Aus Überzeugung: Fleisch vom Pferd - Schorndorf

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Jeden Dienstag mit Fleisch und Wurst auf dem Schorndorfer Wochenmarkt: Heidemarie Beerwart von der Waiblinger Pferdemetzgerei. © Palmizi / ZVW

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In Heidemarie und Rolf Beerwarts Betrieb werden nur Tiere aus der Region geschlachtet. Und kurz sind auch die Verarbeitungswege. © Palmizi / ZVW

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Ungarische Paprikawürste, frisch aus der Räucherkammer. © Alexandra Palmizi

Schorndorf/Waiblingen. Rheinischer Sauerbraten wird traditionell aus Pferdefleisch gemacht. Doch am Stand der Metzgerei Beerwart gibt es auch Gulasch, Steaks, Rouladen, Rote, Saiten, Salami, ja sogar Leberwurst. Galt Pferdefleisch früher als Arme-Leute-Essen, steht für viele Kunden heute der Gesundheitsaspekt im Vordergrund: Das Fleisch, wirbt Heidemarie Beerwart, ist reich an Eisen und Eiweiß und hat weniger Fett und Cholesterin als Rind und Schwein.

Video: Heidemarie Beerwart erklärt den unterschied von Pferde und Rindfleisch

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Mag’s kleinen Mädchen beim Gedanken an Pferdefleisch auch die Tränen in die Augen treiben, an entsetzte Reaktionen auf dem Wochenmarkt kann sich Heidemarie Beerwart eigentlich nicht erinnern. Als die Waiblinger Pferdemetzgerei vor Jahren in der Stuttgarter Markthalle einen Stand hatte, „gab es Gegenwind“ – in den 18 Jahren, die sie dienstags in Schorndorf Pferdewurst und -fleisch verkauft, musste sie sich noch nie rechtfertigen. Dafür diskutiert die Metzgersfrau immer wieder mit Wochenmarktgängern, wenn es nicht sowieso schon überzeugte Stammkunden sind, über die Vorteile von Pferdefleisch – und den Wahnsinn der Massentierhaltung. Denn daher stammt das Pferdefleisch, das Beerwarts an ihrem Wochenmarktstand und in ihrer Waiblinger Metzgerei verkaufen, garantiert nicht.

Aus Überzeugung: Fleisch vom Pferd - Schorndorf

Acht bis zehn Pferde werden pro Woche geschlachtet

Im Schnitt acht bis zehn Pferde in der Woche, überschlägt Rolf Beerwart, werden in der Metzgerei geschlachtet und weiterverarbeitet. Die Sport-, Freizeit- und Nutzpferde werden fast immer von ihren Besitzern in den Schlachtraum geführt – oder zumindest bis an die Edelstahltür. „Da gibt es oft bittere Tränen“, sagt Heidemarie Beerwart und kann sich zugleich auch an „tolle Dankesbriefe“ erinnern. Im Schlachtraum hält einer das Pferd an den Zügeln, der andere setzt den Schuss. Das war’s. Und auch die Wege zur Verarbeitung in der Zerlegung und der Küche sind kurz. Schlachtpferde durchleiden hier nicht den Stress von Massentierhaltung und Tiertransport und sind vor allem nicht vollgepumpt mit Chemie: In der Metzgerei darf kein Pferd ohne Equidenpass geschlachtet werden, in dem sämtliche Tierarztbehandlungen und verabreichten Medikamente dokumentiert sein müssen. In der Regel, sagt Rolf Beerwart, handele es sich bei den Schlachtpferden um knochenkranke Tiere.

Für den schonenden Umgang mit den Tieren ausgezeichnet

Gleich zweimal wurde die Waiblinger Pferdemetzgerei im Jahr 1998 für ihren schonenden Umgang mit den Pferden ausgezeichnet, mit dem Ehrenpreis „Blaues Pferd“ der Deutschen Vereinigung zum Schutz des Pferdes (DVSP) sowie dem Horsemanship. Und die Metzgerei unterstützt auf ihrer Internetseite ausdrücklich den Kampf gegen qualvolle Schlachttiertransporte ins Ausland, und lehnt es strikt ab, aus dem Ausland importierte Pferde zu übernehmen oder Tiere ins Ausland zu verkaufen.

Gesünder: Reich an Eisen, arm an Fett

Und gesünder ist Pferdefleisch – im Vergleich zu Rind und Schwein – auch: Es ist reich an Eisen, Kalium, Phosphor, Vitamin A und B, es ist fettarm und hat nur geringe Auswirkungen auf den Cholesterinspiegel. Galt das dunkle, kräftige Pferdefleisch früher als Arme-Leute-Essen, das sich gesundheitsbewusste Akademiker heimlich ins Haus liefern ließen, haben Heidemarie und Rolf Beerwart mittlerweile einen Kundenstamm, der sich über die ganze Region erstreckt – und darüber hinaus.

Bestellungen auch übers Internet

Dienstags sind Beerwarts auf dem Schorndorfer Wochenmarkt, mittwochs sind sie in Backnang, donnerstags in Ludwigsburg und freitags auf dem Stuttgarter Wilhelmsplatz. Am Wochenende kommt die Kundschaft aus Ulm, Augsburg, Schwäbisch Hall und Crailsheim nach Waiblingen gefahren. Und weil Pferdemetzgereien dünn gesät sind – die nächsten sind in Speyer und Kaiserslautern –, bestellen Pferdefleisch-Liebhaber aus der ganzen Republik gleich kiloweise auch übers Internet.

Pferdefleisch auf Verodnung des Arztes

Und darunter sind auch immer mehr Menschen mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten, mit Gicht oder Diabetes, hohen Cholesterinwerten oder Blutkrankheiten. Eine Kundin, erzählt Heidemarie Beerwart, „hat von ihrem Arzt sogar verordnet bekommen, täglich 130 Gramm Pferdefleisch zu essen“. Ein anderer konnte offenbar eine Bluttransfusion durch den Genuss von Pferdefleisch verhindern. Und mittlerweile macht sogar Tierfutter einen erheblichen Teil des Verkaufs aus: Fast 40 Prozent des Pferdefleisches wird zu Hunde- und Katzenfutter verarbeitet: „Die hochgezüchteten Tiere“, sagt Rolf Beerwart, „haben oft auch Allergien“.

Familienbetrieb: Zukunft ungewiss

Und auch bei Beerwarts kommt kaum anderes Fleisch auf den Tisch. Wenn sie schon mal Rindfleisch esse, sagt die Metzgersfrau, schmecke sie den Unterschied sofort. Fleisch oder Eier aus der Massentierhaltung zu essen oder zu verarbeiten, das kann sie sich gar nicht mehr vorstellen: „Was tun wir uns inzwischen an mit dem Fleisch?“ fragt sie. Und eine bewusste Entscheidung war offenbar auch die Gründung der Pferdemetzgerei vor 71 Jahren: Rolf Beerwarts Großvater, der immer viel mit Pferden zu tun hatte, hat die Metzgerei gemeinsam mit seinem Sohn in der Langen Straße in der Waiblinger Altstadt eröffnet. Nach dem frühen Tod der Gründer haben Beerwarts Tanten die Metzgerei übernommen. Seit 1994 wird sie von Rolf Beerwart und seiner Frau geführt – in größerem Stil: Um die Schlachtung, die ab der Mitte der 1980er Jahre aus hygienischen Gründen in der Innenstadt nicht mehr möglich war und in den Ludwigsburger Schlachthof verlegt wurde, wieder mit der Metzgerei zusammenzuführen, haben Rolf und Heidemarie Beerwart im Waiblinger Industriegebiet „Ameisenbühl“ gebaut.

Die Nachfolge des Betriebs ist ungeklärt

In einer ehemaligen Autowerkstatt an der Benzstraße gibt es jetzt nicht nur den Verkaufsraum mit großer Theke, sondern auch die Metzgerei mit Schlachtraum, Zerlegung, Edelstahlküche und Lagerräumen. Drei Metzger und drei Fachverkäuferinnen arbeiten im Betrieb, dessen Nachfolge allerdings ungeklärt ist. Seitdem der Sohn, der schon als Betriebsleiter in der Metzgerei eingestiegen war, der Liebe wegen ins Saarland gezogen ist, wissen die Beerwarts nicht, wie’s auf Dauer weitergehen kann. Rolf Beerwart, gesundheitlich angeschlagen, ist bereits seit zwei Jahren in Rente. Seine Frau, ebenfalls schon über 60, steckt alle Kraft und Zeit in den Betrieb.

Kartoffeln kauft sie vom Stand nebenan

Doch sie tut es aus Überzeugung – und Pferdefleisch auf dem Wochenmarkt zu verkaufen, gehört dazu. Gerade die Gespräche mit interessierten Kunden sind für sie Bereicherung. Und: „Man ist freier“, sagt sie und freut sich auf das bunt gemischte Publikum, dem sie in ihrem Laden in Waiblingen natürlich nicht begegnet: „Hierher kommen Kunden, die schon überzeugt sind.“ Und die Zeit auf dem Wochenmarkt kann sie selbst auch für ihre Einkäufe nutzen: Die Äpfel kauft sie in Schorndorf. Und die Kartoffeln, die in der Metzgerei verarbeitet werden, bezieht sie von Richard Lechner, am Stand direkt nebenan.