Peter Wohlleben: "Jeder Baum ist Klimaschutz zum Anfassen"

Der Förster Peter Wohlleben wurde mit "Das geheime Leben der Bäume" weltweit bekannt. Nun hat er ein neues Buch geschrieben. Im Gespräch mit der AZ erklärt er, wie uns der Wald vor Hitze und Überschwemmungen bewahrt - wenn wir ihn lassen.

26. Juli 2021 - 20:29 Uhr

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Lisa Marie Albrecht

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Der Wald ist seine Leidenschaft: Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben. Er ist überzeugt, dass wir mit Wäldern das Klima lokal beeinflussen können.

© Christian Charisius/dpa

Der Wald ist seine Leidenschaft: Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben. Er ist überzeugt, dass wir mit Wäldern das Klima lokal beeinflussen können.

von Christian Charisius/dpa

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München - Der 57-Jährige ist seit mehr als 35 Jahren Förster und setzt sich für nachhaltige Waldwirtschaft ein. Zudem hat Peter Wohlleben mehrere Bücher geschrieben. Seinen größten Erfolg feierte er 2015 mit "Das geheime Leben der Bäume", das 2020 verfilmt wurde. Er ist Leiter der Waldakademie Wershofen.

AZ: Herr Wohlleben, Sie wohnen selbst in der Eifel, die von den jüngsten Überschwemmungen stark betroffen war. In Ihrem neuen Buch "Der lange Atem der Bäume" geht es darum, wie sich der Wald an solche Wetterextreme anpasst - kann das mit dem voranschreitenden Klimawandel überhaupt gelingen?PETER WOHLLEBEN: Ja - das ist die positive Botschaft des Buches. Selbst uralte Bäume wie zum Beispiel die tausendjährigen Ivenacker Eichen lernen ganz offensichtlich und geben diese Information auch direkt an ihren Nachwuchs weiter. Alle Welt glaubt: Der Wald hat es nicht mehr drauf. Die gute Botschaft ist: Doch, der hat es drauf - und am besten, wenn wir uns nicht einmischen.

Peter Wohlleben:

Vieles, was die meisten als Wald definieren, sind in Wirklichkeit Plantagen. Wo ist der Unterschied und warum sind diese Plantagen so viel anfälliger für Klima-Extreme?Ein natürlich gewachsener Wald hat viel mehr Biomasse, viel mehr dicke lebende Bäume, viel mehr Totholz. Das speichert Wasser. Außerdem regnet es über solchen Wäldern signifikant mehr, weil sich Gewitterwolken bilden. Das haben auch Meteorologen bestätigt. Hinzu kommt etwas, das wir jetzt ganz aktuell durch die Starkregenereignisse beobachten: Hier bei uns in der Umgebung gibt es ein altes Buchenreservat an einem Steilhang. Da hat es praktisch keine Erosion gegeben. Dieser 200 Jahre alte Buchenwald hat also den Regen weitestgehend zurückgehalten, obwohl das bis zu 200 Liter pro Quadratmeter waren. All das kann natürlicher Wald viel besser als Plantagen, die mit Maschinen befahren werden, die den Boden verdichten. So ein Boden kann teilweise nur noch fünf Prozent des Regens speichern. Ich glaube, in Zukunft wird es gar nicht mehr so sehr darum gehen, wie viel Holz ein Wald produziert, sondern darum, wie sehr er unser lokales Klima schützt. Wie trägt er zu Niederschlägen bei? Wie sehr hält er Hochwasser zurück? Das werden alles sehr wichtige Fragen.

Hätte man die verheerenden Folgen der Überschwemmungen durch mehr Waldschutz verhindern können?Verhindern hätte man sie wahrscheinlich nicht komplett können, dafür war es einfach zu viel Wasser. Aber wäre so viel Wasser bei intakten Wäldern unten angekommen? Die klare Antwort ist: Nein.

Warum nicht?Ich erlebe es ja überall in Deutschland hautnah. Alle 20 Meter fährt eine dieser Harvester-Maschinen rein, um Bäume zu ernten. Und die fahren natürlich immer von oben nach unten - also genau so, wie das Wasser läuft. Dadurch bilden sich wunderbare Wasserabzugsrinnen. Hinzu kommen die Waldwege, die haben ja auch alle Gräben, damit sie trocken bleiben. Das kann man ja technisch alles verstehen, aber es bedeutet, dass wenn es stark regnet, das Wasser noch sehr viel schneller fließt und schneller unten in den Bächen ankommt. Und genau das haben wir gesehen in den letzten Tagen. Ein alter Wald dagegen bremst so ein Hochwasser ganz massiv ab. Natürlich ist mir klar, dass wir auch Landwirtschaft und Holz brauchen. Aber ich glaube, wir müssen das angesichts dieser Katastrophe neu ausbalancieren.

"Die klassische Forstwirtschaft fährt den Laden an die Wand"

Macht es Sie wütend zu wissen, dass die Folgen hätten abgemildert werden können?Es macht mich traurig. Schade finde ich, dass sich Menschen aus der konventionellen Forstwirtschaft zum Beispiel in Diskussionen auf Social Media melden und sagen: Zu dieser Zeit, mit so vielen Toten über so etwas zu diskutieren wäre herzlos. Nein, wir müssen es doch genau jetzt machen! Ich glaube nicht, dass wir nach ein, zwei Jahren so intensiv darüber diskutieren wie aktuell. Und es ärgert mich, wenn Leute sagen: Nein, wir machen weiter so, weil wir ja Bauholz brauchen.

Aber die Frage ist ja legitim: Wie sollen wir den Wald sich selbst regenieren lassen und trotzdem Bauholz bekommen?Man müsste es andersrum formulieren: Die klassische Forstwirtschaft fährt ja den Laden gerade voll an die Wand. Wir werden in zehn Jahren kaum noch Bauholz aus Deutschland haben, einfach, weil die Plantagen absterben. Die Frage, wenn man ökologischer wirtschaften will, lautet dann interessanterweise häufig: Wo soll das Holz herkommen? Ich plädiere dafür, dass wir einfach mehr Wald und vor allem gesunden Wald bekommen, dann haben wir wenigstens noch eine Möglichkeit Holz zu ernten. Natürlich müssen wir aber auch weniger verbrauchen - und vor allem weniger verbrennen. In Deutschland verbrauchen wir ungefähr 120 Millionen Kubikmeter Holz und davon werden allein 60 Millionen verbrannt, Tendenz stark steigend. Die Wissenschaft - mit Ausnahme der deutschen Forstwissenschaft - ist sich aber einig, dass Holzverbrennung schlechter fürs Klima ist als Kohleverbrennung. Konkret um den Umweltfaktor 1,4. Trotzdem setzt auch die aktuelle Bundesregierung auf eine Ausweitung der Holzverbrennung. Nichts gegen das kleine Ofenfeuer, was man sich abends anmacht, aber das im industriellen Maß zu machen und auch noch staatlich zu fördern ist ein Punkt, den ich sofort rückgängig machen würde.

"Pro Buche werden bis zu 500 Liter Wasser verdunstet"

Bevor wir zu den Lösungen kommen, noch einmal zurück zu einem Problem, das wir in den vergangenen Jahren beobachten konnten: Hitzewellen. Laut Ihrem Buch ebenfalls eine Folge der Waldrodung. Wie hängt das zusammen?Wälder haben das gleiche Interesse an einem stabilen Klima wie wir auch, weil die Bäume einfach so alt werden und nicht weglaufen können. Deswegen können sie ihr Klima aktiv beeinflussen - zum Beispiel, indem pro ausgewachsener Buche bis zu 500 Liter Wasser am Tag verdunstet werden. Das kühlt. In einem natürlich gewachsenen Wald ist es im Vergleich zu einem Plantagenwald um bis zu acht bis neun Grad kühler. Im Vergleich zur Stadt können es sogar bis zu 15 Grad und mehr sein. Auf gut Deutsch: Im letzten heißen Sommer, wo wir Temperaturen bis 40 Grad hatten, wären es mit einem intakten Wald nur 25 Grad gewesen. Das ist mal eine Hausnummer!

Fakt ist aber: Wir haben zu wenig natürlichen Wald - also müssen doch Bäume gepflanzt werden?Es gibt Situationen, in denen Aufforstung sinnvoll ist und andere, in denen sie nicht sinnvoll ist. Keinen Sinn macht es, wenn man Kahlschlägen hinterherpflanzt. Staatliche Forstverwaltungen müssen kahlgeschlagenen Wald wieder aufforsten, das ist gesetzlich vorgeschrieben und wird auch finanziell unterstützt. Aber trotzdem holt man sich dafür oft Freiwillige. Für mich ist das Greenwashing, denn die Kahlschläge hätte man ja gar nicht machen müssen. Selbst die absterbenden Fichtenbestände regenerieren sich von selbst sehr viel besser, als wenn man sie abhackt und neu pflanzt. Aber es wird kahlgeschlagen, dann werden Krokodilstränen geweint - und dann kommt die Laientruppe und forstet PR-wirksam auf.

Wann ist also Bäume pflanzen sinnvoll?Ich halte Aufforstungsaktionen dann für sinnvoll, wenn zum Beispiel Maisäcker wieder aufgeforstet werden, wenn wir einfach wieder Waldfläche hinzugewinnen. Wir haben in Deutschland fast so viel Tierfutterflächen wie Waldflächen, und wenn wir den Konsum von Fleisch und tierischen Produkten reduzieren würden, könnten wir die Waldfläche um Zehntausende von Quadratkilometern vergrößern - samt Kühl- und Wasserspeichereffekten.

Wäre es also für den Wald besser, wenn wir alle Vegetarier werden?Für den Wald wäre das sehr viel besser. Ich weiß, viele Leute hören das nicht gern - und ich würde das auch gar nicht so dogmatisch sehen, sondern vielleicht eher wieder zum klassischen Sonntagsbraten zurückkehren. Wir haben einfach, wie in so vielen Bereichen, das Maß verloren. Wir wissen alle, in Brasilien wird Waldfläche gerodet, aber bei uns ist ja auch Waldfläche für die Viehhaltung gerodet worden. Überall, wo Sie eine Wiese sehen, stand früher Wald. Nun würde ich natürlich keine ökologisch wertvollen Wiesen aufforsten, aber wenn wir Flächen für Tierversorgung reduzieren und in Waldfläche verwandeln, könnte man ganz lokal das Thermostat runterdrehen. Und das ist doch klasse, weil man ja auch den Erfolg sofort sieht.

"Wenn man sich unter einen Baum setzt, ist es immer kühler"

Im Gegensatz zu anderen Klimaschutz-Maßnahmen?Ja. Jeder Baum ist Klimaschutz zum Anfassen. Man hat ja an einem heißen Sommertag sogar den Vergleich: Setzt man sich unter einen Sonnenschirm in den Schatten, ist es immer noch heiß. Wenn man sich dagegen unter einen Baum setzt, ist es immer kühler. Ich kann nur jeden dazu auffordern, wenn er die Möglichkeit hat, auch nur einen Baum in seinem Garten zu pflanzen, dies zu tun - dann hat man schon etwas getan, auch für sich selbst.

Abseits des heimischen Gartens, den viele ja leider gar nicht haben: Was muss sofort getan werden, um den Baumbestand und das Klima zu schützen?Ich befürworte eine CO

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-Steuer auf Holz. Wenn die Wissenschaft sagt, Holz ist schädlicher in der Verbrennung als Kohle und Öl, dann muss es auch so bepreist werden. Holzprodukte würden dadurch kaum teurer, denn das Teuerste ist die Verarbeitung im Sägewerk und die Veredelung hinterher und nicht der Rohstoff selbst. Gleichzeitig würden Waldbesitzende, die den Wald einfach sich selbst überlassen und so für die Gesellschaft CO

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einlagern, Geld bekommen. Und damit könnten sie mehr verdienen als bisher mit dem Holz. Und jene, die den "Waldspeicher" in Form von Holzernte leeren, müssten zahlen. Davon würden alle profitieren.

Peter Wohllebens neues Buch: "Der lange Atem der Bäume: Wie Bäume lernen, mit dem Klimawandel umzugehen - und warum der Wald uns retten wird, wenn wir es zulassen" erscheint am 26. Juli 2021 im Ludwig Verlag. Hardcover, 256 Seiten, 22 Euro

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