Non-binary: Wie es ist, als nichtbinäre Person in einer binären Welt zu leben

Stell dir vor, du wirst bei jedem Gang auf eine öffentliche Toilette daran erinnert, dass für deine Geschlechtsidentität kein Platz ist. Phil weiß davon ein Lied zu singen: Er* identifiziert sich als non-binary und hat tagtäglich mit Vorurteilen zu kämpfen. Uns hat er* erzählt, wie es ist, als nichtbinäre Person in einer Gesellschaft zu leben, die nur „weiblich“ und „männlich“ zu kennen scheint.

„Reiß dich zusammen“ oder

„Verhalt‘ dich wie ein Bub“

: Sprüche wie diese sind es, die Phil’s Kindheit und Jugend prägen. Dass er* sich mit dem Geschlecht, das ihm* bei der Geburt zugewiesen wurde, nicht identifizieren kann, wird ihm* schnell bewusst:

„Eigentlich wusste ich das schon immer. Ich hatte auch immer andere Vorbilder und andere Idealvorstellungen davon, wer ich gerne sein und wie ich aussehen möchte. Ich habe mich immer mehr mit weiblichen Figuren identifiziert und fand Femininität immer schon stärker. Von der Maskulinitätssache wollte ich mich distanzieren.“

Phil wächst in der Steiermark auf dem Land auf. Nachmittags nach der Schule verbringt er* viel Zeit mit seinem* Cousin bei der Großmutter:

„Er war immer dieser typische kleine Rambo. Er war der Prototyp und ich sollte mich immer anpassen, dabei hatte ich ganz andere Interessen.“

Phil möchte lieber mit Puppen spielen, besitzt früh Barbies. Wirklich akzeptiert wird das nicht. Eine Pädagogin meint zu seiner* Mutter: „Buben, die mit Puppen spielen, werden meistens gute Väter.

Sein* Umfeld versteht ihn* nicht. Immer wieder wird er* zum Frisör geschickt, soll sich* die Haare schneiden zu lassen. Weniger „soft“ soll er* sein, sich „männlicher“ verhalten. Jahrelang hat Phil das Gefühl, in ein Konstrukt gepresst zu werden, das weder ihm*, noch seinem* Wesen entspricht. Auch in der Schule ist es alles andere als einfach. Er* wird gemobbt.

Non-binary: Die eigene Geschlechtsidentität kennenlernen

Bis Phil die Sprache findet, um auszudrücken, was in ihm* vor sich geht, vergehen einige Jahre:

Bestimmte Bezeichnungen kommen erst mit der Zeit in den Sprachgebrauch. Aber, wenn man dann die Sprache dafür findet, dann ist es so affirming.“

Zu realisieren, dass es Menschen mit ähnlichen Erfahrungen gibt, hilft ihm* damals sehr. Auch um zu verstehen, dass nichts falsch mit ihm* ist, dass es vielen Menschen so geht: „

Man ist nicht weird, eigentlich ist man ganz normal — es ist nur eben unüblich in unserer Gesellschaft.“

Sich mit seiner* Geschlechtsidentität auseinanderzusetzen und schlussendlich damit anzufreunden, sei nichtsdestotrotz ein langer Prozess gewesen:

„Jetzt fühle ich mich extrem wohl.“

Foto: privat

Unterstützung und Rückendeckung erhält Phil insbesondere von seinen* Freund:innen. Aber auch von Fremden bekommt er* regelmäßig positive Rückmeldungen: „Vor allem

in der Berufswelt durchbreche ich Barrieren.

Ich bin sehr sichtbar als non binary Person in Wiens StartUp-Szene und kann zeigen, dass ich kompetent bin und sich nicht mein ganzes Leben darum dreht.“

Nichtbinär zu sein, sei zwar seine* Identität, heiße aber nicht, dass er* keine anderen Themen kenne.

Nichtbinär zu sein heißt auch, sich immer wieder erklären zu müssen

Auch wenn Phil viel Unterstützung erfährt, ist es für ihn* als nichtbinäre Person nicht immer einfach, in einer binären Welt zu leben.

„Auch wenn es in meinem Umfeld bekannt ist und gefeiert wird, ist es keine abgehakte Sache. Ich muss mich laufend erklären. Immer wieder kommen Leute zu mir, die dann sagen: ‚Du als Mann, wie siehst du das?‘. Und jedes Mal muss ich sagen: ‚Das bin ich nicht, sorry‘.“

Grundsätzlich sei er* offen dafür, wenn Menschen auf ihn* zukommen und Fragen stellen. Immer wieder stößt Phil durch ignorante Fragen aber auch an seine* Grenzen. Erst kürzlich wird er* auf einer Geburtstagsfeier von einer Fremden angesprochen, während er* gerade mit seinen* Freund:innen in kleiner Runde zusammensitzt. Sie will wissen, ob er* eine Trans-Person sei:

Probleme im Alltag

Auch auf der Straße erlebt Phil immer wieder unangenehme Situationen. Unangenehme Blicke und verletzende Kommentare gehören für ihn* mittlerweile zum Alltag. Er* selbst versucht sie bestmöglich auszublenden, seinen* Freund:innen gelingt das oftmals weniger gut:

„Ich hatte vor kurzem Besuch von einer Freundin aus Graz. Wir leben natürlich in dieser sehr liberalen Bubble mit diversem Freundeskreis, für uns sind unterschiedliche Geschlechtsidentitäten normal.“

Mit ihm* unterwegs zu sein, habe ihr gezeigt, wie heftig die Realität sein kann, wie beeinflusst sich Menschen ohne Grund von einer fremden Person fühlen können. Beleidigungen sind in solchen Situationen keine Seltenheit für Phil. Ein Mal ist er* auf offener Straße sogar angespuckt worden. Erfahrungen wie diese sind es, die ihn* vorsichtig werden lassen: „Wenn mir jemand

von der Seite oder von hinten auf die Schulter tippt, habe ich automatisch Angst. Das kann eine potentiell gefährliche Situation für mich sein.“

Foto: privat

Unangenehm ist für Phil im Alltag auch immer wieder die Entscheidung, welche öffentliche Toilette er* nutzen soll. Ist er* alleine, nutzt er* zumeist die Herrentoilette — auch wenn er* sich dort extrem unwohl fühlt:

„Da fühle zwar ich mich bedroht, aber dort fühlt sich niemand anderes durch mich bedroht.

Wenn ich in einem eher konservativen Etablissement auf die Damentoilette gehen, wäre ich eine Bedrohung. Das möchte ich nicht sein.“

Die Bedeutung der Sprache für die Sichtbarkeit von non-binary Personen

In der Bio seines* Instagram-Accounts hat Phil „he/she/they“ und „er*“ stehen. Er* erklärt, dass er* verschiedene Phasen hat, in denen er* das eine oder das andere Geschlecht angemessener findet. Aus diesem Grund habe er* alle dort aufgelistet. Obwohl er* Linguist ist, seien ihm* die Pronomen aber nicht so wichtig wie anderen: „Egal, wie die Leute mich assoziieren wollen, das passt für mich.“ Um sich genderneutral auszudrücken, verwendet er* gerne auch einfach nur den Vornamen. Doch das kann in der Realität schwierig werden: „Ich komme aus der Steiermark. Wenn die Menschen im Dialekt sprechen, wird nie einfach nur ein Name verwendet — da ist immer gleich ein Artikel dabei. Deswegen gebe ich ein Gender-Sternchen hinzu, um die Erweiterung der Identität erkennbar zu machen.“

Dass Instagram vor kurzem in einigen Ländern die Möglichkeit eingeführt hat, die eine:n individuell bezeichnenden Pronomen in der Bio anzugeben (Anmerkung: In Österreich aktuell noch nicht möglich), empfindet Phil als sehr wichtig:

Braucht es ein ‚Sehr geehrte Damen und Herren‘ tatsächlich?

Auch die Ankündigung von Lufthansa, künftig an Bord auf die Begrüßung ‚Sehr geehrte Damen und Herren‘ verzichten zu wollen, begrüßt Phil. „

Ich bin oft skeptisch bei solchen Ankündigungen, aber in dem Fall ist es ein super wichtiger Schritt in die richtige Richtung, der schon längst überfällig ist.“

Er* hofft, dass weitere Unternehmen nachziehen und die Maßnahme Anklang finden wird.

Im gleichen Atemzug regt Phil zum Nachdenken an: „

Heute Morgen war ich Brot kaufen, da sagt die Verkäuferin ‚Hier bitte, die Dame‘. Es beleidigt mich nicht, aber ich denke mir schon: Woher kommt das, dass die Leute eine*n immer als Dame oder Herrn ansprechen müssen? Warum muss das sein?“

Phil: „Die einzige Person, die du sein musst, bist du — und das ist genug“

Abschließend haben wir Phil nach seiner Botschaft gefragt, die er* unseren Leser:innen mit auf den Weg geben möchte, die ihre* Geschlechtsidentität ebenfalls nicht innerhalb eines binären Geschlechterkategoriensystems einordnen. Seine* Antwort:

Außerdem auf Futter: