Impfstoff-Engpässe Argentinien hadert mit Sputnik

Impfstoff-Engpässe

Argentinien hadert mit Sputnik

Stand: 11.08.2021 12:21 Uhr

Argentinien war eines der ersten Länder, das auf das russische Sputnik-V-Vakzin setzte. Eine bewusste politische Entscheidung, die die linke Regierung inzwischen zum Zähneknirschen bringt, denn Russland liefert nicht.

Von Ivo Marusczyk, ARD-Studio Buenos Aires

Erst vor zwei Monaten hatte Alberto Fernández Russland noch über den grünen Klee gelobt. In einer Video-Schalte mit Wladimir Putin erklärte Argentiniens Präsident: "Glauben Sie mir, Präsident Putin, wir sind Ihnen unendlich dankbar. Bei uns sagt man: Wahre Freunde erkennt man in der Not. Und als wir einen schwierigen Moment durchlebten, standen die Russische Föderation und das Gamaleja-Institut an unserer Seite und halfen uns, an Impfungen zu kommen, die die Welt uns nicht geben wollte."

Ivo Marusczyk

ARD-Studio Buenos Aires

Russland als Retter in der Not in einer feindlich gesonnenen Welt. Man habe der russischen Wissenschaft immer vertraut, so der Präsident. Deshalb gehörte Argentinien auch zu den allerersten Ländern, die dem Impfstoff Sputnik-V eine Zulassung erteilten, noch vor Weihnachten 2020.

"Argentinien war das erste Land in Lateinamerika, das Sputnik-V zugelassen hat und das zweite weltweit und wir sind sehr zufrieden mit dem Erreichten", lobte Fernández - genau genommen war Argentinien eigentlich das dritte Land, nach Russland und Belarus.

Da war noch alles in Butter: Argentiniens Präsident Alberto Fernández in einer Videokonferenz mit Russlands Präsident Waldimir Putin im Juni.

Bild: AFP

Von lobenden Worten zu wütenden Briefen

Aber inzwischen kann von großer Zufriedenheit keine Rede mehr sein. Im Juli wurde eine wütende Mail voller Vorwürfe an die russischen Partner bekannt. Absenderin war die Impfstoff-Koordinatorin im argentinischen Gesundheitsministerium. Ende Juli, sechs Wochen nach der Lobhudelei auf Putin, klang Fernández wesentlich säuerlicher.

Die Regierung habe einem Lieferanten einen Brief geschickt, weil er seine Zusagen nicht einhalte, schimpfte der Regierungschef. "Und jetzt sind plötzlich wir schuld? Schickt bitte endlich die Impfdosen, die Ihr versprochen habt!" Denn die Entscheidung für Sputnik V ist zum Thema im Wahlkampf geworden und sie wird inzwischen heftig kritisiert.

Von Anfang an Lieferprobleme

Von Anfang an lieferte Moskau nur einen Bruchteil der versprochenen Impfdosen. Argentinien hatte im Winter auf der Südhalbkugel wieder dramatisch hohe Inzidenzzahlen, zuletzt wurden täglich um die 500 Corona-Tote gezählt. Inzwischen haben zwar 58 Prozent der Bevölkerung eine Impfung erhalten - damit liegt Argentinien auf Augenhöhe mit den USA und nur knapp hinter Europa.

Aber erst 19 Prozent der Argentinier haben nach zwei Dosen vollen Impfschutz. Beim Sputnik-Vakzin unterscheiden sich die beiden Impfungen, bei der zweiten Dosis dient ein anderes Adenovirus als Vektor. Das erhöht die Wirksamkeit nachweislich. Aber eben diese zweite Dosis kommt nicht an. Selbst Angehörige der Risikogruppen warten zum Teil seit mehr als drei Monaten auf die Zweitimpfung, die sie eigentlich nach drei Wochen bekommen sollten.

"Sechs Millionen Menschen warten auf die zweite Sputnik-Dosis, dabei wurde die Entscheidung für den Impfstoff getroffen, als die Phase Drei der Erprobung noch nicht abgeschlossen war, wir waren die Phase drei", das der konservative Abgeordnete Fernando Iglesias. "Das ist ein unglaublicher Skandal und zwei Dinge haben die Entscheidung beeinflusst: einerseits ideologischer Fanatismus, andererseits schmutzige Geschäfte."

Corona-Impfung mit dem Sputnik-Vakzin in Buenos Aires. Erst 19 Prozent der Argentinier haben den vollen Impfschutz.

Bild: REUTERS

Wasser auf die Mühlen der Opposition

Ideologischer Fanatismus, weil man Impfstoffe aus den USA ablehnte und lieber auf andere Lieferanten setzte - und schmutzige Geschäfte, weil auch Vetternwirtschaft eine Rolle gespielt haben soll. Die Impfpolitik ist daher jetzt Wasser auf den Mühlen der Opposition. Im November wird ein Teil des Parlaments neu gewählt.

Graciela Ocaña, ebenfalls Abgeordnete der Opposition sagte im Fernsehsender "La Nación Más": "Statt auf die Gesundheit der Argentinier zu achten, hat man lieber den befreundeten Unternehmer Sigmann geschützt und AstraZeneca den Vorzug gegeben und aus politischen Gründen dem Sputnik-V-Impfstoff."

Pfizer, der US-Partner von BioNTech, hatte Argentinien schon im vergangenen Jahr 13 Millionen Impfdosen angeboten. Doch das Geschäft kam nicht zustande. Pfizer behauptet, die Regierung habe wochenlang gar nicht reagiert. Die argentinische Regierung sagt dazu, Pfizer habe unannehmbare Bedingungen gestellt.

Die Opposition vermutet, man habe sich bewusst gegen eine Lieferung aus den USA oder Europa entschieden - schließlich positioniert sich der linke Flügel des Regierungslagers um Vizepräsidentin Cristina Kirchner immer wieder gern gegen die USA und sucht andere Partner in der Welt.

Bloß kein Impfstoff aus den USA

Impfstoff kommt aus Russland und China und Kirchner machte keinen Hehl daraus, dass sie auch auf Impfstoffe aus Kuba hofft, die noch in der Entwicklung sind. Es könne doch niemandem entgehen, dass nur dank der Verbindung eines Argentiniens, das außenpolitisch mulilateral denke, die russische Föderation uns Impfdosen verkauft habe, so Kirchner.

Zum anderen steht der Verdacht auf Vetternwirtschaft im Raum: Ein mit dem damaligen Gesundheitsminister García befreundeter Unternehmer hatte eine Lizenz zur Produktion des Vakzins von AstraZeneca in Aussicht. Darum habe man diesem Labor den Vorzug vor Pfizer gegeben. Doch auch diese Lieferung verzögerte sich um Monate. Und noch immer ist der Mangel an Impfstoff nicht behoben.

Inzwischen füllen Moderna und Pfizer die Lücke

20 Millionen Dosen sollte das Gamaleja-Institut allein bis Ende Februar 2021 liefern, so hatte Fernández es stolz verkündet. Bis heute ist nur die Hälfte davon tatsächlich angekommen. Inzwischen wird Sputnik-V zwar auch in Argentinien selbst produziert - aber sowohl bei der Lieferung der Grundstoffe als auch bei der Qualitätskontrolle durch den russischen Hersteller gibt es immer wieder Verzögerungen.

Senioren und Risiko-Patienten, die noch immer auf die zweite Sputnik-Dosis warten, sollen jetzt als zweite Dosis Impfstoff von Moderna bekommen. Denn inzwischen füllt das US-Labor die Lücke und auch Pfizer soll noch in diesem Jahr 20 Millionen Impfdosen liefern.

Allerdings nur unter lautstarkem Murren des linken Kirchner-Flügels. Bei den Verträgen mit Moderna und Pfizer habe Argentinien sich letztlich doch noch von Fremden die Regeln diktieren lassen. Was bestätigt, dass Ideologie und strategische Überlegungen bei der Entscheidung für Sputnik eine Rolle gespielt haben.

Argentinien hadert mit Entscheidung für „Sputnik“-Impfstoff

Ivo Marusczyk, ARD Buenos Aires, 11.8.2021 · 11:16 Uhr

Sputnik V

Über dieses Thema berichtete SWR2 am 05. August 2021 um 19:05 Uhr.

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