Ungewöhnliche Unfallopfer: Fentanyl für Fiffi?

Ungewöhnliche Unfallopfer: Fentanyl für Fiffi?

Ich werde zum Auffahrunfall gerufen. Schmerzen LWS, nichts Ungewöhnliches – bis auf eines. „Aber der Hund“, sagt der Mann im Auto immer wieder. Muss ich sein Haustier jetzt auch retten?

Ok, es begann alles mit einem Fall.

Ich bin zu einem Unfall gerufen worden, nichts Besonderes, Auffahrunfall, Fahrer mit Schmerzen in der LWS. Dieser bestimmte Fall ist nach wie vor besonders, weil er zwei Details hatte, die ungewöhnlich waren. Ich habe lernen müssen, dass ablenkende Verletzungen nicht nur beim Patienten auftreten können.

Und dass wir viel zu schlecht darauf vorbereitet sind, wenn unsere Patienten nicht nur Menschen sind, sondern auch mal Tiere.

Wir sind Nischenspezialisten für nackte Primaten

Um das klar vorweg zu stellen: Ich glaube nicht, dass wir als Nischenspezialisten für nackte Primaten sinnvoll unsere oder fremde Tiere behandeln können. Das ist ausschließlich Aufgabe und Kompetenz der Organmechaniker für behaarte (und nicht behaarte) Wesen aller Art. Allerdings gibt es selten, aber eben immer mal wieder Tiere, die in unsere Einsätzen verwickelt werden – und bis zum Eintreffen oder Vorstellen bei Tierärzten zumindest eine mögliche Anbehandlung insbesondere von Schock oder Schmerzen brauchen.

Zurück zu meinem Fall. Ich komme zu meinem Patienten, der noch im Auto sitzt, leichte Schmerzen in Becken/LWS angibt und sonst ABCDE stabil ist. Möchte nichts, braucht nichts, auch keine Analgesie, alles bestens. Tür klemmt, aber er selbst ist nicht eingeklemmt.

„Aber der Hund.“

Wo ist der Hund?

Er hört nicht auf, von seinem Hund zu reden. Der Hund lag wohl auf der Rücksitzbank, ob es ihm denn gut gehe. Er sei doch schon so alt, ein gebrechlicher Jagdhund mit 13 Jahren, schon fast blind und bekomme sein Gnadenbrot.

Nur: Auf der Rückbank lag kein Hund. Fenster und Türen intakt, also musste er irgendwo sein. Er fand sich eingeklemmt und mit Schnappatmung unter dem Beifahrersitz. Technische Rettung nicht möglich, offensichtlich bereits im Sterbeprozess und kaum zu erreichen. Bis ein Tierarzt eintrifft, vergehen sicher noch 20 Minuten.

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Der Rat von meinem Anwalt

Mein Anwalt hat mich explizit darauf hingewiesen, ich solle klarstellen, dass ich dem Hund kein Opiat gegeben habe, denn das sei illegal in Deutschland (Menschen nur bei Menschen, Tierärzte nur bei Tieren). Also habe ich ihm natürlich was anderes gespritzt, um seine Leiden zu lindern – was, weiß ich nicht mehr genau. Er ist dann friedlich wenige Minuten später eingeschlafen, konnte im Verlauf geborgen und den Angehörigen übergeben werden.

Zurück zum ersten Problem: unser Patient. Er hat auch weiterhin nur Sorgen um den Hund, eigene Beschwerden werden komplett negiert. Die Feuerwehr kann die Fahrertür aufspreizen und der Patient kann sich selbst aus dem Fahrzeug bewegen. Etwas unrund gehend, aber soweit stabil, lehnt alle Maßnahmen ab und will nach dem Hund sehen. Erst nachdem wir ihn sich von seinem verstorbenem Hund verabschieden lassen konnten, ist er zu einer eingehenden Untersuchung und Behandlung bereit.

Leichter Druckschmerz über untere LWS und Beckenring auch bei Stauchung, weiterhin stabil, Vitalzeichen unauffällig, Zugang und etwas Analgesie sind ausreichend. Ein eFAST ist unauffällig, daher Vorstellung in Klinik zur Abklärung ohne großes Bohei. Dort zeigt sich dann eine instabile vordere und hintere Beckenringfraktur. Again what learned, auch die Verletzung des Hundes kann zu einer ablenkenden Verletzung werden.

Welche Optionen haben wir bei verletzten Tieren?

Jetzt aber genug von den nackten Primaten, welche Optionen gibt es denn für verletzte Tiere?

Erst einmal – ich weiß, ich hatte es schon – sollten wir das grundsätzlich den Fachleuten überlassen. Das heißt, unsere ersten Schritte sind die Info der Leitstelle, einen Tierarzt an die Unfallstelle zu bekommen. Und zwar in einem zeitlich angemessenen Rahmen.

Sollte das nicht möglich sein, so sollte zumindest ein telefonischer Kontakt hergestellt werden, um ggf. erste Maßnahme in Absprache mit dem die Behandlung übernehmendem Tierarzt einzuleiten. In vielen Bereichen gibt es mittlerweile einen tierärztlichen Notdienst, der rund um die Uhr erreichbar ist. BESORGT EUCH DIE NUMMER. Googelt sie, jetzt. Und einspeichern ins Handy.

WEITERLESEN ERST WIEDER, WENN IHR DIE NUMMER EINGESPEICHERT HABT.

Wirklich?

Habt ihr?

Gut.

Eigenschutz muss an erster Stelle stehen

Wichtiger Punkt an dieser Stelle ist der Eigenschutz für alle behandelnden oder in Kontakt tretenden Einheiten. Gerade bedrängte, ängstliche Tiere können die Behandler verletzen und gefährden. Einsätze auf Bauernhöfen mit Rindern oder Pferden sind immer ein Horror – oder wie es Mike Abernathy so schön formulierte: Farm people are hard to kill, but they try much harder. Nicht selten sind da Tiere involviert, das sollten wir uns zu Herzen nehmen. Eigenschutz geht also immer vor.

Und für solche Situationen, in denen Entscheidungen ohne fachtierärztliche Unterstützung erfolgen müssen, haben wir uns interdisziplinär mit Tiermedizinern überlegt, welche Schritte wichtig sind und welche therapeutischen Optionen es im Notfall für zumindest notfallmedizinisch erfahrenes Personal gibt.

Meine Regeln für den Notfall

Voraussetzung für die folgenden Zeilen: Es gibt keinen akut verfügbaren Tierarzt. Ich bediene mich hier mal an einem bekannten Film, der ein berühmtes Regelwerk aufgestellt hat.

Regel Nr. 1

You do talk about the Animal – ruf Tierärzte über die Leitstelle an und besprich das Vorgehen.

Regel Nr. 2

You really do talk about the Animal – wenn die Leitstelle keine Tierärzte hat, dann organisier dir selbst welche. Notfalls ist es eben der Tierarzt von den Tieren, die du zuhause hast.

Regel Nr. 3

If the animal says „stop“ or starts fighting, the fight is over – wenn das Tier sich wehrt, oder dich oder deine Kollegen gefährdet, ist die Nummer durch. Abwarten, bis Ruhe einkehrt, bis ein Tierarzt (oder Jäger) ankommt oder die Situation von selbst gelöst ist.

Regel Nr. 4

Only two guys at an animal – so wenig Personal involviert wie möglich, so viel wie notwendig.

Regel Nr. 5

One animal at a time – so ein Fall ist selten genug, und man kümmert sich dann um ein Tier nach dem anderen, sollte es mehrere Tiere gleichzeitig sein.

Regel Nr. 6

No shirts, no shoes – auf keinen Fall sich selbst in Gefahr bringen. Tiere mit Schmerzen wehren sich, das heißt, eine Katze hat in einer solchen Situation fünf spitze Enden, Pferde und Kühe können treten oder beißen. Sind einfache Hilfsmittel wie Halfter und Strick für Pferde, ein Handtuch für Hund oder Katze nicht verfügbar, dann lasst es.

Regel Nr. 7

Animals will go on as long as they have to – das Tier bestimmt, was ihr zu tun habt und wie lange das geht.

Regel Nr. 8

If this is your first case with animals, you HAVE to fight – es gibt immer irgendwie das erste Mal. Damit das nicht in die Hose geht, haben wir hier noch ein paar Empfehlungen.

Nachdem wir jetzt die grundlegenden Regeln geklärt haben, gibt es im Prinzip 2 Situationen mit unterschiedlichen Behandlungsoptionen.

Mögliche Situationen, in die ihr geraten könnt

Nochmal: KONTAKTIERT EURE TIERÄZTE und bereitet euch auf den Fall des Falles vor.

Situation 1: Bridge to Palliative Care

Wir haben ein offensichtlich tödlich verletztes Tier und brauchen jetzt sofort Analgesie bzw. Comfort Care.

Situation 2 Bridge to definite Treatment

Wir müssen bis zum Eintreffen bei den Tierärzten eine Analgesie oder Therapie durchführen, um Transportfähigkeit oder Überleben zu sichern.

Und es gibt unterschiedliche Tiere, die unterschiedlich auf unterschiedliche Medikamente reagieren. Daher gibt es hier eine Aufstellung der uns verfügbaren Medikamente. Um es so kurz und übersichtlich zu halten wie möglich, haben wir uns entschieden, uns nur auf Tiere zu beschränken, die wir wahrscheinlich antreffen, sowie Medikamente zu nutzen, die auch verfügbar sind und notfalls eben auch nicht nur i. v. gegeben werden können (daher ist Propofol von vornherein raus).

Medikamente für den Notfall

Tiere: Pferd/Kuh – Hund – Katze. Wild haben wir ausgeklammert, da formal selbst Tierärzte sich der Wilderei schuldig machen, sollte ein Reh oder anderes Wild getötet wird. Ganz dünnes, sehr glattes Eis ...

Medikamente: Ketamin – Opiate/Fentanyl o. Morphin – Midazolam, da diese auf fast jedem Auto verfügbar sind. Die Opiate sind nur als Vergleich und zur Illustration, da – siehe oben – die Anwendung eines Opiates beim Tier für Humanmediziner schlicht illegal wäre.

Auch schwierig: Faktor lebensmittellieferndes Tier. Grundsätzlich sind Pferde und Rinder als Lebensmittelliefernd anzusehen. Beim Pferd kann der Status geändert werden und das Tier so auch mit Arzneimitteln aus der Humanmedizin behandelt werden. Beim Rind fällt diese Option weg, daher entfällt die Möglichkeit, als Arzt hier eingreifen zu können.

Dieser Beitrag erschien zuerst hier. Peer Review des Artikels durch Veterinärmediziner – in diesem Fall Dr. Vera Kleinen und https://twitter.com/Vetgirl15

Wie immer gilt: Der Artikel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit und die genannten Empfehlungen sind ohne Gewähr. Die Verantwortung liegt bei den Behandelnden. Der Text stellt die Position des Autors dar und nicht unbedingt die etablierte Meinung und/oder Meinung von dasFOAM.

Literatur:

https://www.thieme-connect.de/products/ebooks/book/10.1055/b-003-117816

https://onlinelibrary.wiley.com/doi/book/10.1002/9781119404576

https://www.wiley.com/en-us/Veterinary+Pharmacology+and+Therapeutics%2C+10th+Edition-p-9781118855881

https://onlinelibrary.wiley.com/doi/book/10.1002/9781119536598

Bildquelle: Maria Orlova, pexels