips, um Tierversuche zu vermeiden

Ute Schepers zeigt in ihrem Labor am Karlsruher Institut für Technologie ein Modell, das Tierversuche ersetzen kann.

Foto: Julia Weller

von Julia Weller

05. März 2020, 16:39 Uhr

3 Minuten

Es sieht nicht sehr menschlich aus, was Ute Schepers da aus ihrem Schrank zieht: Mehrere dünne Schläuche hängen an einer kleinen Platte, darauf sind einige runde Kunststoffträger befestigt. Das Gebilde soll ein menschliches Organ darstellen, ein Herz oder eine Leber zum Beispiel. Und es soll die Medizin grundlegend verändern.

Noch sind Tierversuche gesetzliche Pflicht

Denn noch müssen Medikamente und Chemikalien vor ihrer Zulassung an Tieren getestet werden – das schreiben deutsche Gesetze vor, aber auch europäische und internationale Regeln.

„Warum müssen wir mit dem gleichen System wie vor 50 Jahren weiterfahren“, fragt sich hingegen Ute Schepers, „wenn man genau weiß, dass viele dieser Versuche unsinnig sind?“ Die KIT-Professorin forscht seit vielen Jahren an alternativen Methoden, um Medikamente ohne Tierversuche zu testen.

In einem Labor am Campus Nord des Karlsruher Instituts für Technologie steht Schepers Schrank mit vier Organ-Chips, die über eine Pumpe „durchblutet“ werden.

Die runden, transparenten Schälchen sind die einzelnen Organ-Modelle. Mit den Schläuchen werden sie „durchblutet“

Foto: Julia Weller

Jeder der sogenannten „vasQchips“ besteht aus einer dünnen Kunststoff-Folie mit einem porösen Kanal – wie in einem System aus Blutgefäßen. Darunter wird menschliches Gewebe platziert. Mit Leberzellen wird der Chip so zur künstlichen Leber, mit Hirnzellen zum künstlichen Gehirn.

Warum Tierversuche längst nicht mehr ausreichen

Ute Schepers hofft, dass Medikamente eines Tages an solchen künstlichen Organen statt an Tieren getestet werden dürfen. Ihr Antrieb ist aber nicht nur die ethische Frage nach dem Schicksal der Versuchstiere: „Es geht auch um den Menschen“, sagt Schepers.

Karlsruher Forscher simulieren menschliche Organe auf Chips, um Tierversuche zu vermeiden

Alternativmethoden

Statt Versuche an lebenden Tieren durchzuführen, können Forscher in manchen Fällen auch alternative Methoden anwenden. Dazu zählen In-Vitro-Versuche mit Zellkulturen oder computergestützte Modelle, aber beispielsweise auch die Verwendung von Schlachtabfällen. Für ein solches Verfahren hat die Ludwigshafener BASF 2014 den deutschen Tierschutzforschungspreis gewonnen. Das Land Baden-Württemberg fördert momentan drei Forschungsprojekte zu Alternativmethoden, darunter zwei im Regierungsbezirk Karlsruhe: Ein Versuch mit humanen Stammzellen als Modellsystem für Vorhofflimmern an der Uni Heidelberg sowie ein Projekt zur Vorhersagbarkeit der Therapie von Kindern mit Krebs am Deutschen Krebsforschungszentrum.

Denn für die Medikamente der Zukunft reiche es nicht mehr aus, Substanzen nur an Tieren zu testen. Die Ergebnisse seien oft zu wenig vergleichbar und aussagekräftig. Und: Jeder Patient ist unterschiedlich. Schepers möchte mit ihren künstlichen Testorganen einen Grundstein legen für die personalisierte Medizin.

„Wir sind bei der Wirkstoff-Forschung in Deutschland am Limit“, sagt die Chemikerin. Nur 40 bis 50 neue Medikamente würden jährlich zugelassen. „Das ist bitter wenig bei all den Krankheiten, die wir nicht behandeln können.“ Die personalisierte Medizin, bei der Ärzte die Therapie genau auf die genetischen Bedingungen eines einzelnen Patienten anpassen, ist laut Schepers der nächste große Meilenstein.

Auf dieser Platte lassen sich mehrere künstliche Organe zusammenstellen.

Foto: Julia Weller

Ein Beispiel: Es gibt viele verschiedene Arten von Krebs und noch viel mehr individuelle Patienten mit ganz unterschiedlichen Genen. „Schon hat man nicht mehr den einen Wirkstoff, der für alle passt.“ Mit Tierversuchen könne man diese Forschung nicht weiter vorantreiben. Es brauche neue Methoden: „Krebs wird man nicht mithilfe von Tierversuchen heilen können“, sagt Schepers.

Eine Bio-Bank, in der man die eigenen Zellen speichert

Die Chemikerin kann sich in ferner Zukunft eine Art Bio-Bank vorstellen, bei der jeder Mensch eigene Zellen lagern kann. Wird der Mensch krank, kann der Arzt personalisierte Organ-Chips bestellen, um die genaue Wirkung von Medikamenten auf die Organe zu testen und dann die richtigen Präparate zu verschreiben.

Auch Allergien und bestehende Krankheiten könnten mit den persönlichen Chips untersucht werden. Denkbar sei etwa eine Prognose, in welche Organe ein Tumor streuen wird – noch bevor sich wirklich Metastasen gebildet haben.

Von heute auf morgen werde man aber trotz Organ-Chips nicht komplett auf Tierversuche verzichten können. „Da geht es um die Sicherheit“, erklärt Professorin Schepers, „weil wir das bis jetzt als unseren besten Standard definiert haben“. Die OECD prüfe momentan verschiedene Alternativmethoden zum Tierversuch. „Sobald die zugelassen sind, wird es eine deutliche Reduktion geben“, ist sich Schepers sicher.

Was in der Kosmetikindustrie klappt, könnte auch in der Medizin funktionieren

Auch das deutsche Arzneimittelgesetz enthält einen Passus, nachdem Tierversuche durch andere Prüfverfahren zu ersetzen sind, „wenn dies nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Hinblick auf den Prüfungszweck vertretbar ist“.

Bereits geschehen ist dies in der Kosmetikindustrie: Seit 2013 dürfen in der EU keine Kosmetikprodukte mehr verkauft werden, deren Inhaltsstoffe an Tieren getestet wurden. Die EU setzt sich außerdem für ein weltweites Verbot von Tierversuchen in dieser Branche ein.

Ute Schepers glaubt, dass ein ähnliches Umdenken auch in der Medizin einsetzen könnte: Viele Pharmafirmen haben laut der Wissenschaftlerin schon Interesse an alternativen Methoden geäußert. „Das wäre natürlich das tollste Ziel – für Tier und Mensch.“

Firmengründung

Ute Schepers und ihre Kollegen am Karlsruher Institut für Technologie möchten mit den Organ-Chips eine eigene Firma ausgründen. „vasQlab“, so der Name, soll im Laufe des Jahres 2020 gegründet werden und einen Prototyp für vollautomatisierte Systeme herstellen. Die Wissenschaftler halten ein Patent auf ihre Erfindung und möchten sowohl die Chips verkaufen, als auch strategische Kooperationen mit Pharmaunternehmen eingehen. Namhafte Firmen hätten bereits Interesse bekundet, erklärt Schepers.

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