Stomatologie: Wie finde ich meinen Zahnarzt?

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ie Millionen von Kindern bin ich mit Karius und Baktus aufgewachsen. Das waren zwei putzige Kerle, der eine schwarz- und der andere rothaarig, die sich der norwegische Autor Thorbjørn Egner ausgedacht hatte. Sie wohnten in meinem Mund, und immer, wenn ich Kuchen aß, freuten sie sich wie irre. Dann griffen sie zum Presslufthammer und bohrten immer größere Löcher. Bis ich zum Zahnarzt musste. Der tat im Prinzip nichts anderes. Nur dass er die Löcher anschließend mit einer Amalgamfüllung stopfte. Amalgam, eine Mischung aus Silber, Zinn, Kupfer, Indium, Zink und Quecksilber, spielt bis heute eine wichtige Rolle in der Zahnmedizin, weil es sich leicht verarbeiten lässt, vergleichsweise preiswert ist und nach allgemeiner Studienlage auch gut verträglich. Man schätzt, dass alle Einwohner der Europäischen Union zusammengenommen mehr als zweitausend Tonnen Quecksilber im Mund tragen. Bei mir war es natürlich nicht ganz so viel. Aber am Ende doch eine ganze Menge.

Stomatologie: Wie finde ich meinen Zahnarzt?

Als Kind fielen mir, wie jedem von uns, nach und nach die Milchzähne aus. Das war jedes Mal erschreckend, wenn einer von ihnen wackelte, aber nicht so recht rauswollte. Man müsse einen Bindfaden drumbinden, das andere Ende um einen Türgriff knoten und die Tür beherzt zuschlagen, hieß es. War man das Teil endlich los, gab es eine Mark Schmerzensgeld.

Das Gebiss ist das einzige Organ, das der Mensch komplett ersetzen kann. Leider nur einmal im Leben. Den Rest der Zeit muss er sehen, wie er mit seinen maximal 32 Zähnen klarkommt. Ohne Zahnarzt geht das selten. Mein erster hieß Doktor Brinkmann. Er bekämpfte die sich ausbreitende Caries dentium mit einem rumpelnden Doriot-Bohrer. Dieser Seilantrieb, anno 1893 von dem Pariser Constant Doriot erfunden, hing während der Behandlung drohend über mir, allein schon der Anblick versetzte mich in Schrecken. Dazu kam das fiese Geräusch und das niedertourige Mahlen im Zahn. Hin und wieder stieß Doktor Brinkmann auf eine empfindliche Stelle, das ging entschieden durch Mark und Bein. Mein Wimmern ließ ihn kalt, er hielt mich sowieso für einen Feigling. Das einzig Gute war die Aussicht auf die Packung Legosteine, die es hinterher zur Belohnung gab.

Der eine hat Zahnfäule, der andere Prachtgebiss

Warum der eine Mensch zur Zahnfäule neigt und ein anderer verschont bleibt, ist und bleibt ein Rätsel. Bis ins 19. Jahrhundert hinein glaubte man mehrheitlich, dass ein böser Wurm am Werke sei. Später wurden Milchsäurebakterien verantwortlich gemacht. 1960 stieß man auf Streptococcus mutans, ein Bakterium, das besonders gut im sauren Milieu der Mundhöhle gedeiht und mit anderen Mikroben den typischen Zahnbelag bildet. Dabei kann die Zusammensetzung der Mundflora von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein. Im Grunde genommen sei sie ihm wohlgesinnt, heißt es inzwischen, eine friedliche Symbiose, die erst, wenn sie, beispielsweise durch übermäßigen Zuckerkonsum, aus dem Gleichgewicht gerät, zur massenhaften Vermehrung schädlicher Erreger beiträgt. Das erst führt zum Angriff auf den Zahnschmelz. Man könnte Karies glatt als Folge einer ökologischen Katastrophe bezeichnen.

Von solchen theoretischen Überlegungen war der Zahnarzt meiner Jugend nicht angekränkelt. Eine Koryphäe seines Handwerks war der Mann allerdings auch nicht. Denn seine Füllungen hielten nicht lange; fielen sie raus, wurde das Loch abermals erweitert und noch mehr Amalgam appliziert. Mit vierzehn war bei mir jeder dritte Backenzahn plombiert, mit siebzehn der erste gezogen. Dennoch war ich kein besonders schwerer Fall: Noch Ende der achtziger Jahre waren bei Gleichaltrigen im Schnitt 6,2 Zähne entweder kariös, gefüllt oder bereits extrahiert. Das hat sich deutlich verbessert: Heute besitzen Zwölfjährige statistisch gesehen weniger als einen geschädigten Zahn. Dafür trägt jeder zweite von ihnen eine Zahnspange.