Roadtrip durch Italien: Unterwegs mit Mama und dem roten Cabrio

von Annette RübesamenRoadtrip durch Italien: Unterwegs mit Mama und dem roten Cabrio

19.07.2021, 10:10 Uhr

Die Mutter liebt die Toskana, die Tochter Techno. Die Frage ist also: Wie überzeugt man eine 22-jährige Studentin, mit Mama durch Italiens Bilderbuchlandschaft zu reisen? Ganz einfach: mit einem roten Cabrio und wilden Plänen im Gepäck.

Zu Gast bei Marco, Stefano und Giuliano

Jetzt trinken wir ein Bier. Links klettern süffige Weinberge die Hügel hinauf, rechts klettern sie hinab. Aber aus dem Zapfhahn in der kleinen Gewerbehalle in Radda in Chianti läuft frisches Dunkles ins Glas, und um eine 22 Jahre alte Münchner Studentin für das toskanische Landleben zu erwärmen, ist mir jedes Mittel recht. Craft-Bier zum Beispiel, gebraut von Marco, Stefano und Giuliano, ehemaligen Schulfreunden aus dem Arno-Tal.

Nach gemeinsamen Jahren voller Punkrock und Bier fingen die drei vor ein paar Jahren mitten in der berühmtesten Weinbauregion Italiens an, selbst zu brauen. Sie finden das normal. "Unser Bier", sagt Marco, "ist genauso toskanisch wie der Wein." Während meine Tochter Francesca sich durch die fünf Sorten der Chianti Brew Fighters probiert, studiere ich die Etiketten. Das Dunkle heißt "La Selva", Wald – ein Begriff aus Dantes "Göttlicher Komödie" – und ist mit Bedacht gewählt, wie Marco erklärt. Dante war Florentiner, den dreien geht es um Wurzeln, ums Regionale. Die Brew Fighters versetzen deshalb nicht nur ihr Weihnachtsbier mit heimischem Kastanienhonig, sie drucken auch Verse des großen Dichters auf die Etiketten.

"Ausgerechnet Dante", sagt meine Tochter. Als halbe Italienerin ist sie in Turin zur Schule gegangen. Dantes "Divina Commedia" hing stets wie eine dunkle Wolke über dem Wochenende, denn am Samstag wurden die Schüler abgefragt. In die Toskana wollte Francesca nie:

Renaissance, Wein, Landurlaub? Langweilig!

Es mussten ein paar Tricks her, um das Kind, das seine Wochenenden am liebsten in Techno-Clubs verbringt, für die Reise zu motivieren. Ungewöhnliche Adressen statt Kirchenbesichtigungen und bräsiger Landhotels, dazu der knallrote Oldtimer, den ich gemietet habe, einen Fiat 124 ­Spider Cabrio.

© Hauke Dressler

Ich bin besessen von der Toskana

In den vergangenen 20 Jahren bin ich Tausende Kilometer durch die Toskana gefahren. Ich bin besessen von dieser Landschaft. Immer wieder werde ich unterwegs die Hand vom Lenker nehmen und auf sich wellende Hügel zeigen, auf das silbrige Flirren der Olivenhaine, auf Gewitterwolken, die irgendetwas mit dem Licht anstellen, alles zum Leuchten bringen. "Verstehst du jetzt, was ich meine, Franzi?", rufe ich dann. Die zuckt mit den Schultern. "Wenn man einmal hingeschaut hat, reicht das doch", findet sie.

Prato, die vergessene Nachbarstadt von FlorenzRoadtrip durch Italien: Unterwegs mit Mama und dem roten Cabrio

Als erstes fahren wir nach Prato, die vergessene Nachbarstadt von Florenz. Was von Pratos krisengeschüttelter Textilindustrie überlebt hat, ist inzwischen ganz in chinesischer Hand. Wir röhren im Spider durch ein verregnetes Chinatown, vorbei an Wettbüros, Containern voller bunter Garnspulen, an überwucherten Fabrikruinen und dem Centro Pecci, einem Museum für zeitgenössische Kunst, das wie ein riesiger goldener Schwimmreifen neben einer Ausfallstraße ruht. "Krass!", tönt es elektrisiert vom Beifahrersitz. Dann setzen wir uns bei Chiara Bettazzi, die in einer der stillgelegten Textilfabriken lebt, an den Küchentisch. Wir trinken Espresso und halten Willi im Arm, Chiaras Kaninchen.

Aus einer untergegangenen Geschichte etwas Neues machen

Chiara erzählt, wie sie Willi bei einem ihrer Streifzüge durch die verlassenen Industrieanlagen gefunden hat. Chiaras ganzes Leben dreht sich um Industriearchäologie; ihre Heimatstadt Prato ist für die Künstlerin eine einzige große Schatztruhe. Sie kartiert aufgegebene Spinnereien und E-Werke, lässt dort Musiker*innen auftreten, Performer*innen, Fotograf*innen. Den vergessenen Krempel, den sie in den Ruinen findet, rostige Metallschränke, Fensterrahmen, Glaskolben, fügt sie zu Installationen im Wunderkammer-Stil zusammen und richtet sich damit ein. Ihr Loft sieht nach Brooklyn aus, doch im Hof steht eine Zypresse neben dem Fabrikschlot, dahinter grüne Hügel. "Aus einer untergegangenen Geschichte was Neues zu machen", sagt Chiara, "finde ich ganzo!"

Ganzo sagen sie nur in der Toskana. Es heißt so viel wie "toll". Auch der alte Mann, den wir im Weinberg am Pratomagno treffen, spricht toskanisch. "Es klingt so warm und entspannt", wundert sich Francesca, die ihm beim Abzwicken der Trauben hilft. "Wie soll man sich mit diesem Akzent jemals sauer oder wütend anhören?" Später sitzen wir alle zusammen auf der Pergola. Der Mann dreht Zigaretten, meine Tochter isst entspannt ein Panino: roher Schinken auf ungesalzenem toskanischem Brot. Ganz langsam, denke ich, sickert die Toskana da gerade in jemanden ein.

Ich bin zum ersten Mal am Pratomagno, diesem Bergrücken oberhalb des Arno-Tals. Einsam und waldreich ist er, ein Landstrich, aus dem die Menschen wegziehen. Aber wenn man genauer guckt, sieht man hinter den Dächern des Ortes Loro Ciuffenna einen glänzenden, kleinen Weinberg liegen, einen gepflegten Olivenhain, ein Natursteinhaus mit salbeigrün gestrichenen Fenstern. Daniele, ein studierter Romanist, macht hier seit ein paar Jahren das, wovon auch ich heimlich träume: Wein, Öl und Osteria. Zur Osteria "Sàgona" gehört aufpoliertes Flohmarktmobiliar und eine Bedienung, die aussieht wie Amy Winehouse, nur glücklicher. Daniele erklärt mir seine Überzeugung, dass ein Landkind wie er, das studieren durfte, dem Land etwas zurückgeben müsse: Wissen, Kunst und Kultur. Dann schaut er mich an. "Spreche ich zu schnell?", fragt er besorgt. Im Gegenteil, sage ich, und wir müssen lachen.

In unserem Nachtquartier "Novole" kommen wir erst an, als es schon fast dunkel ist. Das ist schlecht, weil Lucio, der Hausherr, seinen bei Cortona einsam im Wald gelegenen Hof kaum beleuchtet. Er findet, das verdirbt den Blick auf die Sterne. Über Kies und moosige Stufen tasten wir uns unserer Unterkunft entgegen.

"La figlia" streckt im Agriturismo "Novole" die Beine aus.

© Hauke Dressler / Brigitte

"Novole" war im Mittelalter mal ein Kloster. Uraltes Gemäuer, weinberankt, drinnen enorme Kamine und schiefe Steinböden. Lucio, Ex-Fotograf und Bio-Olivenbauer, vermietet darin Zimmer und Apartments. Francesca und ich teilen uns ein riesiges altes Ehebett. Ich reiße die Fenster weit auf, damit die Nachtluft hineinkann. Dann schlafen wir sofort ein. Frühstück ist draußen am Steintisch, mit Kaffee, Keksen und frisch vom Baum gepflückten Feigen. Auf Lucios Schulter sitzt eine zahme Elster und kreischt ihm ins Ohr, und dann steht auf einmal ein altes Pferd im Garten. Es heißt Foschia. Francesca füttert es mit Trauben.

"Ich würde gern noch bleiben", sagt sie, als ich meine Tasche zum Spider trage.

Sie will Lucios Geschichten zuhören, in der Hängematte lesen, mit den Hunden spielen. "Wieso müssen wir denn ins Val d’Orcia? Wegen der Landschaft?" Sie ahnt noch nicht, dass sie es sein wird, die noch am selben Abend ihren Workout bei Pienza ins Freie verlegt. Neben den Hotelpool. Zu Tech-House aus der Boom-Box wird sie ihre Dehnübungen machen, völlig versunken in den Anblick toskanischer Hügelketten unter rosafarbenen Sonnenuntergangswolken. Man muss halt flexibel sein, in jeder Hinsicht.

Ohne Darios behänden Einsatz hätten wir es nicht ins Val d'Orcia geschafft. Bei ihm kommen drei Sachen zusammen: Er hat goldene Hände, eine Schwäche für italienische Oldtimer und einen Job in der Kfz-Werkstatt von Montisi. Als wir mit einem Anlasser-Problem auf den Hof rollen, lässt er alles stehen und liegen und vergräbt sich im Fußraum unseres Spiders, wo er Kabel verbindet und immer mal wieder kurz auftaucht, um einen Kommentar abzugeben. Nicht zum Thema Fußball, wie in jeder anderen Autowerkstatt der Welt, nein, er spricht von Bellezza, von Arte und von den wunderbaren Kirchen in San Gio­vanni d’Asso, wo er zu Hause ist. Da merke ich wieder mal:Roadtrip durch Italien: Unterwegs mit Mama und dem roten Cabrio

Die Toskaner*innen sind mir von allen in Italien die liebsten. Sie sind überschwänglich, fröhlich, gesellig und haben einen Hang zur Anarchie.

Auf geht's Richtung Meer

Als wir dann am nächsten Morgen Richtung Meer brausen, und zwar durch die einsamen Wälder der Maremma, liebäugele ich mit einem Abstecher nach Santa Fiora, einem Dorf, in dem die Bewohner*innen traditionell Menschen helfen, die auf der Flucht sind. Und zwar egal, ob diese vor dem Finanzamt fliehen, ihrer Familie oder vor politischer Verfolgung. Aber dann fahren wir doch weiter nach Piombino ans Meer. Auch hier ist die Toskana unkonventionell: Treibholz statt Liegestuhlreihen, jeder breitet sein Handtuch aus, wo es ihm gefällt.

© Hauke Dressler / Brigitte

Das Brandungsrauschen vermischt sich mit den Bässen aus der Strandbar, wo ein DJ auflegt und Dreadlock-Frauen Bier aus kompostierbaren Plastikbechern trinken. Francesca wirft sich neben einem Labrador in den Sand, murmelt "Ich liebe das Meer" und schließt die Augen. Ich gucke auf rot-weiß geringelte Fabrikschlote in der Ferne und wundere mich, dass sie mich nicht im Geringsten stören.

Auch in der großen Hafenstadt Livorno gibt es Schlote. Außerdem Raffinerien und Lastkräne. In der Altstadt schleiche ich an grünlichen Kanälen entlang, an vernarbten Fassaden und vorbei an Kiosken, in denen Einwanderer aus Bangladesch an Kartoffelsäcken lehnen. Ein dicker Bettler trägt ein Versace-T-Shirt, und in der Trattoria "Il Sottomarino" spricht mich der rothaarige Kellner mit "bimba" an, Kleine, dabei ist er höchstens so alt wie Francesca. Dann schleppt er eine Riesenschüssel Cacciucco an, Livorneser Fischsuppe auf Brot, und besteht darauf, dass wir Rotwein dazu trinken.

Wo bleibt hier die Toskana? Meine Reisebegleitung zuckt mit den Achseln. Neu belebt federt sie durch die Gassen, guckt sich jeden einzelnen Passanten an, scheint Salzluft und Autoabgase förmlich zu inhalieren. "Das hier ist echtes Italien, Mami!", bekomme ich erklärt. "Eine richtige Stadt! Ich kann ihre Seele spüren. Nicht wie in den aufgestylten Dörfern, in denen wir vorher waren."

© Hauke Dressler / Brigitte

Es ist sehr früh am Sonntag, als wir nach Florenz zurückfahren. Über den Feldern löst sich der Nebel, auf den Pinien liegt erster Sonnenglanz. Unsere Schals flattern im Wind. "Eigentlich ganz schön, die Landschaft", sagt Francesca heiter und betrachtet menschenleere Hügel, Weinberge, Olivenhaine. "Ich mag diese friedliche Stille. Ein bisschen so, wie wenn man morgens um sechs aus dem Club kommt."

So kann man es natürlich auch sehen.

Die Reisetipps für die Toskana

SCHLAFENNovole. Alles in dem kleinen Weiler bei Montanare ist uralt und dezent restauriert. Drei Häuser kann man mieten, lässig eingerichtet mit alten Familienmöbeln und moderner Fotografie. Haus ab 450 Euro/Woche, novole.com.Roadtrip durch Italien: Unterwegs mit Mama und dem roten Cabrio

Il Paluffo. Einzigartig ist der lang gestreckte Bio-Schwimmteich mit Seerosen, an dem abends die Frösche quaken. Die alte Villa im Chianti hat auch sonst einiges zu bieten: charmante Zimmer mit Deckenfresken, Kamin-Lounge, großen Garten in gewellter Hügellandschaft. DZ/F ab 95 Euro, paluffo.com.

Podere Cerreto. Der Agriturismo in den Hügeln bei Pienza liegt wunderschön mit Blick auf den Monte Amiata. Frühstück serviert Besitzer Gianni – frischer Pecorino, selbst gemachte Marmelade, Focaccia. DZ/F ab 110 Euro, agriturismocerreto.com.

ESSENSÀGONA. An den Wänden hängt ­moderne Kunst, auf den Tischen stehen Wiesenblumen im Einmachglas, auf die Teller kommen ländliche Zutaten mit peppiger Note, wie geröstete Tomaten zu den Spaghetti oder glückliches Huhn mit ­Trau­bensoße. Dazu Weine und Olivenöl aus eigener Produktion. Loro Ciuffenna, ­sagona.it.

IL SOTTOMARINO. Die Atmosphäre liegt irgendwo zwischen Schiffskombüse und Familienfest, mit langen ­Tischen unter verblichenen U-Boot-Auf- nahmen und jungen Kellnern, die mit Fischsuppen und im Ganzen gegrillten Marmorbrassen hin- und hereilen. Livorno, Via Terrazzini 48, Tel. 0039-0586887025.

GELATERIA CASTELLINA. Die Lage ist nicht gerade romantisch – an einem Verkehrskreisel mit Blick auf einen Getreidesilo –, aber es gibt hier das beste Eis im Chianti. Unbedingt die toskanisch inspirierten Sorten wie Vinsanto-Cantuc­cini oder Rosmarin-Himbeer probieren. Castellina, Via 4 Novembre 47.

AUF EIN BIERDie Brauerei in einer Gewerbehalle in Radda ist nicht besonders attraktiv. Aber man kann draußen auf dem Vorplatz sitzen, in die Weinberge gucken und dabei die verschiedenen regionalen Biersorten durchprobieren, "ein ganz neues Trinkerlebnis", so Brauer Marco. chiantibrewfighters.com.

SHOPPENDie schicken Designerboutiquen von Gucci, Pucci, Prada und Co. in Florenz sind sehenswert wie ein Renaissancepalast. Doch die Preise dort sind so schwindelerregend hoch wie die Absätze von Ferragamo-Stilettos. Die sind deutlich günstiger zu finden in Outlet-Stores wie Barberino nahe Florenz, mcarthurglen.com.

BADENTypisch für die Toskana sind "freie" Thermen mitten in der Natur, wie zum Beispiel in Petriolo: Heißes, schwefelhaltiges Thermalwasser füllt natürliche Steinwannen am Ufer über dem Flüsschen Farma und ergießt sich auch ins Flussbett, das an dieser Stelle ein natürliches Becken bildet. Einfach Klamotten an den nächsten Strauch hängen und eintauchen. Monticiano, Strada Provinciale di Petriolo.

BRIGITTE WOMAN 04/2021

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