Sex mit VerwandtenInzucht: Biologisch ein Risiko – rechtlich nicht unbedingt

17.Mai2021

Inzucht ist weltweit für über eine Milliarde Menschen ein Thema. Auch in Deutschland ist Sex zwischen Verwandten rechtlich teilweise erlaubt. Bekommen Paare durch Inzucht ein Kind, steigt aber das Risiko, Krankheiten oder Störungen zu vererben.

In der Tierwelt kommt Inzucht häufiger vor als angenommen. Zu diesem Ergebnis sind Forschende der Universität Stockholm in einer Meta-Analyse von knapp 140 Studien gekommen.

Davor herrschte lange die Annahme, es gebe es eine natürliche Abscheu gegen die Paarung unter verwandten Tieren, damit unter anderem Erbkrankheiten vermieden werden.

Inzucht bei Menschen

Erbschäden sind auch ein Grund, warum Inzucht unter Menschen – zumindest biologisch gesehen – zu einem Problem werden könnte. Bekommen zum Beispiel eine Cousine und ihr Cousin ein Kind, liegt das Risiko für Erbkrankheiten bei etwa fünf Prozent.

Genaue Zahlen dazu sind nur schwer zu ermitteln. Fachleute schätzen allerdings, das Risiko bei Cousine und Cousin würde sich in etwa verdoppeln im Vergleich zu Eltern, die nicht miteinander verwandt sind. Sind die Eltern eines Kindes zudem Geschwister, ist die Wahrscheinlichkeit für Erbschäden deutlich höher.

Erbkrankheiten durch Inzucht

Die Liste der vererbbaren Krankheiten ist lang. Neben Herzfehlern kann es zu neurologischen Erkrankungen wie ALS, Fehlbildungen und psychischen Störungen kommen. In manchen Fällen ist auch das Immunsystem der Kinder gestört oder sie haben ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Fehlgeburten und eine höhere Sterblichkeit der Kinder sind auch möglich.

Sex mit VerwandtenInzucht: Biologisch ein Risiko – rechtlich nicht unbedingt

Grund für das erhöhte Risiko von Erbkrankheiten bei Inzucht ist die höhere Wahrscheinlichkeit, Gendefekte an die Kinder weiterzugeben. Ist ein vererbtes Gen, zum Beispiel der Mutter, an einer Stelle beschädigt, kann der Körper in der Regel das gleiche Gen vom Vater beziehungsweise des anderen Elternteils in das Erbgut des Kindes einsetzen, erklärt Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Sophie Stigler.

Sophie Stigler, Deutschlandfunk Nova

Vererben allerdings Mutter und Vater ein defektes Gen an ihr Kind, funktioniert der Austausch durch ein funktionsfähiges Gen nicht mehr. Je höher der Verwandtschaftsgrad der Eltern, desto wahrscheinlich ist es, dass ihr Kind einen Gendefekt erbt.

Inzucht unter Adeligen

In der Vergangenheit war Inzucht vor allem in vielen Königshäusern gängig. In der Fürstenfamilie der Habsburger zum Beispiel zeigte sich das durch die stark ausgeprägte, hervorstehen Unterlippe, die sie von Generation zu Generation weitergegeben haben. Je stärker das Merkmal ausgeprägt war, desto höher war der Grad der Inzucht.

Zudem sollen die Kinder der Fürstendynastie häufiger vor ihrem zehnten Lebensjahr gestorben sein. Der frühe Tot von Kindern, deren Eltern verwandt sind, und Unfruchtbarkeit scheinen Phänomene zu sein, das Inzucht entgegenwirkt, so unsere Reporterin.

Sophie Stigler, Deutschlandfunk Nova

Heute hat Inzucht häufig einen religiösen oder kulturellen Hintergrund. Die Heirat von Verwandten ist zum Beispiel in kleinen Gemeinschaften gängig, die isoliert von anderen Gruppen leben. Weil geografisch gesehen die Alternative fehlen, können sie ihre Gemeinschaft durch Inzucht erhalten.

Weltweit sollen mehr als eine Milliarde Menschen Inzucht betreiben, besagt eine Übersichtsstudie der indischen Baba Ghulam Shah Badshah Universität von 2017. Dazu kommt es zum Beispiel im Süden von Indien, dem Emirat Katar und auf einzelnen Inseln der Adria. Danach heiraten am häufigsten Cousin und Cousine ersten Grades, die also dieselben Großeltern haben, und damit ein Erbgut, das zu einem Achtel übereinstimmt. Untersuchungen haben gezeigt, dass in diesen Fällen häufiger bestimmte Erbkrankheiten auftreten.

Inzucht teilweise in Deutschland erlaubt

Sex zwischen Cousin und Cousine ersten Grades oder Onkel und Nichte ist auch in Deutschland erlaubt. Ein Verbot greift allerdings bei Verwandten in direkter Linie wie Bruder und Schwester oder Großeltern und Enkel. Zwar gibt es hierfür eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren, zu Verurteilungen kommt es aber kaum, weil Inzucht unter direkten Verwandten in Deutschland nur vereinzelt vorkommt. Der Ethikrat forderte 2014, Geschwisterinzest von einer Strafe zu befreien. Laut des Gremiums sei das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wichtiger als mögliche Erbschäden, weil diese auch durch nicht verwandte Eltern weitergegeben werden könnten.