Der Glaubenskrieg

Der Glaubenskrieg

Kaum ein Thema wird in Deutschland so widersprüchlich behandelt wie die Grüne Gentechnik. Die Forschung ist Weltspitze. Angebaut werden genmanipulierte Pflanzen nicht. Landen aber trotzdem auf unseren Tellern. Hier ein Überblick über die Interessenlage der Akteure.

Text: Frank Dahlmann

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Die Verbraucher:

wollen kein Gen-Food, bekommen es aber trotzdem

Zwei Drittel der Bundesbürger sind grundsätzlich gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel. Nur sechs Prozent sind dafür. Fast 80 Prozent wollen den Anbau von Mais oder Kartoffeln, die genmanipuliert sind, verbieten lassen. Dies ergaben Umfragen von Forsa und Emnid in den vergangenen Jahren. Eine große Mehrheit (82 Prozent) ist für eine eindeutige Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln. Käme es dazu, würde offenbar, dass sie längst in den Supermarktregalen zu finden sind. Ein Großteil der konventionell erzeugten Milchprodukte, Fleisch und Eier stammt von Tieren, die mit gentechnisch verändertem Soja gefüttert wurden. Fast jeder Käse ist mit einem genveränderten Enzym behandelt worden. Softdrinks wie Cola enthalten Fructose, die ebenfalls mithilfe solcher Enzyme gewonnen wird.

Die Justiz:

will die Natur erhalten – und das Eigentum

Der Staat soll "die natürlichen Lebensgrundlagen" schützen. So steht es im Artikel 20a des Grundgesetzes. Im Jahr 2010 fällte das Bundesverfassungsgericht mit Verweis auf diesen Artikel ein Grundsatzurteil, das die strengen Vorschriften des Gentechnikgesetzes bestätigte. Demnach haften Landwirte in vollem Umfang für Schäden, wenn genveränderte Organismen (GVO) von ihren Feldern auf die eines Nachbarn gelangen sollten. Eine Versicherung gegen dieses Risiko gibt es nicht. Um Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen muss eine 150 Meter weite Schutzzone eingerichtet werden - bei angrenzendem ökologischem Landbau sind es 300 Meter. In der eher kleinräumigen deutschen Landwirtschaft ist das schwierig.

Um für den Anbau in der EU zugelassen zu werden, müssen genveränderte Pflanzen ein aufwendiges und langwieriges Prüfverfahren durchlaufen. Bisher haben das nur zwei geschafft. Die Stärkekartoffel Amflora, die allerdings 2011 in Deutschland wegen geringer Akzeptanz auf nur zwei Hektar angebaut wurde. Der Hersteller, die BASF Plant Science, nahm sie nicht zuletzt deshalb wieder vom Markt. Außerdem der für Schädlinge giftige Bt-Mais von Monsanto. Er ist trotz EU-Zulassung in einigen europäischen Ländern – auch in Deutschland – seit 2009 verboten. Zum Vergleich: In den USA gibt es mittlerweile etwa 90 Zulassungen für GVO.

Die Landwirte:

wollen Geld verdienen – und Frieden im Dorf

Knapp 17 Millionen Landwirte bauen gentechnisch veränderte Pflanzen an, Tendenz steigend. Die größten so genutzten Flächen liegen in den USA, Kanada, Brasilien, Argentinien, China, Indien, Pakistan und Südafrika.

In Indien hat die sogenannte Bt-Baumwolle – die einer Untersuchung von Agrarökonomen der Universität Göttingen zufolge mehr Ertrag liefert als herkömmliche und weniger anfällig für Schädlinge ist – bereits einen Marktanteil von rund 90 Prozent. In Argentinien wird mittlerweile nahezu 100 Prozent des angebauten Sojas aus genmanipulierten Pflanzen gewonnen. Es wird weltweit als Futtermittel verwendet, auch in der EU.

In Deutschland werden so gut wie keine gentenchnisch veränderten Pflanzen angebaut. Neben dem Haftungsrisiko fürchten die Landwirte die öffentliche Meinung und radikale Gentechnik-Gegner, die Felder zerstören. Im öffentlichen Standortregister ist für jedermann ersichtlich, wo hierzulande genmanipulierte Pflanzen wachsen.

Der Deutsche Bauernverband, rät seinen Mitgliedern von GVO ab und will sich zum Thema nicht weiter äußern. Der Pressesprecher Johannes Funke teilte mit: "Unsere Präsidenten sind vor allem auch Bauern. Die stehen momentan auf dem Feld."

Die Politiker:

wollen die nächste Wahl gewinnen

Die Grüne Gentechnik hat kaum politische Unterstützer. Auch der einstige Verfechter und von seinen Gegnern "Genhofer" genannte Horst Seehofer fordert heute ein "gentechnikfreies Bayern". Seine CSU-Parteifreundin, die Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner, kämpft auf europäischer Ebene für "Null-Toleranz": Es dürfe keine Vermischung zwischen gentechnisch veränderten und konventionellen Pflanzen geben. Weil dies in der Praxis aber kaum möglich ist, kommt die Forderung einem Verbot gleich.

Zu den wenigen Befürwortern zählt Michael Fuchs, Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag: Er fürchte um den Standort Deutschland, wenn sich die Gentechnik-Gegner durchsetzen sollten, die er als "Freaks" bezeichnet. Auf der Pro-Seite steht auch die Bundesforschungsministerin Annette Schavan, ohne groß Aufhebens davon zu machen. Die Bundesregierung fördert die Biotechnologie mit insgesamt 184 Millionen Euro im Jahr, das ergab eine Anfrage der Grünen 2010.

Die Grünen haben ein Problem mit dem Begriff Grüne Gentechnik. Ulrike Höfken, Umweltministerin in Rheinland-Pfalz, spricht lieber von Agrogentechnik, die nicht zu den Zukunftsthemen gehöre, "auf die es sich lohnt zu setzen. Asbest und Holzschutzmittel haben am Ende auch verloren", sagt sie. In ihrem Bundesland hat einer der wichtigsten Player der Grünen Gentechnik seinen Sitz, die BASF.

Die Unternehmen:

wollen neue Märkte erobern – egal wo

Von dem knappen Dutzend Konzernen, die sich mit Pflanzenbiotechnik beschäftigen, stammen drei aus Deutschland: Neben der BASF sind es Bayer und der Saatguthersteller KWS. Die BASF hat unlängst angekündigt, ihre Tochter Plant Science mit 157 Mitarbeitern in die USA nach North Carolina zu verlegen. "Die Entwicklung und Kommerzialisierung aller Produkte, die ausschließlich auf den europäischen Markt ausgerichtet sind, werden gestoppt", teilte der Konzern mit. "Wir werden uns deshalb", so der damalige Vorstand Stefan Marcinowski, "auf die attraktiven Märkte in Nord- und Südamerika und die Wachstumsmärkte in Asien konzentrieren."

Das Forschungszentrum in Berlin, wo die BASF Plant Science Grundlagenforschung betreibt, bleibt erhalten. Dort sucht und analysiert man bestimmte Genabschnitte, um gewünschte Eigenschaften einer Pflanze auf eine andere zu übertragen. So wurden beispielsweise Gene aus Moos, das mit sehr wenig Wasser auskommt, in Mais eingebracht, der so Dürren besser überstehen soll. Ein neues Produkt, an dem gerade gearbeitet wird, ist Rapsöl mit Omega-3-Fettsäuren. Sie sollen das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Arteriosklerose senken. Die Omega-3-Fettsäuren findet man vor allem in Fischen, die sich von Algen ernähren. Die Forscher extrahierten Gene aus Algen und brachten sie in die Rapspflanze ein. Das Öl soll im Jahr 2020 auf den Markt kommen.

Die Entwicklung eines gentechnisch veränderten Produktes kostet im Durchschnitt rund 111 Millionen Euro und dauert 13 Jahre. Die BASF hat bisher 1,3 Milliarden Euro investiert. In der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts soll die Gentechnik-Sparte Plant Science dank weltweiter Vermarktung der Produkte profitabel werden.

Den Vertrieb übernehmen grundsätzlich Partnerunternehmen: Beim Rapsöl arbeiten die Ludwigshafener mit dem amerikanischen Multi Cargill zusammen. Bei Baumwolle, Weizen und Mais mit Monsanto. Gerade haben die ersten 250 Farmer in den USA eine neue, weniger durstige Maissorte erhalten, die Ende vergangenen Jahres zugelassen wurde.

Ein anderer Partner ist die KWS Saat AG, ein 150 Jahre altes Unternehmen aus Niedersachsen. Seine Produkte sind vor allem in den USA und Kanada begehrt. Dazu zählt eine Zuckerrübe, die Pflanzenschutzmittel besonders gut vertragen soll. Sie ist dort seit 2007 zugelassen und wächst mittlerweile auf 97 Prozent der nordamerikanischen Zuckerrübenfelder.

An eine Verlagerung der Firma in die USA denke man aber nicht, heißt es bei KWS – allein der Tradition wegen. Die Labore bleiben weiterhin in Deutschland. Aber Freilandversuche werden dort gemacht, wo die Nachfrage besteht: in Nord- und Südamerika, China und Indien.

Die Umweltschützer:

wollen zurück zur Natur

Für Dirk Zimmermann, bei Greenpeace für das Thema zuständig, und Martha Mertens, Sprecherin des Arbeitskreises Gentechnik beim BUND, hat die Biotechnik versagt. Die Versprechen ihrer Befürworter seien nicht erfüllt worden. Weder steigere sie die Erträge der Bauern noch spare ihr Einsatz Pflanzenschutzmittel. Mertens weist darauf hin, dass die Hersteller gentechnisch veränderter Pflanzen auch die größten Produzenten von Pflanzenschutzmitteln sind. Zimmermann sagt, dass die Grüne Gentechnik "ein gutes Thema für die Umweltverbände sei, weil mit ihr viele Probleme der modernen Landwirtschaft deutlich werden".

Beide sind nicht glücklich darüber, dass große Mengen Gen-Soja nach Deutschland importiert werden. Dies sei eine Voraussetzung für die Massentierhaltung, die abzulehnen sei. Mertens appelliert an die Menschen, ihre Ernährungsgewohnheiten umzustellen und weniger Fleisch zu essen. Zimmermann hält es für unausweichlich, dass die Preise für Lebensmittel – bei ökologischer Produktionsweise – steigen. Eine Koexistenz von gentechnisch veränderten und unveränderten Pflanzen schließen beide aus. Das Risiko der Auskreuzung sei zu hoch.

In den Entwicklungs- und Schwellenländern seien auch mit Öko-Landbau höhere Erträge möglich, sagt Zimmermann. Es fehle nur am nötigen Wissenstransfer. Die genetische Grundlagenforschung sieht er differenziert: Sie liefere wichtige Hinweise, auf die die konventionelle Züchtung durchaus aufbauen kann. Er selbst hat früher an der Universität in Hohenheim an Tomatenpflanzen geforscht. "Man muss nur in der Praxis verantwortungsbewusst mit den Ergebnissen umgehen."

Die Forscher:

wollen ihre Ideen endlich zur Anwendung bringen

Bei Hans-Jörg Jacobsen im Regal verstauben die Ideen. Der Professor am Institut für Pflanzengenetik in Hannover hortet Doktorarbeiten, die nie praxisrelevant wurden. Da sind zum Beispiel Erbsen, die Pilzen widerstehen oder Insekten abschrecken, aber noch nie auf einem freien Feld standen. "Wir werden unsere Freilandversuche nach Kanada verlegen", sagt Jacobsen. "Wir wollen endlich weiterkommen, denn unsere Arbeit hat ja ein Ziel. Schließlich geschieht Forschung nicht zum Selbstzweck." Er sieht das durchaus als Signal für den Forschungsstandort Deutschland: "Raus aus diesem Zipfelmützenland", sagt er.

Sein Institut mit 100 Mitarbeitern in fünf Abteilungen gehört zur Weltspitze und steht bei ausländischen Studenten hoch im Kurs. "Aber der Schritt zur Anwendung fällt völlig flach." Die Kritik der Umweltschützer hält er für verlogen. Pestizid-Einsatz und Monokulturen seien Probleme der modernen Landwirtschaft und nicht der Gentechnik. Vor allem beim Pilzbefall biete sie große Chancen und erlaube es, erhebliche Mengen Fungizide einzusparen. "Aber das Generieren von Daten wird systematisch verhindert", klagt der Forscher. "Die Überregulierung frisst den Technologievorsprung auf."

In Kanada bekomme er in zwei bis drei Wochen eine Importgenehmigung. Und nach weiteren drei Wochen die Freilandgenehmigung. "In Europa", so Jacobsen, "dauert ein solcher Vorgang durchaus schon mal mehr als zehn Jahre!" Die Kanadier hätten ein grundsätzlich anderes Verständnis von Landwirtschaft. "Dort sieht man die Dinge eher realistisch und nicht so romantisch verklärt wie bei uns. Die Behörden sind sachlicher und lösungsorientiert. Und es werden zum gegebenen Zeitpunkt auch Entscheidungen gefällt, statt immer und immer wieder neue Gutachten einzufordern."

Anfang der Achtzigerjahre wurden am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln die ersten gentechnisch veränderten Pflanzen der Welt kreiert. Damals schon mit dabei war Professor Lothar Willmitzer, heute Direktor am Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam-Golm. Er gilt als einer der Pioniere und hat persönliche Anfeindungen und Feldzerstörungen erlebt, sogar einen Bombenanschlag Mitte der Achtzigerjahre. Sein Institut züchtet zum Beispiel Zuckerrohr mit einem speziellen Eiweiß, das zur Herstellung von Waschmittel verwendet werden soll. Er hat 350 Mitarbeiter, viele kommen aus dem Ausland und gehen nach dem Studium wieder dorthin zurück. "Das ist nichts Besonderes", sagt er. Schwerwiegender findet er, dass sich immer weniger junge Menschen in Deutschland für die Pflanzengenetik interessieren, ganz anders als zum Beispiel in Lateinamerika.

"In der modernen Pflanzenforschung ist Deutschland unter den Top fünf auf der Welt", sagt er. "Aber die Freilandforschung ist für die nächsten 10 bis 15 Jahre in Deutschland absolut tot. Das ist absehbar."

Willmitzer und Jacobsen fordern eine Versachlichung der Diskussion. Auch eine klare Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel könnte da helfen. "Dann würde man sehen, dass selbst Hipp-Babynahrung Vitaminzusätze aus gentechnischer Herstellung enthält", sagt Jacobsen. "Das erzähle ich auch immer bei meinen Vorträgen, und je nach den Zuschauern steigt dann regelmäßig die Thermik in den Gesichtern."

Er beklagt vor allem die Schizophrenie im Umgang mit dem Thema: "Es werden gentechnisch veränderte Zellen in den Mensch en gespritzt, um Krankheiten zu bekämpfen. Gentechnisch veränderte Bakterien produzieren Insulin, Vitamine und Inhaltsstoffe für Joghurt oder Waschmittel." Außerdem gebe es bisher keinen einzigen Fall, bei dem ein Mensch durch den Verzehr gentechnisch veränderter Lebensmittel gestorben ist, sagt Jacobsen. "Auf der anderen Seite hatten wir gerade 53 Ehec-Tote durch verseuchte Sprossen im Biolandbau. Aber sobald Bio draufsteht, ist das schnell vergessen. Wenn es um Risiken und Gefahren geht, würde ich zugespitzt sagen, steht es 53:0 für den Biolandbau."

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