Hunde-Boom in der Pandemie: Wie war es bloß ohne Sam?

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Es ist ein Abend im vergangenen November, als ich mich an den Laptop setze und dort den Suchbegriff „Jack Russell Terrier Welpen Hamburg“ eingebe – und knapp 41.700 Treffer erhalte. Nach und nach klicke ich mich durch und sehe einen Jack-Russell-Welpen nach dem anderen, der zum Verkauf angeboten wird: „Toller Hund, fantastischer Charakter, 1500 Euro“ lese ich, „Schöne Zeichnung, 2000 Euro“ oder auch „Mit Papieren und Ahnentafel, 3500 Euro“. Doch trotz dieser – meines Erachtens nach – hohen Preise sind die Anzeigen bereits Tausende Male angeklickt worden.

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Ich schlucke und scrolle mich weiter durch Hundefotos und Texte hindurch. Ich hätte damit rechnen müssen. Denn nicht nur ich will mir einen Welpen anschaffen – während der Corona-Pandemie sind die Zahlen derer, die einen Welpen aufnehmen, enorm angestiegen: 2020 wurden im größten Hunderegister des Landes acht Prozent mehr Hunde angemeldet als im Jahr zuvor. Kein Wunder: Die Leute haben mehr Zeit, können von zu Hause arbeiten, sich mehr um den Hund kümmern – und fühlen sich nicht mehr so allein mit einem Vierbeiner neben ihnen.

„Der wohnt jetzt also für die nächsten 15 Jahre bei uns“

Mir geht‘s ja genauso: Ich wollte schon immer einen Hund haben – und jetzt geht es, jetzt arbeite ich aus dem Homeoffice. Ich scrolle weiter durch die Anzeigen und bleibe bei einer hängen: Der Text wirkt seriös, auf den Bildern sind mehrere muntere Jack-Russell-Welpen zu sehen. Ich greife nach einem Block, notiere mir die angegebene Nummer. Als ich anrufe, ist besetzt, es dauert 20 Minuten, bis ich durchkomme. „Es rufen so viele Interessenten an wie noch nie“, sagt die Frau am anderen Ende, „ich musste mal das Telefon danebenlegen, sonst ist das nicht auszuhalten.“

Dann fragt sie mich aus (was ich ebenfalls seriös finde): Warum ich einen Hund wolle (immer schon!). Ob ich ihn alleine halten werde (nein, mit meinem Freund zusammen). Wo der Hund leben werde (in einer Wohnung in Winterhude, dicht an der Alster, also viel Auslauf!). Ob ich ihn auch nach der Pandemie versorgen könne (ja, bei uns im Büro sind Hunde erlaubt, bei meinem Freund ebenfalls). „Okay“, sagt sie schließlich, „dann kommen Sie morgen ab 10.30 Uhr vorbei.“ Sie gibt mir eine Adresse in Itzehoe und legt auf. Und ich? Ich werde Hundebesitzerin!

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„Ich bin in Kurzarbeit, ich will einen Hund“

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28. November 2020, 10.35 Uhr: In Itzehoe angekommen begrüßt uns die Züchterin, eine etwa 50-jährige freundliche Frau mit blonden Locken. Sie teilt uns mit, dass die anderen Interessenten alle überpünktlich waren und nun nur noch ein Hund da sei. Ein Rüde.

Sie zeigt auf einen kleinen Welpen, der auf einer Decke liegt und uns aus großen braunen Augen anguckt. Er steht etwas wackelig auf, tapst auf uns zu, leckt uns über die Hand – und es ist um uns geschehen. „Okay, den nehmen wir“, sage ich. Mein Freund nickt dazu. „Gut“, sagt die Züchterin.

Sie drückt uns eine Stoffdecke in die Hand („Die riecht nach seinen Eltern und Geschwistern, das hilft gegen den Trennungsschmerz“), dazu eine Tüte mit einer Getreidemischung. Die sollen wir an den kleinen Rüden verfüttern, „daran ist er gewöhnt, dazu ein oder zwei Löffel Nassfutter, dann passt das schon. Und ansonsten ..., wenn er muss, dann merken Sie das schon. Am besten alle zwei bis drei Stunden mit ihm raus.“ Ich mache mir innerlich eifrig Notizen. „Alles klar“, sage ich, „haben Sie noch einen Tipp? Was müssen wir beachten?“ „Nicht drauftreten“, sagt sie.

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28. November 2020, 11 Uhr: Wir verabschieden uns von der Züchterin mit einigen letzten wichtigen Fragen („Sie haben gesagt, zwei Esslöffel Nassfutter. Sind das gestrichene oder gehäufte Esslöffel?“), auf die sie geduldig antwortet („Egal“). Dann steigen wir – mit Welpe, Getreidemischung und Decke – ins Auto, fahren los. Auf der Fahrt krabbelt der Hund auf meinem Schoß herum. „Dududu!“, mache ich und strahle ihn an. Er erbricht sich auf meine Oberschenkel. Das tut er noch drei weitere Male. Als wir zu Hause ankommen, ist er allerdings wieder fit, nur mein Freund und ich sind vor Aufregung völlig erschöpft.

10,7 Millionen Hunde leben insgesamt in Deutschland – die meisten Vierbeiner gibt es in Nordrhein-Westfalen, gefolgt von Bayern. Hamburg liegt auf dem 13. Platz, was an der geringen Fläche des Stadtstaates liegt: Insgesamt gibt‘s in der Hansestadt immerhin 88.859 Hunde.

28. November 2020, 13 Uhr: Immer noch aufgeregt tragen wir den kleinen, jetzt wieder fidelen Hund aus dem Auto in unsere Wohnung. „Willkommen zu Hause“, sage ich und setze ihn in den Flur. Er guckt sich schüchtern um. Macht einige Trippelschritte, wagt sich in die Wohnung hinein. Schließlich entdeckt er das Körbchen, das im Wohnzimmer für ihn bereitsteht, und krabbelt – mit einiger Anstrengung wegen der kurzen Beinchen – hinein.

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28. November 2020, 13.15 Uhr: Der Hund sitzt im Körbchen und wir davor. Wir drei starren uns gegenseitig an. „Ist er süß!“, sage ich leise, „wie nennen wir ihn?“. „Wie wäre es mit Sam?“, sagt mein Freund, „wie der kleine dicke Hobbit aus dem ‚Herrn der Ringe‘?“. Ich betrachte den Hund: Er ist haarig, klein, kräftig gebaut und hoffentlich treu. „Sam“. Wenige Minuten später ist Sam eingeschlafen. Er hat die Augen geschlossen, der kleine Bauch hebt und senkt sich.

28. November 2020, 16.15 Uhr: Mein Freund und ich sitzen immer noch neben Sams Körbchen und beobachten ihn. Seit drei Stunden. „Der wohnt jetzt also für die nächsten 15 Jahre bei uns“, flüstert mein Freund. „Ich weiß“, flüstere ich zurück. Wir schauen uns an. Gerührt, glücklich. Wieso haben wir uns nicht früher einen Welpen geholt?

Hunde-Boom in der Pandemie: Wie war es bloß ohne Sam?

Besonders beliebt sind Hunde im Bezirk Wandsbek – hier leben 22.975 Vierbeiner. Auch Hamburg-Nord ist mit 13.900 Vierbeinern sehr hundefreundlich. Altona, Eimsbüttel und Mitte haben ebenfalls hohe Hundezahlen zu verzeichnen. Nur 6237 – und damit am wenigsten – Hunde gibt es dagegen im Bezirk Bergedorf.

„Was ist los? Was hat er? Geht es ihm schlecht?“

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29. November 2020, 4.30 Uhr: Wenige Stunden später fällt mir wieder ein, warum wir uns bisher noch keinen Welpen geholt haben – als Sam im Morgengrauen aufwacht und anfängt zu quieken. „Was ist los? Was hat er? Geht es ihm schlecht?“, zische ich hektisch meinem Freund zu. „Ich weiß es doch auch nicht“, sagt er.

29. November 2020, 4.31 Uhr: Wir sitzen vor Sams Körbchen und streicheln ihn. Er hört auf zu quieken, dann krabbelt er aus seinem Körbchen heraus, lässt sich direkt zwischen uns auf den Fußboden plumpsen – und schläft dort weiter. „Ohhh!“, sage ich leise, „er will Körperkontakt.“ „Ja“, flüstert mein Freund zurück, „aber wir können ja jetzt nicht die nächsten zwei Stunden auf dem Boden sitzenbleiben.“ Wir bleiben nicht auf dem Boden sitzen – wir legen Sam zu uns ins Bett. „Er darf aber danach nie wieder ins Bett, das ist eine Ausnahme“, sage ich leise. Der Hund darf nicht ins Bett und nicht auf die Couch, das haben wir festgelegt. „Absolute Ausnahme“, flüstert mein Freund zurück. Sam kuschelt sich in die Bettdecke ein und grunzt glücklich. Es klingt wie „Schauen wir mal.“

In Hamburg gibt es strikte Regeln für Hunde: Jeder bekommt vom Tierarzt einen Mikrochip eingesetzt. Darauf ist eine individuelle Identifikationsnummer gespeichert. Zusätzlich braucht der Hund eine Haftpflichtversicherung (Versicherungssumme: mindestens eine Million Euro) – und muss beim Hunderegister der Stadt angemeldet werden.

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10. Dezember 2020, 9 Uhr: Unsere Tage drehen sich ab sofort vor allem um den Hund – schon deshalb, weil er so zwölf Mal pro Tag Gassi gehen muss. Unser erster Gassigang sieht so aus: Ich gehe mit dem Hund raus, setze ihn auf einen Grünstreifen und sage mehrmals „Pipi!“. Das habe ich in einem Buch gelesen, es soll den Hund dazu bringen, sich zu erleichtern. Leider hat unser Welpe das Buch offenbar nicht gelesen, er macht nämlich keinerlei Anstalten, irgendetwas zu tun.

10. Dezember 2020, 9.15 Uhr: „Pipi!“, rufe ich weiter und mache dazu „Pssssch“-Geräusche. Der Hund schaut mich an. „Was soll ich machen?“, sagt sein Blick. „Was soll er machen?“, fragt eine ältere, elegant gekleidete Dame, die stehen geblieben ist und das Spektakel interessiert beobachtet. „Er soll lernen, draußen zu pinkeln“, erkläre ich. „Ah“, sagt die elegant gekleidete Dame. „Psschh“, macht sie. Der Hund macht: nichts.

10. Dezember 2020, 9.30 Uhr: „Okay, dann vielleicht später“, sage ich tröstend zu mir, zum Hund und zur elegant gekleideten Dame gleichermaßen und nehme den Welpen wieder mit hinein in die Wohnung. Sofort tapst er eifrig los, verschwindet ins Wohnzimmer und – pinkelt dort auf den handgewebten Designer-Teppich. „Nein!“, rufe ich, „NEIN!“ Sam guckt mich stolz an und schnauft glücklich.

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16. Januar 2021: Sam pinkelt in den folgenden Tagen nicht nur auf den Teppich, sondern auch ans Sofa, den Nachttisch, den Kühlschrank. Einmal hüpft er auf meinen Schoß, während ich eine wichtige berufliche Videokonferenz habe, hüpft wieder runter und macht neben den Schreibtisch – während ich nichts tun kann, weil ich weiter konzentriert in die Kamera schauen muss. Und irgendwann: Tut er es nicht mehr. Er ist einfach stubenrein – möglicherweise auch, weil wir ihn massiv mit Leberwurst bestochen haben, damit er nur draußen macht.

Die Hamburger (und alle anderen Deutschen) geben pro Jahr rund 5,6 Milliarden Euro für ihre Hunde aus: für Futter, Spielzeug, Zubehör. Auch in der Hansestadt gibt es diverse Läden, die sich auf Hunde spezialisiert haben und alles im Angebot haben – von 30-Cent-Kauknochen bis zum Hunde-Tagessofa à 899 Euro.

14. Februar 2021: Sam ist immer noch stubenrein – und er kann schon einige Tricks: Sitz, Platz, Männchen. Damit er noch mehr lernt, wollen wir mit ihm in die Hundeschule. Es ist schwierig, einen Platz zu bekommen, wegen des Lockdowns und weil viele neue Welpen in der Stadt sind. Ich rufe die Schulen der Reihe nach an. „Es ist sehr dringend“, sage ich: „Sam ist sehr gelehrig.“ Irgendwann klappt es.

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27. März 2021, 17 Uhr: In der Welpengruppe muss man mit seinem Hund die Kommandos üben und die vor den anderen anwesenden Hunden und Menschen vorführen. Heute ist Leinenführigkeit dran, Sam soll ganz dicht neben einem herlaufen – und wir sind aufgeregter als der Hund. „Komm schon, das schaffst du“, flüstern mein Freund und ich ihm angespannt zu, während er ganz lässig neben uns trabt.

27. März 2021, 17.15 Uhr: Er macht es tatsächlich gut. „Das war schon sehr gut, hat ja alles fehlerfrei geklappt“, sagt die Hundetrainerin, eine junge Frau mit dunklen Haaren, der alle Hunde aus der Hand zu fressen scheinen. Wir sind so stolz auf das Lob, als ob wir selbst die Leistung erbracht hätten. „Wir haben einen klugen Hund“, sagt mein Freund zufrieden. Die gelungene Übung ist das Highlight unseres Tages.

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10. April 2021: Dank Hundeschule hat Sam einige Hundekumpel gefunden, mit denen er regelmäßig spielt – und ich weiß die Namen der Hunde, aber habe oft keine Ahnung, wie die dazugehörigen Besitzer heißen. Sein bester Kumpel etwa ist „Fred“ und ein Zwergpinscher. Wir haben die Nummer von Freds Besitzer, um Treffen für die Hunde zu vereinbaren – aber keine Ahnung, wie er heißt, was er beruflich macht, wo er wohnt (abgespeichert ist er im Handy unter „Fred Zwergpinscher“).

Hunde mögen kostspielig und zeitintensiv sein – aber sie geben auch etwas zurück: 68 Prozent aller Hundebesitzer sagen, dass sich ihr Gesundheitszustand durch ihr Tier verbessert habe und sogar ganze 88 Prozent erklären, dass sie sich durch ihren Vierbeiner generell besser fühlen.

19. Mai 2021: Sam ist jetzt fast ein halbes Jahr bei uns. „Weißt du noch, wie es vor Sam war?“, hat mein Freund mich letztens gefragt, als er gerade den im Bett liegenden Hund zur Seite schob, um auch noch etwas Platz zu haben. Und ich? Ich erinnerte mich dunkel, dass es eine Zeit vor Sam gab – aber ich wusste beim besten Willen nicht mehr, wie die ausgesehen hatte.