Zwischen Steuersenkung und Umverteilung, oder auch: Schieß nicht auf den Weihnachtsmann!

Ein Artikel zur festlichen Jahreszeit in zwei TeilenZwischen Steuersenkung und Umverteilung, oder auch: Schieß nicht auf den Weihnachtsmann!

Es muss nicht immer Frank Capras Ist das Leben nicht schön? oder White Christmas mit Bing Crosby sein. Es gibt Filme zur Weihnachtszeit, die mindestens so sehenswert sind wie die üblichen Klassiker und es oft schwer haben, ihr Publikum zu finden, weil sie abseits der etablierten Produktions- und Verleihstrukturen entstanden sind und man ohne Hollywood-Unterstützung Glück braucht, um nicht in der Versenkung zu verschwinden. Hier sollen zwei von diesen Filmen empfohlen werden. Der eine ist ein intelligenter Thriller, der andere eine gruselige Gespenstergeschichte. Mit dem Thriller fangen wir an.

Der Weihnachtsmann steht in einer Bank und reicht dem Kassierer einen Zettel. "Ich habe eine Pistole", steht auf dem Zettel. "Geben Sie mir das gesamte Bargeld." Der Kassierer gibt ihm Geld. Wir sind im Souterrain eines Einkaufszentrums in Toronto. Der Weihnachtsmann verlässt die Bank, flieht über die Rolltreppe nach oben und verschwindet. Damit begann 1978 - etwas verhalten, denn ein großer Erfolg war The Silent Partner eher nicht - der Aufstieg des Film- und Theaterproduzenten Garth H. Drabinsky, eines gelernten Anwalts, zu einem der Superstars unter den mit Riesensummen jonglierenden Impressarios.

Flug des Ikarus

In den 1990ern machten Drabinsky und sein Partner Myron Gottlieb Furore mit spektakulären Bühnenproduktionen ihrer Live Entertainment Corporation of Canada (kurz Livent). Mit Phantom of the Opera, Show Boat und Sunset Boulevard strichen Drabinsky und Gottlieb allerlei Bühnenpreise ein, und sie verhalfen Toronto dazu, sich zu einer der weltweit führenden Theater- und Musicalstädte aufzuschwingen, jedenfalls im kommerziellen Sektor. Drabinsky ebnete das den Weg in den Order of Canada, in den er 1995 im Range eines Officer aufgenommen wurde.

Die Mitgliedschaft in diesem Orden ist die zweithöchste Ehrung, die Kanada zu vergeben hat, für herausragende Verdienste um das Land. Schirmherrin des Ordens ist Queen Elizabeth. Drabinsky schien oben angekommen. Allerdings macht schon der Weihnachtsmann in The Silent Partner die Erfahrung, dass es auch eine Rolltreppe nach unten gibt. 1998 verkauften Drabinsky und Gottlieb die Livent an eine vom Hollywood-Schwergewicht Michael Ovitz geführte Investorengruppe. Einige Monate danach meldete das Unternehmen Insolvenz an. Die Käufer hatten festgestellt, dass die Livent vor allem (geschickt versteckte) Schulden hatte.

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Flug des Ikarus (14 Bilder)

The Silent Partner

Das war der Ausgangspunkt langjähriger Ermittlungen und Gerichtsverfahren, die Drabinskys Absturz einleiteten. Die einen sagten, er sei wie Ikarus der Sonne zu nahe gekommen und die anderen, er habe sich in seiner Gier so vieler Betrügereien schuldig gemacht, dass es für mehrere Romane von John Grisham gereicht hätte. Man könnte ihn auch mit dem Weihnachtsmann im Einkaufszentrum vergleichen, der mit einem Sack voller vermeintlicher Gaben unterwegs ist und doch nur Ausschau nach Leuten hält, denen er ihr Geld rauben kann, dies aber in Dimensionen, von denen Santa Claus nicht einmal träumen würde.Zwischen Steuersenkung und Umverteilung, oder auch: Schieß nicht auf den Weihnachtsmann!

Anleger hatten eine halbe Milliarde kanadische Dollar verloren. Im März 2009 wurden Drabinsky und Gottlieb wegen Betrugs, Bilanzfälschung und der Etablierung eines Kickback-Systems von einen Gericht in Ontario schuldig gesprochen. Drabinsky wurde zu einer Haftstrafe von zunächst sieben Jahren verurteilt (in der Berufungsverhandlung auf fünf reduziert), die er 2012 antreten musste. 2014 wurde er aus der Anwaltskammer ausgeschlossen. 2015 scheiterte er mit dem Versuch, gerichtlich gegen seinen Rauswurf aus dem Order of Canada vorzugehen. Die Königin und ihr dem Orden vorstehender Generalgouverneur wollen nichts mehr von ihm wissen.

Zuletzt hieß es, Drabinsky habe seine Lebensversicherung zu Geld gemacht und sei bemüht, eine neue Musicalproduktion auf die Beine zu stellen. Titel: Hard Times - leider nicht nach dem Roman von Charles Dickens, was gut hierher passen würde, sondern über Five Points, das durch Gangs of New York bekannt gewordene Slumviertel in Lower Manhattan. Auch nicht schlecht. Erschwert werden Drabinskys Bemühungen durch eine Behörde in Ontario, die Investoren vor Betrügern schützen soll und ihm verboten hat, in einer Gesellschaft öffentlichen Rechts eine Führungsposition innezuhaben. Derzeit gilt das lebenslang.

Amerikareise mit Folgen

Die hier skizzierte Karriere kommt doch etwas überraschend, wenn man bedenkt, womit sie einmal anfing: mit Drabinsky als Produzent von zwei Filmen, die dem Gewinnstreben mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln sehr kritisch gegenüberstehen. Der eine, The Silent Partner, ist ein Thriller über die Gier, die Erotik des Geldes und den Weihnachtsmann. Der andere kleidet die Gier in das Gewand einer "klassischen Geistergeschichte", wie The Changeling (1980) zumeist charakterisiert wird. Auf einen Krimi im Weihnachtsambiente als Nachfolgeproduktion einen Film mit Spukhandlung folgen zu lassen ist in sich stimmig. Das eine gehört zum anderen.

Eingangs sollten wir uns fragen, was das eigentlich ist, eine "klassische Geistergeschichte"? Auf die Tradition, sich in langen Winternächten die Zeit mit Schauergeschichten zu vertreiben, wird schon in Shakespeares The Winter’s Tale angespielt, und im englischen Sprachraum war sie untrennbar mit Weihnachten verbunden, bevor Halloween in Konkurrenz zur Christnacht trat. "Sobald sich fünf oder sechs englischsprachige Leute an Heiligabend um ein Feuer versammeln fangen sie an, einander Geistergeschichten zu erzählen", schrieb 1891 der Humorist Jerome K. Jerome im Vorwort zu seiner (eher heiteren als gruseligen) Sammlung Told After Supper.

"Nichts befriedigt uns an Heiligabend so sehr wie wenn wir uns Anekdoten über Gespenster erzählen", meint der Autor von Drei Mann in einem Boot. "Es ist eine gesellige, feierliche Zeit, und es macht uns Freude, über Gräber nachzusinnen, und über Leichen, und über Morde, und über Blut." Schuld daran waren Charles Dickens und eine Reise durch die USA und Kanada, die dieser 1842 unternommen hatte. Die Reise verlief eher unharmonisch, weil Dickens die Sklaverei kritisierte, in der er eine verschärfte Form der Ausbeutung des Industrieproletariats in seiner Heimat sah.

Außerdem trat er bei Vortragsveranstaltungen für ein Urheberrechtsgesetz ein und las den Gastgebern die Leviten, weil sie seine Werke kopierten, ohne zu bezahlen. In amerikanischen Zeitungen wurde er deshalb als ungehobelter Kerl hingestellt, der den Rachen nicht voll genug kriegen könne und auch noch Geld verlange, statt froh darüber zu sein, in den USA so viele Leser zu haben (Leser, mit denen die US-Verleger viele Dollars verdienten, von denen sie nichts abgeben mussten, weil Dickens und seine Rechte als Urheber nicht geschützt waren).

Die USA-Reise verstärkte Dickens’ Wut über gesellschaftliche Missstände, gegen die er in seinen Romanen und journalistischen Arbeiten seit Jahren anschrieb. Sein Ärger wurde noch größer, als er den "Essay on the Principle of Population" des anglikanischen Pfarrers und Nationalökonomen Thomas Robert Malthus las und eine "Lumpenschule" (ragged school) in Saffron Hill besuchte, einem der schlimmsten Slumviertel Londons (Teile von Oliver Twist sind da angesiedelt). Die vor allem von Evangelikalen getragene "Ragged School"-Bewegung hatte das Ziel, den Kindern der Armen wenigstens eine rudimentäre Schulbildung zuteil werden zu lassen, und soviel religiöse Erbauung wie nur möglich.

Dickens war erschüttert über die Zustände in dieser total verdreckten Schule und darüber hinaus der Meinung, dass man es mit der religiösen Erbauung übertrieb, auf Kosten einer Unterweisung mit praktischem Wert für das Dasein im Slum. Die organisierte Religion war ihm suspekt, das Sektierertum fundamentalistischer Christen ein Graus. Trotzdem unterstützte er die Bewegung, weil etwas Besseres nicht in Sicht war. Zu seinen Lebzeiten besuchte nur eines von drei Kindern eine Schule, und sei sie noch so rudimentär. Schätzungen nach gab es im London der 1840er mehr als hunderttausend Kinder, die nicht einmal eine der Lumpenschulen je von innen sahen.

Dickens versuchte, seinen Einfluss als berühmter Autor zu nutzen und intervenierte bei der Regierung, die eine finanzielle Unterstützung des Ragged School Movement aber ablehnte. Also plante er ein Pamphlet, in dem er mit der Ungleichheit und der Ungerechtigkeit in der britischen Gesellschaft abrechnen wollte. Schließlich zog er es vor, das Thema in einer publikumswirksamen Geschichte zu verpacken. Das erschien ihm erfolgversprechender zu sein. Der Vollständigkeit halber muss man hinzufügen, dass er damit auch seine Geldnot beheben wollte. Die USA-Reise war teurer gewesen als gedacht, er hatte eine anspruchsvolle Verwandtschaft, und sein aktueller Fortsetzungsroman lief schlechter als erhofft.

Weihnachten als subversiver Akt

Im Dezember 1843, zwischen zwei Lieferungen des Romans Martin Chuzzlewit, erschien das Buch, mit dem Dickens eine Tradition wiederbelebte, die im protestantisch geprägten England seit der Regierungszeit des Puritaners Oliver Cromwell ein wenig in Vergessenheit geraten war: das weihnachtliche Erzählen von Spukgeschichten. Der Geschichte gab er den Titel A Christmas Carol in Prose (Ein Weihnachtslied in Prosa). Damit knüpfte er an eine weitere Tradition an, die des Protestliedes. Ein Weihnachtslied als Protestsong - wie das?Zwischen Steuersenkung und Umverteilung, oder auch: Schieß nicht auf den Weihnachtsmann!

Für den puritanischen Fundamentalisten Oliver Cromwell und seine Anhänger war das Weihnachtsfest Ausdruck einer heidnischen Gesinnung und der päpstlichen Infiltration des rechten Glaubens. Nirgendwo in der Bibel, argumentierten sie, verlangte Gott, die Geburt seines Sohnes zu feiern wie von den Katholiken praktiziert. Außerdem sei das Ganze eine Vergeudung von Ressourcen und eine Sünde. 1644 wurde das Feiern des Weihnachtsfestes praktisch verboten, genauso wie das Singen von Weihnachtsliedern. Wer es trotzdem tat riskierte, als Agent des Papstes verfolgt zu werden. Das konnte tödlich sein.

Das Singen von Weihnachtsliedern, auch das Texten und Komponieren, wurde so zum Akt des zivilen Ungehorsams und des politischen Widerstands. 1660, bei der Rückkehr zur Monarchie, wurden alle Gesetze der Cromwell-Ära für null und nichtig erklärt. Obwohl das Verbot nicht einmal zwanzig Jahre währte grub es sich tief in das kulturelle Gedächtnis ein. Zumindest als undeutliche Erinnerung an eine ferne Zeit haftete dem Weihnachtslied noch lange danach etwas Rebellisches an, bis hin zu A Christmas Carol, mit dem Dickens gegen die Armengesetze von 1834 protestierte.

A Christmas Carol - Erstausgabe

Im Großbritannien der Industrialisierung, des Raubtierkapitalismus und der gierigen Fabrikbesitzer wurde Armsein behandelt wie ein Verbrechen. Wer um staatliche Hilfe ansuchte landete unweigerlich in einem der Armenhäuser, die geführt wurden wie Gefängnisse. Die Zustände dort waren so erbärmlich, dass nicht nur Marx und Engels der Überzeugung waren, dass das lediglich dem Zweck diente, Hilfsbedürftige abzuschrecken. Die neuen Gesetze leisteten ihren Beitrag zur Verelendung breiter Schichten. Einer der geistigen Wegbereiter war Thomas Malthus, der in seinem Essay von 1798 eine berühmt-berüchtigte Theorie der Bevölkerungsentwicklung aufstellte.

Malthus’ (längst widerlegtes) "Bevölkerungsgesetz" stützt sich auf die Behauptung, dass sich die Menschen in geometrischen Wachstumsraten vermehren (1, 2, 4, 8), die Lebensmittelproduktion dies aber in arithmetischer Progression tut (1, 2, 3, 4). Dem zufolge scheint mathematisch nachweisbar zu sein, dass die Masse der Arbeiter und ihrer Angehörigen bestenfalls am Existenzminimum entlang krebst und sich daran nichts ändern wird, weil die Armen in guten Zeiten nur noch mehr Kinder kriegen und gleich wieder aufessen, was an Überschüssen erwirtschaftet wurde. Armut wird so zum Zustand, den man nicht abschaffen, sondern nur möglichst kostengünstig verwalten kann.

Für Malthus ist es unausweichlich, dass die Vorräte irgendwann nicht mehr reichen werden. Darum haben innerhalb seiner Lehre auch Kriege, Seuchen, Not und Elend ihr Gutes, weil sie Opfer fordern und so das Gleichgewicht zwischen Bevölkerung und Lebensmittelvorräten wiederherstellen. Ein Mensch, schrieb Malthus, der in eine Familie hineingeboren wird, die ihn nicht ernähren kann und in eine Gesellschaft, die seine Arbeit nicht brauchen kann, habe auf der Erde nichts verloren: "Beim großen Gastmahl der Natur ist kein Gedeck für ihn aufgelegt. Die Natur gebietet ihm, sich davon zu machen, und sie zögert nicht, den Befehl selbst auszuführen."

Das war Sozialdarwinismus, als es den Sozialdarwinismus noch gar nicht gab. In späteren Auflagen wurde die Passage gestrichen, weil sie den Geist von Malthus’ Lehre zu unverblümt auf den Punkt brachte. Sie beschreibt genau die Überheblichkeit und die Kälte im Umgang mit den Armen, die Dickens auf die Palme brachten und der er - zumeist euphemistisch verbrämt - so oft begegnete. In der ersten "Strophe" von A Christmas Carol erweist sich Ebenezer Scrooge als Anhänger von Thomas Malthus. Seinen Beitrag zur Gemeinschaft leistet er, indem er mit seinen Steuern für Gefängnisse und Armenhäuser zahlt.

Scrooge ist ein geiziger und hartherziger Geschäftsmann in der Londoner City. An Heiligabend kommt ein Mann in sein Büro und bittet um eine Spende für Menschen in Not. Sollen sie ins Armenhaus gehen, meint Scrooge. Viele würden lieber sterben, sagt der Herr. Sollen sie machen, erwidert Scrooge, und so einen Beitrag zur Reduzierung des Bevölkerungsüberschusses leisten. Dann erscheint ihm der Geist seines früheren Kompagnons Jacob Marley, der dazu verdammt ist, unter den Menschen zu wandern und eine Kette aus Geldkassetten, Verträgen, Kontobüchern und anderen aus Stahl geformten Utensilien eines Geschäftsmannes zu tragen, die er in einem Leben voller Habsucht selbst geschmiedet hat.

Marleys Geist kündigt Scrooge den Besuch von drei Gespenstern an, die ihn, immer mit dem Weihnachtsfest im Zentrum, durch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft führen werden. Geleitet von diesen Gespenstern reist Scrooge durch sein eigenes Leben (von der Kindheit bis zu seinem einsamen Tod) und durch verschiedene Gesellschaftsschichten, wo er Zeuge von Not und Elend wird, aber auch von Humanität und Gemeinsinn. Da Dickens die Spukgeschichte mit dem Märchen kombiniert kehrt Scrooge als geläuterter Mensch von der magischen Reise zurück, als ehemaliger Geizkragen und Halsabschneider, der sich in einen Wohltäter verwandelt hat.

Weihnachten zwischen Schrecken als Effekt und dem Einkaufszentrum

A Christmas Carol erschien am 19. Dezember 1843 in einer bis Weihnachten ausverkauften Auflage von 6.000 Exemplaren, Ende 1844 war die 13. Auflage erreicht (erste Verfilmung 1901). Es folgten weitere Weihnachtsgeschichten mit Geistern und anderen Spukwesen sowie Leseabende, die zum gesellschaftlichen Ereignis wurden, weil Dickens auch ein großer Vortragskünstler war - ein Künstler mit einer gegen die Ausbeutergesellschaft gerichteten Weihnachtsbotschaft. Durch den großen, Nachahmer auf den Plan rufenden Publikumserfolg etablierte Dickens die klassische Geistergeschichte als eine mit sozialem Gewissen. Worauf es ihm ankam war die Gesellschaftskritik, mit Religion und Spukgestalten als Vehikeln.

Den meisten von Dickens’ Nachfolgern ging es primär darum, den Lesern Angst einzujagen. Einige brachten es darin zu großer Meisterschaft, aber der ursprüngliche Antrieb, die Wut über eine ungerechte Gesellschaft, hatte sich verflüchtigt und wurde durch den Schrecken als Effekt ersetzt. William Dean Howells war als Romanautor mehr dem Realismus zugewandt als der Phantastik (sein bekanntestes Buch, The Rise of Silas Lapham, schildert Aufstieg und Fall eines amerikanischen Unternehmers). Er sah sich die Entwicklung genauer an und gelangte zu dem Ergebnis, dass es nicht die Gespenster waren, die ihn, den Realisten, störten.Zwischen Steuersenkung und Umverteilung, oder auch: Schieß nicht auf den Weihnachtsmann!

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Weihnachten zwischen Schrecken als Effekt und dem Einkaufszentrum (13 Bilder)

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1886 beklagte Howells in einem Leitartikel für die Zeitschrift Harper’s, dass der weihnachtlichen Geistergeschichte der Weihnachtsbezug abhanden gekommen sei. Damit meinte er nicht die Jahreszeit, den Kauf von Geschenken oder das Glühweintrinken, sondern "die ethische Absicht, die Dickens’ Weihnachtsgeschichten ihre Würde gab". Vergessen wir also nicht, dass wir, wenn wir von der "klassischen Geistergeschichte" reden, auch von der Kritik an einer ungerechten Gesellschaft reden und von Leuten, die für Geld über Leichen gehen.

Den zentralen Satz von The Changeling sagt George C. Scott: "Sie sind der Nutznießer der grausamsten Art des Mordes, des Mordes aus Profitgier." Aber zuerst soll es hier um den Weihnachtsmann gehen und um den Film The Silent Partner, in dem Santa Claus eine Bank überfällt. In Deutschland lief der Film als Dein Partner ist der Tod. Der Originaltitel ist besser. Er spielt auf The Secret Sharer von Joseph Conrad an (Der stille Teilhaber, auch eine Mordgeschichte) und auf Silent Night, die Stille Nacht. Drabinsky produzierte ihn, wie auch The Changeling, mit seinem damaligen Partner, dem früheren Schauspieler Joel B. Michaels.

Am Anfang sehen wir den wichtigsten Schauplatz des Films, das Einkaufszentrum. Es ist der 14. Dezember, das Weihnachtsshopping ist in vollem Gange. Die Heilsarmee spielt ein Lied dazu, und unter die Menschenmenge mischen sich mehrere Weihnachtsmänner, drei davon sogar in einer Gruppe. Wer die Anonymität sucht und nicht erkannt werden will kann es schlechter treffen als mit einem solchen Kostüm und Rauschebart. Der Film nimmt sich etwas Zeit, um uns das Shopping Centre zu zeigen und den Außenlift, in dem ein Mann im Mantel und mit einer Aktentasche nach unten fährt.

In den ersten Minuten ahnt man schon, dass das ein sorgfältig inszenierter Film ist. Regie führte Daryl Duke, der zuvor schon den sehr guten Payday gedreht hatte und mit dessen baldigem Durchbruch jahrelang gerechnet wurde. Leider trat er nie ein. Duke blieb meistens beim Fernsehen hängen und war ansonsten der Regisseur für schlecht verliehene Kinofilme, bei denen man sich fragte, woher sie kamen und wer sie gemacht hatte, wenn sie doch noch ein Publikum fanden. The Silent Partner ist dafür das beste Beispiel: ein Schläfer, der lange darauf warten musste, auf DVD herauszukommen und dann durch seine Qualität beeindruckte.

Der David Beckham der Bankräuber

Einer von den Weihnachtsmännern beobachtet den Mann mit der Aktentasche. Mr. Fogelman betreibt auf der Dachetage des Einkaufszentrums ein Restaurant. Täglich zur Mittagszeit bringt er eine größere Summe Bargeld in die von Santa Claus ausspionierte Filiale der (fiktiven) First Bank of Toronto. Ein Räuber, der sein Geschäft versteht, schlägt erst zu, wenn Fogelman die Einzahlung getätigt hat. Miles Cullen ist Chefkassierer und in seine Kollegin Julie Carver verliebt, ist aber zu zurückhaltend, um ihr mehr als vorsichtige Avancen zu machen. Julie wirkt generell nicht abgeneigt, steckt aber in einem Gefühlswirrwarr und müsste energischer umworben werden, wozu Miles nicht gewillt oder in der Lage ist.Zwischen Steuersenkung und Umverteilung, oder auch: Schieß nicht auf den Weihnachtsmann!

Damals gab es kein E-Banking, man füllte Einzahlungs- und Überweisungsformulare mit Kohlepapier und Durchschlag für die Kunden aus. In der Romanvorlage des Dänen Anders Bodelsen, in deutscher Übersetzung als Geld zum zweiten Frühstück erschienen, ist der Erzähler ein Pedant. Es kommt vor, dass Kunden die Formulare als Unterlage benutzen. Durch die Kritzeleien werden die Durchschläge unleserlich und als Beleg unbrauchbar. Der Kassierer hat sich deshalb angewöhnt, die Formulare nach Dienstschluss durchzusehen und die unbrauchbar gewordenen auszusortieren.

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Der David Beckham der Bankräuber (24 Bilder)

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Der Kassierer entdeckt dabei den Text auf dem Zettel für den Banküberfall, den offenbar jemand eingeübt hat, mit einem Überweisungsformular als Unterlage. Der Film überspielt sehr geschickt das etwas weit Hergeholte dieser Ausgangsidee, indem er mehrere Bereiche kombiniert, statt sich auf den Bankraub zu beschränken. Feierabend. Der Sicherheitsmann lässt die letzten Kunden aus der Bank. Es war ein langer Tag mit viel Betrieb. Miles Cullen malt mit dem Fingernagel etwas auf ein Überweisungsformular, zeigt Julie das Cocktailglas auf dem Durchschlag und fragt, ob sie ihn noch auf einen Absacker mitkommen will.

"Keine Zeit", sagt Julie. Der verhinderte Liebhaber nimmt ein neues Formular, malt ein Herz darauf, zieht das Deckblatt ab und entdeckt neben dem Herz auf dem Durchschlag einen Text in Großbuchstaben: "Das Ding in meiner Tasche ist eine Pistole. Geben Sie mir das ganze Bargeld." Damit sind mehrere Spuren ausgelegt, denen der Film im Lauf der Handlung folgen wird. Vorher, als wir mit der Kamera die Bank betraten, an der Werbung für eher spießige Träume vorbei, für Lebensversicherungen und Immobilienkredite, haben wir an einem der Schalter einen uniformierten Polizisten gesehen und am Tisch mit den Formularen einen Weihnachtsmann, der gerade wegging.

Es hilft, aufmerksam hinzuschauen, aber man muss nicht Sherlock Holmes sein, um zu kombinieren, was das bedeutet. Auf dem Durchschlag begegnet der verhinderte Liebhaber, der gern Julies Herz stehlen würde, dem verhinderten Räuber, der das Geld der Bank stehlen will (bzw. ihrer Kunden) und schon den Zettel für den Überfall geschrieben hatte, die Ausführung des Plans aber verschob, weil der bewaffnete Polizist am Schalter stand. Zurück ließ er, ohne es zu wissen, die Nachricht mit der Pistole.

"Manchmal ist eine Zigarre eben nur eine Zigarre", soll Sigmund Freud gesagt haben, weil er fand, dass sich die Suche nach einer sexuellen Symbolik auch übertreiben lässt. Und manchmal ist eine Pistole eben nicht nur eine Pistole, sondern auch ein Penis. Der Text auf dem Durchschlag ist doppeldeutig. Ihn hat ein bewaffneter Bankräuber geschrieben und ein Mann, der darauf hinweist, dass er einen Penis in der Hose hat. Offenbar hält er das für erforderlich. Christopher Plummer, der Harry Reikle spielt, wird danach feminin geschminkt sein, mal mehr und mal weniger auffällig, und seinen letzten Auftritt in einem Frauenkostüm absolvieren.

Reikle ist seiner Zeit voraus. 15 Jahre, bevor der Begriff geprägt wurde, ist er bereits "metrosexuell" - also ein Mann, der nicht schwul ist, aber Eigenschaften hat, die als mehr weiblich als männlich gelten und zu den gängigen Schwulenklischees passen. Von den herkömmlichen Rollenbildern gelöst hat er sich nicht. In einer Art Überkompensation muss er deshalb seine maskuline Potenz herausstellen (die Pistole in der Hose). Das äußert sich in zwei schockierenden Gewaltausbrüchen. Oberflächlich betrachtet könnte man denken, dass Reikle ein sadistischer Psychopath ist, doch die Sache ist komplexer.Zwischen Steuersenkung und Umverteilung, oder auch: Schieß nicht auf den Weihnachtsmann!

Reikle, der von Plummer mit furchteinflößender Brillanz gespielte Gewaltverbrecher (und Vorgänger so manches Serienmörders späterer Jahre), greift auch in das Liebesleben des Kassierers ein, das durch seine Intervention einige unerwartete Wendungen nimmt. Dabei sollte man nicht vergessen, dass Herz und Text auf dem Durchschlag des Einzahlungsbelegs einer Bank zu sehen sind, in einem Einkaufszentrum. Wir sind im Herzen der Konsumwelt, in der die Potenz auch etwas mit dem Geld zu tun hat, und mit dessen erotisierender Wirkung. Aus der sich anbahnenden Beziehung zwischen Miles und Julie, in der Harry Reikle und seine finanziellen Angelegenheiten als Katalysator wirken, ist das nicht wegzudenken.

Filmemachen im Steuerparadies

Auf dieser Grundlage, dem Durchschlag in der Hand des Kassierers, wird sich nun eine intelligent erzählte Geschichte mit glaubwürdigen, logisch nachvollziehbaren Wendungen entwickeln und nicht einer jener Thriller, die unmotivierte, durch nichts vorbereitete Überraschungen aus der Schublade ziehen müssen, weil sich die Autoren in eine Sackgasse manövriert haben und nicht wissen, wie sie wieder herauskommen sollen. Das Drehbuch schrieb der später als Regisseur von L.A. Confidential bekannt gewordene Curtis Hanson, dem man so etwas bis dahin gar nicht zugetraut hätte. Der Rest lief ab wie oft beim Film: anders als geplant.

Hanson hatte bereits den von Roger Corman produzierten Psychopathen-Krimi Sweet Kill inszeniert und verfasste das Drehbuch zu The Silent Partner in der Erwartung, dass er auch Regie führen würde. Dann erhielt er von einem großen Hollywoodstudio, der Paramount, das Angebot, das Script zu White Dog zu schreiben, den Roman Polanski nach Chinatown inszenieren sollte. Diese Chance, in die erste Liga aufzusteigen, wollte er nutzen und vorher noch ein paar leicht verdiente Dollars mitnehmen. Darum verkaufte er an Joel B. Michaels und Garth H. Drabinsky eine dreimonatige Option auf The Silent Partner.

White Dog

Michaels und Drabinsky hatten bis dahin nichts Wesentliches zustande gebracht (Drabinsky schlug sich gerade mit The Disappearance herum, einem hervorragenden Thriller mit Donald Sutherland als Auftragskiller, der zerstückelt und dann notdürftig wieder zusammengesetzt wurde und heute ein Geheimtipp ist). Hanson war überzeugt, dass diese Typen eine Produktion wie The Silent Partner nicht stemmen würden, er also deren Geld einstreichen, das Buch für White Dog schreiben und sich danach, nach dem Auslaufen der Option, wieder um Miles Cullen und Harry Reikle kümmern könnte.

Polanski traf im Haus von Jack Nicholson eine Minderjährige, wurde wegen Vergewaltigung angeklagt und verließ die USA. Hansons Drehbuch für White Dog wurde an andere Autoren weitergereicht, durchlief mehrere Überarbeitungen und landete nach Budgetkürzungen bei Sam Fuller, der einen sehr guten Film daraus machte, nachdem er das ihm überreichte Drehbuch noch einmal generalüberholt hatte - und zwar mit der Hilfe von Curtis Hanson, von dem er eine gute Meinung hatte, weil er der Autor von The Silent Partner war. So hatte am Ende auch Hanson etwas davon, dass es Drabinsky und Michaels doch geschafft hatten, ihr erstes gemeinsames Projekt zu finanzieren.

Hanson hatte nicht mit der kanadischen Regierung gerechnet. Weil die Filmproduktion in Kanada fast nicht existent war wurde 1967 die Canadian Film Development Corporation gegründet, die heutige Telefilm Canada, die 1968 Büros in Montreal und Toronto eröffnete. Die CFDC stellte Fördergelder und andere Formen geldwerter Unterstützung bereit, um die Produktion anzukurbeln. In den 1970ern löste das einen Boom aus. 1970 wurden in Kanada drei Spielfilme hergestellt, 1979 waren es 66. Allerdings wurde nur knapp die Hälfte dieser 66 Filme verliehen, die übrigen vergammelten im Archiv.

In gewisser Weise war das sogar ein Erfolg, weil auch die nicht gesehenen Filme wenigstens gedreht worden waren. Zuerst war das Förderprogramm so konzipiert, dass gewiefte Geschäftemacher staatliche Gelder abrufen konnten, ohne das Risiko eingehen zu müssen, nach der großzügig geförderten Projektentwicklung tatsächlich etwas zu produzieren (ein auch im deutschen Förderwesen nicht ganz unbekanntes Phänomen). Mitte der 1970er, als das Programm zunehmend in die Kritik geriet begann man umzusteuern und vermehrt auf steuerliche Anreize zu setzen.

Geldgeber wurden damit geködert, dass sie die komplette Investition von ihrem zu versteuernden Einkommen absetzen konnten. Das Resultat war durchwachsen, weil dieses Steuersparmodell Anleger anzog, denen die künstlerische Qualität eines Films egal war und oft auch, ob der Film jemals ins Kino kam. Umgekehrt dürften sich die Verantwortlichen für das Förderprogramm bei einigen Erfolgsfilmen gewünscht haben, dass sie nie das Licht eines Projektors erblickt hätten.

Shivers

David Cronenbergs Shivers (1975) spielte richtig Geld ein und verschaffte dem Filmland Kanada internationale Beachtung, löste aber einen Skandal aus und beschäftigte sogar das Parlament, weil der Staat solchen Schweinkram mit verrückten Wissenschaftlern und den Sexualtrieb steigernden Parasiten finanzierte. Andere Produzenten schielten ausschließlich auf den US-Markt, verfilmten sehr amerikanische Teenagerkomödien für ein amerikanisches Publikum und gingen im Extremfall für die Dreharbeiten in die USA, nachdem sie in Kanada mitgenommen hatten, was abzugreifen war.Zwischen Steuersenkung und Umverteilung, oder auch: Schieß nicht auf den Weihnachtsmann!

Kultur mit Einkaufszentrum

Michaels und Drabinsky finanzierten The Silent Partner mit einer Mischform aus staatlichen Fördergeldern und Steuererleichterungen für die Investoren. In den Richtlinien der CFDC stand etwas von kanadischer Kultur und von kanadischen Werten, die sich in den geförderten Filmen widerspiegeln sollten. Inzwischen war der Druck gewachsen, sich an solche Vorgaben auch zu halten, nachdem sie zu häufig ignoriert worden waren. Andererseits schielten Michaels und Drabinsky in erster Linie auf die USA und Europa, wo sie ihren Film verkaufen wollten. Weil Stars ein gutes Kaufargument sind engagierten sie den Amerikaner Elliott Gould und die Engländerin Susannah York für die Hauptrollen.

Um das auszugleichen besetzten sie die restlichen Rollen mit Kanadiern. Der junge John Candy spielt einen Bankangestellten, Christopher Plummer stammt aus Toronto, und Céline Lomez (Reikles Komplizin) war eine franko-kanadische Schlagersängerin, die dem Vernehmen nach nur deshalb keine Fernsehkarriere machte, weil sie den Produzenten von Charlie’s Angels zu sexy für die Hauptsendezeit und das dann in den USA vor der Glotze sitzende Publikum war.

Der Regisseur, Daryl Duke, kam in Vancouver zur Welt, und den Eltern der Jazzlegende Oscar Peterson muss man dafür dankbar sein, dass er in Montreal geboren wurde und nicht in Memphis oder New Orleans. Auch Peterson wurde angeheuert, um das kanadische Element zu betonen. Er komponierte eine jazzige und dezente Musik, die sich an den Film anschmiegt und auf subtile Weise Akzente setzt, statt ihn mit Gefühlskitsch und falschen Emotionen zu verkleben und, koste es was es wolle, die Geräusche der Popcornesser im Zuschauerraum zu übertönen.

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Wenn man so will fällt auch das Einkaufszentrum in die Kategorie "kanadische Kultur und kanadische Werte". Am Anfang sieht man das imposante Bauwerk aus der Froschperspektive und von außen, als solle allen Kritikern, die womöglich darüber meckern könnten, dass der kanadische Steuerzahler schon wieder einen Film ohne Kanada finanziert habe, gleich mit der ersten Einstellung der Wind aus den Segeln genommen werden. An der Schrift an der Fassade ist abzulesen, dass es sich um das Eaton Centre handelt, dessen erster Bauabschnitt soeben für die zahlende Kundschaft freigegeben worden war, als Duke dort The Silent Partner drehte.

Fertiggestellt wurde das Eaton Centre 1979, als auch das Cineplex eröffnet wurde, mit 18 Leinwänden damals das größte Multiplex-Kino der Welt. Das vom deutsch-kanadischen Architekten Eberhard Zeidler nach dem Vorbild der Viktor-Emanuel-Galerie in Mailand entworfene Einkaufszentrum ist eines der größten in Nordamerika und eines der ersten, die - gegen erhebliche Widerstände - in der City einer nordamerikanischen Stadt errichtet wurden, nicht irgendwo an der Peripherie. Es gibt kanadische Lokalpatrioten, die das Riesending erdrückend oder potthässlich finden oder beides und trotzdem stolz darauf sind.Zwischen Steuersenkung und Umverteilung, oder auch: Schieß nicht auf den Weihnachtsmann!

Zahlreiche Einkaufszentren, die danach entstanden, insbesondere in den USA, sind dem Eaton Centre nachempfunden oder schlicht davon abgekupfert. Das freut die Kanadier, die darunter leiden, dass sie der übermächtige Nachbar südlich der Grenze allzu oft in den Schatten stellt und mit ihnen umspringt wie mit einem kleinen Bruder, den man nach Belieben drangsalieren kann. So betrachtet hat The Silent Partner seinen Kulturauftrag erfüllt und das Vertrauen des kanadischen Steuerzahlers gerechtfertigt. Das Eaton Centre ist ein Wahrzeichen von Toronto und hat mehr Besucher als irgendeine andere Touristenattraktion in der Stadt.

Schade, dass die Produzenten ein Kaufangebot der Paramount ablehnten, als der Film fertig war (und von Curtis Hanson vollständig neu montiert, wie er später berichtete), weil sie sofort eine Abschlagszahlung wollten, statt bis zur Kinoauswertung auf ihren Gewinnanteil warten zu müssen. Geld auf die Hand bot ein unabhängiger Verleih, der im entscheidenden Moment Pleite ging. Das hatte zur Folge, dass in den USA kaum jemand diesen Film zu sehen kriegte, der mit einem monumentalen Beweis für die Überlegenheit der kanadischen Kultur beginnt, im Shopping-Bereich zumindest.

Auf einen Drink mit Frau und Fisch

Hanson hat ein Drehbuch mit viel Wortwitz geschrieben. "I’ll take a rain check", sagt Julie, wenn sie Miles’ Einladung ablehnt. "Verschieben wir’s auf ein andermal" wäre eine passable Übersetzung, aber dabei verliert man den Scheck (den man sich in der englischen Redewendung ausstellen lässt, um ihn bei geeigneter Gelegenheit einzulösen) und die Verbindung zum Geld (in der Bank), die alle Beziehungen in diesem Film auf die eine oder andere Weise haben. Miles will Julie den Durchschlag mit dem zweideutigen Text zeigen ("Das Ding in meiner Tasche ist eine Pistole" - und ein Penis), aber Julie geht weg, ohne hinzuschauen, weil sie denkt, dass das wieder eine seiner Kritzeleien ist.

Dann steht plötzlich Charles Packard neben ihm, der Filialleiter, und wir erfahren mit dem unangenehm überraschten Miles, dass Julie ein Verhältnis mit diesem Schnösel hat, also dessen Pistole kennt. Packard muss erst noch nach Hause zu seiner Frau. Miles soll mit Julie in eine Hotelbar gehen und ihr Gesellschaft leisten, bis er nachkommt (und mit ihr auf eines der Zimmer gehen kann). Das ist eine Variation auf Billy Wilders The Apartment (auch ein sehr sehenswerter Weihnachtsfilm über den Einfluss des Geldes und des Aufstiegswunsches auf menschliche Beziehungen), wo Jack Lemmon den Bonzen in seiner Firma seine Wohnung für Schäferstündchen mit den weiblichen Angestellten zur Verfügung stellt.

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Auf einen Drink mit Frau und Fisch (14 Bilder)

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Lemmon macht es, weil er im Austausch ein eigenes Büro in der Firma kriegt, und einen Schlüssel zur Cheftoilette. Ob Miles den Platzhalter für Packard spielt, weil er so doch noch zu seinem Date mit Julie kommt, oder ob er das für ihn (und Julie) entwürdigende Angebot akzeptiert, weil er sich berufliche Vorteile davon verspricht, bleibt zunächst offen. Auf dem Weg zur Bar gehen die beiden bei der Zoohandlung vorbei, wo Miles einen Fisch für sein Aquarium bestellt hat. Das georderte Exemplar ist ein Holacanthus tricolor, in Deutschland auch als Felsenschönheit bekannt und in englischsprachigen Ländern als Angelfish (Engelsfisch).Zwischen Steuersenkung und Umverteilung, oder auch: Schieß nicht auf den Weihnachtsmann!

Der tropische Fisch (und das Aquarium, in dem er demnächst schwimmen wird) symbolisiert Miles’ Traum von einem anderen Leben, am liebsten mit Julie, seinem Weihnachtsengel, der nach dem Besuch in der Tierhandlung neben ihm an der Bar sitzt. Auf dem Tresen hat Miles den Beutel mit der Felsenschönheit abgestellt. Die Figuren des Films werden wir ein um das andere Mal hinter Glasscheiben und Gittern sehen, was die Frage aufwirft, ob sie nicht auch Fische im Aquarium sind. Wer ist drin im Aquarium und wer draußen? Wer beobachtet und wer wird beobachtet? Wer ist die Ware in der Auslage der Geschäfte im Einkaufszentrum und wer steht vor der Scheibe und schaut sich das Angebot an?

Übrigens ist die vom Filialleiter gewählte Absteige das im Jahr darauf in Four Seasons umbenannte Hyatt Regency Hotel, ein 1972 gebauter Betonturm im Brutalismus-Stil, in dem viele Filmleute residierten, als das Internationale Filmfestival von Toronto noch in dieser Gegend konzentriert war. Darauf bezieht sich wohl Julies Bemerkung, dass sie sich darüber geärgert habe, wie Miles (= Gould, der US-Amerikaner) beim Betreten des Hotels angesehen wurde ("Wie ein Kalb, das zum Tor hereinkommt."). Im Hyatt Regency gab es denkwürdige Auftritte von Hollywoodgrößen, die sich über die herablassende und engstirnige Art beklagten, mit der die Kanadier auf ihre Filme reagierten. (Noch ein Kulturbeitrag.)

Die Ermordung des Weihnachtsfests

In einer Mittagspause steht Miles bei den Rolltreppen im Einkaufszentrum. Ein Weihnachtsmann sammelt für die Bedürftigen. "Geben Sie. Geben Sie. Geben Sie.", steht auf seinem Schild. "Give. Give. Give." Der Restaurantbesitzer mit der Aktentasche fährt mit dem Lift nach unten. Das ungewöhnliche "G" auf dem Schild ist das gleiche wie das "G" in "Gun" auf dem Durchschlag. Bei Miles fällt der Groschen. Santa Claus ist der Bankräuber mit der Pistole in der Tasche. Er beobachtet nun den Weihnachtsmann, der seinerseits den Gastronomen beobachtet. Der Überfall soll erst stattfinden, wenn Mr. Fogelman die Tageseinnahmen eingezahlt hat.

Miles ist rechtzeitig zurück in der Bank, um die Einzahlung entgegenzunehmen. Höllisch viel los in seinem Lokal, sagt Fogelman. Sogar bei diesem Regen (schlecht für ein Lokal auf der Dachterrasse). Aus weißen Weihnachten werde wohl nichts werden. So sollten Dialoge sein. Wir erfahren, dass Fogelman viel Umsatz macht, weil die Leute kurz vor Weihnachten das Einkaufszentrum stürmen und dass wir nicht mit einer White-Christmas-Seligkeit rechnen sollten. Der Weg zwischen Himmel und Hölle kann sehr kurz sein. Das Vehikel ist das Geld, das Fogelmans Gäste zu ihm nach oben tragen, in den Himmel des Einkaufszentrums.

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Der Gastronom bringt es zurück nach unten, in die Bank. Rund um dieses Geld wird sich ein Beziehungsdrama mit einem Personal entfalten, das auf seine jeweils eigene Weise davon träumt, mit der Rolltreppe nach oben zu fahren. Der Regen in Fogelmans Dialog knüpft an Julies "rain check" an, also an das Zusammensein mit Miles, das in die Zukunft verschoben wird, weil Miles nicht in der Lage ist, eine sich bietende Gelegenheit zu ergreifen. So wird es nicht bleiben. Den vielen sorgsam platzierten Details in The Silent Partner kann man folgen wie Perlen an einer Schnur. Sie geben dem Film die erzählerische Dichte.Zwischen Steuersenkung und Umverteilung, oder auch: Schieß nicht auf den Weihnachtsmann!

Weil das Geld eine erotische Komponente hat spricht Fogelman bewundernd über die großen Brüste von Louise, der neuen Angestellten in der Bank, während Miles seine Einnahmen zählt. Über diesen Brüsten trägt Louise T-Shirts mit anzüglichen Sprüchen wie "Penalty For Early Withdrawal". Wer sein Geld vor der vereinbarten Frist abhebt muss Strafzinsen zahlen, und eine Strafe wird auch fällig, wenn man etwas zu früh zurückzieht. Gemeint ist der Coitus interruptus. Kaum ist Fogelman gegangen kommt der Weihnachtsmann mit der Pistole zur Tür herein.

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Santa Claus nimmt ein Formular, schreibt etwas und ist schon auf dem Weg zum Schalter, als er vom kleinen Percy bestürmt wird. Der Junge möchte vom Weihnachtsmann wissen, ob er heuer ganz bestimmt die gewünschten Geschenke kriegt, einen Pelikan und eine Eisenbahn, und weil er nicht bs zur Bescherung warten will ist er kaum von der Tasche des Weihnachtsmanns fernzuhalten, aus der er die Präsente holen will. Sofort und auf der Stelle. Santa Claus ist unwirsch, murmelt etwas von einem vergessenen Scheckbuch und flüchtet aus der Bank. Der Überfall muss warten.

"So etwas", wundert sich Percys Mutter. "Ein Weihnachtsmann, der keine Kinder mag." Vielleicht mag Santa nur ihren Sohn nicht, oder das, was aus Weihnachten geworden ist. Für mich ist das ein Charles-Dickens-Moment. Dickens war zwar nicht der Erfinder des Weihnachtsfests, wie oft behauptet, trug mit seinen überaus erfolgreichen Geistergeschichten, in denen aus Geizhälsen wie Scrooge edle Spender und Wohltäter werden, aber unwillentlich zu dessen Kommerzialisierung bei, weil sich die von ihm propagierte tätige Nächstenliebe (zelebriert mit Punsch, Truthahn und Geschenken) in den Zwang zum Konsum und zum Verteilen von Präsenten verwandelte.

Dickens ermunterte Autoren wie Wilkie Collins und Elizabeth Gaskell, Geistergeschichten für die Weihnachtsnummern der von ihm herausgegebenen Zeitschriften zu verfassen, weil sie von den Lesern erwartet wurden. Er persönlich war so genervt von dem, was er angerichtet hatte, dass er bald keine Lust mehr hatte, selber welche zu schreiben. 1868, ein Vierteljahrhundert nach A Christmas Carol, stellte er die Veröffentlichung von weihnachtlichen Geistergeschichten ganz ein.

Einem Freund gegenüber bekannte er, dass er sich fühle, als ob er vor Jahren eine der Weihnachtsausgaben seiner Zeitschriften ermordet habe (und mit ihr das Weihnachtsfest, wie er es sich einmal vorgestellt hatte). Seither werde er vom Geist seines Opfers heimgesucht. So gesehen ist auch The Silent Partner eine Spukgeschichte. Es ist der Geist des durchkommerzialisierten Weihnachtsfestes, der umgeht im Shopping-Tempel. Bei der Eröffnung wurde diese Errungenschaft der modernen Konsumgesellschaft damit beworben, dass die Idee des Einkaufszentrums mit dem Eaton Centre in eine neue Dimension vorstoße. Vielleicht ist es die fünfte, die der Twilight Zone.

Wirtschaftstheorie mit zwei WeihnachtsmännernZwischen Steuersenkung und Umverteilung, oder auch: Schieß nicht auf den Weihnachtsmann!

Julie, meint Glenn Erickson, wäre lieber die Freundin von Miles Cullen als die Geliebte des Filialleiters, wenn er nur aufhören könnte, sich zu benehmen wie Clark Kent. Eben. Das muss anders werden. Miles kramt seine alte Superman-Brotzeitdose aus dem Küchenschrank und stellt fest, dass sie ausreichend Platz für drei Geldscheinstapel bietet. Die Dose nimmt er mit zur Arbeit. Dort macht er seine eigene Bank auf, indem er große Scheine durch kleine ersetzt. Die großen kommen als Einlage in die Superman-Dose, die kleinen in die Kasse. Wie jeden Tag bringt der Gastronom sein Geld.

Im Eingang begegnet Fogelman Louise und ihrem Kollegen Simonson, die gemeinsam zum Mittagessen gehen. Zwischen den beiden bahnt sich eine Romanze an. Der Film ist gut konstruiert und kombiniert gern verschiedene Erzählstränge, wenn eine Tür aufgeht. Dann kommt der Weihnachtsmann. Gut, dass es Schauspieler wie Christopher Plummer gibt, die mit Körpersprache so viel sagen können. Bei jedem Gang zur Bank wirkt Santa Claus mürrischer und erschöpfter. Als Bankräuber im Weihnachtsgeschäft hat man es nicht leicht.

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Im dritten Anlauf legt er endlich seine Botschaft auf den Tisch: "Ich habe eine Pistole. Geben Sie mir das ganze Bargeld." Bei jedem Versuch ein neuer Zettel. Der Weihnachtsmann ist ein Profi, und ein Profi trägt kein belastendes Material mit sich herum. Den Hinweis auf die Tasche hat der diesmal weggelassen. Wahrscheinlich ist das den schlechten Erfahrungen mit der Mutter und ihrem gierigen Kind geschuldet, das in seiner Tasche nach Geschenken kramen wollte, als Santa Claus auch schon den Eindruck machte, dass er noch Plattfüße kriegen wird, wenn er nicht bald sein Ziel erreicht.

Miles gibt dem Weihnachtsmann das Geld in seiner Kasse. Das ist viel zu wenig, weil der Kassierer den Löwenanteil in seine Privatbank transferiert hat. Miles löst den Alarm aus. Santa Claus muss türmen. Nach einer Schießerei mit dem Wachmann entkommt er im Auto eines Mannes, der gerade einen Christbaum festzurrt. Schließlich ist Weihnachtszeit. Miles muss blöde Fragen wie die beantworten, ob er noch immer an den Nikolaus glaubt, und der Weihnachtsmann alias Harry Reikle muss in den Fernsehnachrichten vom überfallenen Kassierer hören, wie viel Geld er angeblich gestohlen hat: 48.350 Dollar.

Heute denkt man sich, dass das Peanuts sind. The Silent Partner entstand aber lange vor der Finanzkrise. Damals waren 50.000 Dollar nicht so wenig - und steuerfrei, wie Cullens Kollege Simonson anmerkt. An dieser Stelle muss man Frank, dem übereifrigen Wachmann, leider einen Tadel aussprechen. Er schießt auf Santa Claus und hat scheinbar noch nichts von der "Two-Santa Theory" gehört, die weiter südlich, in den USA, gerade diskutiert wurde, als Curtis Hanson in Los Angeles sein Drehbuch schrieb und nicht ahnte, dass es in Kanada verfilmt werden würde.

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Der Vater der "Zwei-Weihnachtsmänner-Theorie" ist der Wirtschaftsjournalist, Ökonom und Meinungsmacher Jude Wanniski, der später eine wichtige Rolle beim Wall Street Journal spielte und im März 1976, als er seine Theorie veröffentlichte, politischer Kolumnist bei der Wochenzeitung National Observer war. Damals schrieb er bereits an seinem 1978 erschienenen und häufig neu aufgelegten Hauptwerk The Way the World Works, das zu einem der kanonischen Texte der republikanischen Steuersenkungsideologie wurde und darum oft in Listen mit den hundert wichtigsten Büchern des 20. Jahrhunderts auftaucht. Die Theorie mit den zwei Weihnachtsmännern war ein Nebenprodukt dieses seines Magnum Opus.

Oberster Leitsatz: Schieß nicht auf Santa Claus! Warum nicht? Weil das schlecht für die amerikanische Wirtschaft ist, und schlecht für die Republikanische Partei. Der eine Weihnachtsmann in Wanniskis Theorie sind die Demokraten. Wenn sie an der Macht sind ziehen sie den Spendierstrumpf an und lassen reiche Gaben über das Land regnen, um von oben nach unten umzuverteilen. Die oppositionellen Republikaner versprechen dagegen eine Senkung der Steuersätze. Sobald sie aber die Wahl gewonnen haben trauen sie sich nicht, ihr Versprechen wahr zu machen.

Wenn Republikaner das Land regieren, so Wanniski, sehen sie, was für ein Defizit ihnen die Demokraten hinterlassen haben. Also verhalten sie sich wie Scrooge in Dickens’ A Christmas Carol und wollen erst sparen und den Haushalt sanieren, bevor sie die Steuern senken. Darum werden sie bald wieder abgewählt. Die Demokraten sind viel geschickter. Sie sind ein doppelter Weihnachtsmann und plädieren sogar angesichts eines hohen Staatsdefizits für weniger Steuern. Beim Wahlvolk kommt das gut an, aber es ist schädlich für die Wirtschaft, weil die Demokraten die Steuern nicht entschlossen genug senken und wieder nur eine Umverteilung im Sinn haben.

Statt sich wie Scrooge aufzuführen und quasi den Weihnachtsmann zu erschießen müssen die Republikaner selbst einer werden, indem sie auch Gaben verteilen, in Form von Steuersenkungen, die zuerst den Besserverdienern zugute kommen. Das nützt der Wirtschaft, weil ein Ingenieur mehr produziert als ein Arbeiter, der einen Graben gräbt. Hohe Steuersätze wirken demotivierend. Die Amerikaner arbeiten weniger und investieren weniger, Freizeit und Konsum verdrängen die produktive Tätigkeit und das Geldverdienen. Niedrige Steuersätze haben die gegenteilige Wirkung.

Steuersenkungen erhöhen die Risiko- und Investitionsbereitschaft, es wird mehr gearbeitet, die Wirtschaft brummt, die Republikaner steigern den Reichtum der Bevölkerung und verbessern ihre Wahlchancen. Darum müssen auch sie ein Weihnachtsmann sein, statt auf ihn zu schießen. Wanniski wurde bald danach der Berater von Ronald Reagan, der sich als Kandidat für die nächsten Präsidentschaftswahlen warmlief und den er in der Two-Santa Theory noch kritisiert, weil ihm seine Steuersenkungspläne zu ängstlich sind.

Im November 1980 wählten die Amerikaner den Weihnachtsmann der Republikanischen Partei zu ihrem Präsidenten. Reagan bescherte den Besserverdienern die größte Steuersenkung seit den 1920ern und vor Donald Trump, der dieselbe alte Botschaft hinausposaunt: Niedrige Steuersätze erhöhen mittel- und langfristig die Staatseinnahmen, weil mehr gearbeitet, riskiert und investiert wird. Irgendwann haben auch die Amerikaner mit geringem Einkommen etwas davon, weil die Segnungen der Steuersenkungspolitik von oben nach unten tröpfeln. Mit Betonung auf "irgendwann".

"Denk an eine Zahl"Zwischen Steuersenkung und Umverteilung, oder auch: Schieß nicht auf den Weihnachtsmann!

Wenn man The Silent Partner gesehen hat wird man nicht bestreiten wollen, dass die Aussicht auf ein steuerfreies Einkommen die Eigeninitiative und die Risikobereitschaft fördert. Harry Reikle übernimmt beide Santa-Rollen. Erst schlüpft er in das Kostüm des Demokraten-Weihnachtsmanns. Geben Sie für diejenigen, die weniger Glück gehabt haben (oder weniger erfolgreich sind - less fortunate hat beide Bedeutungen), steht auf dem Plakat, mit dem er für Leute sammelt, die sich das Shoppen im luxuriösen Einkaufszentrum nicht leisten können. Das ist die Umverteilung. Viel kommt da nicht zusammen.

Besser, man ist seines eigenen Glückes Schmied. Harry ist ein Vorausdenker des von Ronald Reagan entfesselten Wallstreet-Kapitalismus der 1980er. Der Einfachheit halber mimt er gleich selbst den Weihnachtsmann - jetzt in der von Wanniski geforderten Republikaner-Variante - und holt sich das Geld von der Bank. Da liegt es zum Abholen bereit. Dumm daran ist nur, dass das Nachspielen wirtschaftlicher Theorien mit Figuren aus der Populärkultur unerwartete Risiken birgt. Der Weihnachtsmann trifft auf Superman, womit er nicht gerechnet hat. Auch der Kassierer entwickelt Eigeninitiative und eröffnet seine eigene Privatbank in der Brotzeitdose.

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Damit ist Miles Cullen der Konkurrenz einen Schritt voraus. Das wusste schon Bert Brecht. "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?", fragt Mackie Messer in der Dreigroschenoper. "Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes?" Und was macht ein düpierter Bankräuber, wenn er merkt, dass er vom Angestellten einer Bank übers Ohr gehauen wurde? Reikle geht (mit femininem Make-up) in die Sauna, vergewaltigt eine junge Frau und verletzt sie schwer. So beweist er seine Potenz - wenn schon nicht die finanzielle, dann wenigstens die maskuline.

Jenseits dieser von Harry Reikle repräsentierten Schattenwelt, im Leben der Angestellten, ist auch nicht alles Gold, was glänzt. Die Weihnachtsfeier im Haus des Chefs ist eine von der Sorte, die man nur ertragen kann, wenn man sich besäuft oder sich bekifft. Simonson wählt Möglichkeit 1. Julie will einen Joint rauchen, hat aber ihre Handtasche mit dem Gras im Badezimmer liegen lassen. Miles geht als Kavalier nach oben, macht die Badtür auf und überrascht den Arbeitskollegen Berg beim Quickie mit der betrunkenen Louise. Damit ist - im Winter - eine Bombe gelegt, die im Sommer explodieren wird, dies aber so dezent, dass man es kaum merkt.

Eine alte Theaterregel lautet, dass ein Charakter interessant wirkt, wenn man Leute zu ihm auf die Bühne stellt, die sagen, dass er interessant ist. Die Frau des Filialleiters findet, dass Miles ein Mensch ist, den man leicht unterschätzt. Julie hört das, lässt sich nach der Weihnachtsfeier von ihm nach Hause bringen und willigt ein, auf einen Cognac bei seiner Wohnung anzuhalten. Miles habe sich verändert, meint sie, oder sie habe ihn unterschätzt. Was würde er mit dem geraubten Geld machen? Miles ist ein kühler Rechner, bei dem immer die Kasse stimmt. Bis ans Lebensende würde es nicht reichen, antwortet er. Aber man könnte sich damit eine zweite Chance kaufen.

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"Denk an eine Zahl" (2) (17 Bilder)

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In der Wohnung steht das Aquarium mit den tropischen Fischen, das Miles Cullens Traum von einem anderen Leben repräsentiert, weit weg von der täglichen Langeweile in der Bank. Julie legt den Kopf an die Scheibe des Aquariums, bevor sie fragt, ob es in dieser zweiten Chance einen Platz für sie gibt. Durch die Spiegelung wird ihr Kopf verdoppelt. Der eine ist vor der Scheibe, der andere sieht aus, als wäre er dahinter. Bei diesem Aquarium wird der Traum vom Leben in der Südsee in den schlimmsten Albtraum umschlagen, mit einem abgeschnittenen Menschenkopf hinter dem Glas.

Es gibt zwei dramaturgisch gerechtfertigte Gewaltausbrüche in dem Film, die man braucht, um die Geschichte zu erzählen. Beide haben es in sich, weil Christopher Plummer ein so überzeugender Bösewicht ist. Der eine, die Vergewaltigung in der Sauna, hat schon stattgefunden. Jetzt gibt es erst einmal eine Liebesszene mit Julie und Miles, zwischen Fernseher und Aquarium. Miles hat den Reißverschluss an Julies Kleid geöffnet, da klingelt das Telefon. "Denk an eine Zahl", sagt die Stimme von Harry Reikle. "Denk an 48.350." "Falsch verbunden", sagt Miles und beim nächsten Anruf wieder: "Falsch verbunden."

Auch mit abgenommenem Hörer ist Miles nicht mehr in der Stimmung für Sex mit Julie. Unter dem Vorwand, dass sie zu viel getrunken haben und dass sie das jetzt nicht machen sollten bringt er sie nach Hause. Julie kann gar nicht anders, als zu denken, dass der Mann ein Eigenbrötler ist und eine Macke hat. Nach dem Überfall war Miles im Fernsehen. Dadurch ist er interessant geworden. Frauen halten ihn für unterschätzt. Reikle hat ihn und Julie einander näher gebracht. Kurz vor dem ersten Sex trennt er sie. Das ist der Beginn einer unheimlichen Partnerschaft, die sich nun entwickelt.

Besuch vom Weihnachtsmann

Wenn Miles zurück nach Hause kommt ist das Licht neben dem Schachbrett an. Reikle war in seiner Wohnung. Vom Fenster hinter dem Schachbrett kann man die Telefonzelle sehen, von der Reikle anruft. Miles weiß zu dem Zeitpunkt nur, dass der Anrufer der Weihnachtsmann ist, aber nicht, wie er heißt und wo er wohnt. "Wir sind Freunde", sagt der Mann. "Wir sind dasselbe Risiko eingegangen. Wir ... wir sind Partner." Zwei Unternehmer, könnte man auch sagen, die etwas riskiert haben, um an das steuerfreie Geld zu kommen. Der eine ist der Doppelgänger des anderen.

Im Zeitalter der Mobiltelefone müsste man sich eine neue Szene ausdenken. Reikle könnte auch mit Smartphone unten auf der Straße stehen, aber die Scheiben der Telefonzelle würden einem abhanden kommen, und die sind wichtig, weil man das Aquarium nicht vergessen darf und sich wieder fragen soll, wer hinter der Scheibe ist und wer davor. Reikle hat seine Pistole mitgebracht und zeigt sie erstmals vor. Die Polizei kann Miles nicht alarmieren, weil er mit dem Mann in der Telefonzelle durch dasselbe Verbrechen verbunden ist. Wenn der Anrufer in den Knast geht tut er es auch.

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Besuch vom Weihnachtsmann (24 Bilder)

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Plötzlich ist die Zelle leer, als wäre der Anrufer eine Ausgeburt von Miles’ Phantasie gewesen. Miles verbarrikadiert die Wohnungstür. Reikle steht davor, hebt das Metall vor dem Briefschlitz an und schaut von draußen in die Wohnung. Das ist ein schöner Regieeinfall. Miles ist jetzt wie ein Fisch im Aquarium, der von außen beobachtet wird. Die bürgerliche Wohnung ist nicht mehr der Hort der Geborgenheit, sondern ein Gefängnis. Aber durch den Schlitz in der Tür sieht Reikle nur einen Ausschnitt. Reikle sieht nicht das Schachbrett, und wir wissen schon, dass Miles Cullen ein Mann ist, den man nicht unterschätzen sollte. Drehbuch und Regie haben diese Szene sehr gut vorbereitet.

Bei der Weihnachtsfeier im Haus des Filialleiters hat Miles erzählt, dass er, wenn er das geraubte Geld hätte, einen Blowfish kaufen würde. Damit ist nicht der erst später entwickelte Verschlüsselungsalgorithmus gemeint, sondern ein Kugelfisch für das Aquarium. Ich habe mich informiert und weiß jetzt, dass das ein potentiell giftiger und jedenfalls scheuer Fisch ist, der Menschen aus dem Weg geht. Kugelfische haben ein kräftiges Gebiss. Größere Exemplare können einem den Finger abbeißen, wenn man ihnen zu nahe kommt. Außerdem ist Miles noch Schachspieler. Der Weihnachtsmann sollte auf der Hut sein.

Er werde ihm nun etwas Zeit lassen, sagt Reikle durch den Briefschlitz, in der Miles sich überlegen kann, ob er ihm nicht lieber das Geld geben will. Sonst werde er ihn eines Tages in seiner Wohnung vorfinden, wenn er nach Hause kommt, und das werde er bedauern. Am nächsten Abend kommt Miles aus der Bank. Reikle hat seine Wohnung durchwühlt und einen seiner Fische erdolcht. Wieder klingelt das Telefon. "Kommst du runter oder komme ich rauf?", will der Weihnachtsmann wissen. "Besser, du kommst hoch", sagt Miles und flüchtet aus der Wohnung, sein Schachbuch in der Hand, während Reikle, die Pistole halb aus der Tasche gezogen, nach oben geht.

Da scheint sich nun eine Konfrontation zwischen Gewalt und Intellekt anzubahnen, aber letztlich ist es doch komplizierter, weil das eine Doppelgängergeschichte ist, und die Geschichte einer Partnerschaft. Reikle verschafft sich Zugang zur leeren Wohnung. Als er drin ist klingelt das Telefon. "Ich bin’s", sagt Cullen am anderen Ende der Leitung, in der Zelle. "Fick dich." Die Partner haben den Platz getauscht. Miles folgt dem (stark geschminkten) Reikle auf dessen Nachhauseweg. Sobald er die Adresse des Weihnachtsmanns kennt denkt er sich eine recht originelle (und komische) Methode aus, die zu dessen Verhaftung führt.

Romantik, Sex und schäbige Affären

Reikle wird wegen der Vergewaltigung verurteilt und nicht wegen des Bankraubs, weil Miles ihn nicht identifizieren kann, ohne sich selbst zu belasten. Die Gegenüberstellung, bei der er so tut, als würde er den Weihnachtsmann nicht erkennen, ist an Heiligabend. Da kam das Jesuskind zur Welt. Zwischen Geburt und Tod ist mitunter nur ein Filmschnitt. In der nächsten Szene sind wir auf einem Friedhof. Miles’ Vater haben wir bei einer Weihnachtsfeier im Altenheim kennengelernt, bei der die Insassen von der Heimleitung mit Weihnachtsliedern beschallt wurden. Jetzt ist Sommer und der Vater ist gestorben.

Beim Begräbnis trifft Miles die attraktive Elaine, die behauptet, Pflegerin im Altenheim zu sein und oft mit dem Vater über seinen Sohn gesprochen zu haben. Das muss man ihr nicht glauben, weil der Vater an Demenz erkrankt war und nie ein Wort gesagt hat. Tatsächlich ist sie die Komplizin von Harry Reikle, der sie geschickt hat, um herauszufinden, wo Miles die Beute versteckt hat. Der Verbleib des Geldes ist einer der vielen witzigen Einfälle in dem Film. Was macht man mit 50.000 Dollar? Man bringt sie zur Bank. Wenn das Finanzamt davon nichts mitkriegen soll mietet man ein Schließfach. Am besten anonym oder unter anderem Namen.Zwischen Steuersenkung und Umverteilung, oder auch: Schieß nicht auf den Weihnachtsmann!

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Romantik, Sex und schäbige Affären (24 Bilder)

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Das Leben des risikofreudigen Unternehmers wäre einfacher, wenn nicht auch das Servicepersonal gelegentlich eigeninitiativ werden würde. Die Putzfrau räumt Miles’ Kühlschrank aus und wirft das Glas mit der alten Johannisbeermarmelade weg. Da ist der Schlüssel zum Schließfach drin, und weil die Müllabfuhr schon da war, wenn er nach Hause kommt, muss Miles sich einen neuen Plan ausdenken, um an das Geld zu kommen. Dafür braucht er Elaine, der in diesem an Hitchcock geschulten Spannungsteil der Geschichte eine Hauptrolle zufällt.

Elaine wird dabei klar, dass sie lieber die Partnerin von Miles als die von Harry sein möchte, und weil das Leben auch Romantik braucht bleibt wenigstens halbwegs offen, ob das mehr mit dem Geld oder vielleicht doch mit anderen Werten zu tun hat. Das ändert nichts daran, dass alle Beziehungen in diesem Film in einem kapitalistischen Zusammenhang stehen. "Er hat uns beide gefickt", stellt Reikle fest, wenn er vorzeitig aus dem Gefängnis freikommt, weil einer seiner Schläger-Freunde die vergewaltigte Frau dazu gebracht hat, ihre Anzeige zurückzuziehen - Elaine im sexuellen Sinne und ihn, indem er ihn um die Beute geprellt hat.

Vor dem ersten Sex, in Miles’ Wohnung, macht Elaine das elektrische Licht aus, wegen der Romantik. Miles überprüft zur Sicherheit, dass sie dabei nicht die Luftpumpe des Aquariums mit abgestellt hat, weil seine Fische sonst ersticken würden (ein schlechtes Omen). Nach dem Sex zündet sich Elaine die Zigarette an, die üblich war, als in Filmen noch geraucht wurde. Miles will lieber Informationen. Eine Altenpflegerin ist die Frau nicht. Wer sonst? Elaine gibt offen zu, dass Harry Reikle sie geschickt hat, um seine finanziellen Interessen wahrzunehmen, solange er im Knast sitzt. Ohne das Geld in der Bank hätte Miles Elaine nie kennengelernt.

Bei einem ihrer ersten Dates gehen die beiden zur Hochzeit von Louise und Simonson, Miles’ Kollegen. Eigentlich ist das recht herzerwärmend. Die Brautleute sind zwei Klischeefiguren. Gail Dahms spielt die dumme Blondine, John Candy den großen dicken Jungen. Während die Bank überfallen und aus dem Winter Sommer wird, während Miles’ Vater stirbt und Julie nicht weiß, wie es mit ihrem Leben weitergehen soll entwickelt sich zwischen diesen beiden Randfiguren eine zarte Romanze - könnte man zumindest denken. The Silent Partner ist aber ein Film mit doppeltem Boden. Also ist es wieder komplizierter.

In der Weihnachtszeit dürfen die Angestellten in der Bank Julie unter dem Mistelzweig küssen wie es Brauch ist. Bei der Hochzeit küsst man die Braut. Berg drückt Louise einen Kuss auf die Wange und Simonson zeigt auf ihren Bauch. Höchste Zeit sei es gewesen, sagt er launig: "Zu viel Weihnachten gefeiert." Miles sitzt dabei, hebt sein Glas und lächelt spöttisch. Er weiß, wovon der Bräutigam nichts ahnt. Louise ist von Berg schwanger, mit dem er sie bei der Weihnachtsfeier im Haus des Filialleiters überrascht hat.

Das hätte eine sehr zynische Szene werden können, wenn sie nicht primär dazu dienen würde, dem Charakter des Kassierers eine neue Facette hinzuzufügen. Miles erlebt die schäbigen Affären seiner Kollegen in der Bank mit und bleibt ihnen gegenüber distanziert, weil er mehr will als das. Die sich daraus ergebende Geschichte wird getragen von einer Figurenkonstellation, die an den richtigen Stellen für die Konflikte sorgt, die man braucht, um die Handlung voranzutreiben. Alles dreht sich um Entscheidungen, die man treffen muss und um die Folgen, die das hat.Zwischen Steuersenkung und Umverteilung, oder auch: Schieß nicht auf den Weihnachtsmann!

Miles muss sich zwischen der Bankangestellten Julie und Elaine entscheiden, die aus der Halbwelt in sein Leben getreten ist. Julie muss sich zwischen dem Kassierer Miles und dem Filialleiter Packard entscheiden. Elaine muss sich zwischen dem Kassierer und dem Bankräuber Harry Reikle entscheiden. Durch dieses Geflecht wird wie nebenbei eine Verbindung zwischen dem spießigen Filialleiter und dem Räuber hergestellt. Und weil das Geld im Zentrum steht gerät Miles am Ende in eine Lage, in der er glaubt, sich zwischen der Beute und seinem Leben (mit Julie oder mit Elaine) entscheiden zu müssen.

Stiller Teilhaber

Man kann The Silent Partner ruhig öfter sehen, weil man bei jedem Sehen neue Details entdeckt, die den Film erzählerisch noch dichter machen. Nach dem Kauf des Engelsfisches sitzen Miles und Julie in der Bar des Hyatt Regency Hotels. Ein Gespräch will nicht recht in Gang kommen, weil das eine peinliche Situation ist. Miles sitzt da nur als Platzhalter, weil sie auf den Filialleiter warten, mit dem Julie eine Affäre hat. Julie spielt sich mit den Brezeln, die in der Bar zu den Drinks gereicht werden. Miles nimmt eine und steckt sie sich in den Mund, bevor er allein (mit seinem Fisch) nach Hause geht, weil Packard gekommen ist.

Später, im Sommer, sitzt Miles mit Elaine in einem Restaurant und raucht eine Zigarre. Wie zwei Geschäftsleute nach einem gelungen Abschluss trinken sie "auf den Erfolg". Miles erzählt, dass er sein Aquarium verkaufen will. Elaine (mondäner als Julie, die Angestellte in der Bank) trägt eine Kette mit einer glitzernden Brezel um den Hals. Die unsichtbare Präsenz im Hintergrund ist dieses Mal nicht der Filialleiter, sondern der Bankräuber. Miles sagt, dass er beschlossen habe, die Beute durch drei zu teilen. Voraussetzung sei, dass Harry Reikle sie, Elaine und ihn, in Ruhe lasse, wenn er aus dem Gefängnis kommt.

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Stiller Teilhaber (15 Bilder)

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Dummerweise ist Reikle schon im Restaurant, um seine Rechte geltend zu machen wie vor ihm Packard im Hyatt Regency, nur dass er nicht die Drinks bezahlen wird wie der seine Frau betrügende Filialleiter. Miles muss begreifen, dass Reikle ihn in jedem Fall töten wird, weil der Mann ein Psychopath ist - ein Psychopath allerdings, der mehr mit ihm zu tun hat, als ihm lieb sein kann, weil Curtis Hanson die Romanvorlage von Anders Bodelsen mit The Secret Sharer von Joseph Conrad gekreuzt hat. Da, könnte ich mir vorstellen, kommen auch die tropischen Fische her, die gleich im ersten Satz von Der stille Teilhaber erwähnt werden. Bei Bodelsen gibt es sie nicht.

Conrads Erzähler ist ein Kapitän, der mit seinem Schiff im Golf von Siam unterwegs ist. Eines Nachts kommt ein Mann an Bord, der von einem anderen Schiff geflohen ist, weil er dort, als erster Maat, in einem Anfall von Mordlust einen Matrosen erwürgt hat. Ohne zu wissen wie ihm geschieht nimmt der Erzähler den Mörder mit in seine Kajüte, statt ihn dem Kapitän des anderen Schiffes auszuliefern. Weil er gegen das Gesetz verstoßen hat muss er den Mann auch vor der eigenen Mannschaft verbergen. Das bestimmt den weiteren Verlauf der Handlung.

Der Kapitän und Miles Cullen stecken im selben Dilemma. Sie treffen eine Entscheidung, die nicht mehr rückgängig zu machen ist und können nicht zur Polizei gehen, ohne sich selbst zu belasten. Bei Conrad ist der stille Teilhaber der Doppelgänger des Erzählers (und existiert vielleicht nur in seiner Phantasie). Der Kapitän ist ein zivilisierter Mensch, sein Gast lebt atavistische Mordgelüste aus wie Reikle, der erst einen von Miles Cullens Fischen tötet und dann einen Menschenkopf in seinem Aquarium hinterlässt. Das Mordopfer entsorgt Cullen in frisch gegossenem Beton, als wäre er vom Kassierer zum Mafioso geworden.

"Wir sind Partner"

Was in The Secret Sharer das Meer, ist in The Silent Partner die Bank. Die First Bank of Toronto, bei der Miles arbeitet, errichtet ein neues Hauptquartier mit Läden und Büros und mit einem unterirdischen, von meterdickem Stahlbeton umgebenen Tresorraum zum Verwahren der Wertsachen. Im Fundament liegen nun die Überreste eines Menschen. Das könnte die Ausgangsidee für eine Fortsetzung sein, für eine Spukgeschichte über die Verbrechen der Vergangenheit. Eine Meditation über eine Gesellschaft könnte das werden, die ihre Seele gegen ein Bündel Banknoten eingetauscht hat.

The Silent Partner ist ein ziemlich harter Film, obwohl er zunächst gar nicht so wirkt. Ein Film über die Gier und ihre Folgen. Für Miles wird es so etwas wie ein Happy Ending geben, doch er wird sich nie sicher sein können, ob die Frau, mit der er am Ende die zweite Chance sucht, ihn liebt oder doch nur sein Geld. Bevor es so weit ist und Miles eine letzte Falle stellt, um den Hals aus der Schlinge zu ziehen, muss er noch einmal mit seinem stillen Teilhaber sprechen.

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Auf der Baustelle, auf der gerade die Betonwände für den neuen, noch größeren und noch sichereren Tresorraum entstehen, wird er mit der unbequemen Wahrheit konfrontiert, dass der Mord von Harry Reikle auch der seine ist. "Erst der Raub, dann der Mord", sagt Harry. "Wir sind Partner. Das sind wir immer gewesen." Da kann man schwer widersprechen. Miles geht weg, um einen Plan auszuführen, der seine Schuld noch größer macht. The Silent Partner kann man gut zusammen mit Hitchcock-Filmen wie Strangers on a Train und I Confess sehen. Der Schuldaustausch war eines von Hitchcocks liebsten Motiven. The Silent Partner, erzählt Elliott Gould in einem Interview, mochte er sehr.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zwei-Weihnachtsmänner-Theorie von Jude Wanniski funktioniert. Die Aussicht auf steuerfreies Geld steigert die Eigeninitiative und die Risikobereitschaft. Das Resultat ist trotzdem unbefriedigend. Um doch noch an die Beute zu kommen geht der Weihnachtsmann zurück zur Bank. Dann macht er die Erfahrung, dass man am Ende, trotz aller Wagnisse und Mühen, ganz unten landet, im Tiefparterre des Einkaufszentrums, weil nicht alle Rolltreppen nach oben führen.

Vielleicht liegt es daran, dass Santa Claus jetzt als Frau verkleidet ist, weil Sommer ist und nicht mehr Weihnachten. Als Weihnachtsbotschaft lässt sich mitnehmen: Reikle hätte weiter für die Bedürftigen sammeln sollen, die sich das Shoppen im Einkaufszentrum nicht leisten können, damit sie auch etwas haben von diesem Fest der Liebe. Beim Umverteilen wäre Harry das alles nicht passiert. Man sehe selbst. The Silent Partner ist ein richtig guter Film und eine Entdeckung wert.

Die DVD (Region 1 bei Lions Gate und Region 2, als Dein Partner ist der Tod und mit deutscher Synchronfassung, bei PK-Movies) ist vergriffen, gebraucht aber noch erhältlich. Vielleicht wäre irgendwo sogar eine Kopie der ersten, dänischen Verfilmung des Bodelsen-Romans von 1969 zu finden, die scheinbar niemand gesehen hat, auch die Macher von The Silent Partner nicht. Für einen ehrgeizigen DVD-Anbieter wäre das eine schöne Aufgabe.

Demnächst dann also The Changeling: Eine Geistergeschichte, die insofern altmodisch oder meinetwegen auch klassisch ist, als sie sich noch daran erinnert, was Dickens ursprünglich bezweckte, als er seine Gespenstergeschichten für Heiligabend schrieb. Er zog gegen die menschliche Gier zu Felde; ein Verkäufer von Festtagsbraten und Weihnachtsgeschenken war er nicht. Mit dem Gespenst im Spukhaus werden wir auch Jude Wanniski wieder begegnen - dieses Mal aber als Mann, der uns eine Serviette beschert hat, die von steuersenkungsgläubigen Republikanern als Reliquie verehrt wird wie das Schweißtuch Christi von den Katholiken.