Öko-Politik: Die EU will Musterschüler sein – aber die Spanier bestehen auf ihr Steak

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omentan wäre kein guter Zeitpunkt, Spaniens regierende Politiker auf eine Grillparty einzuladen. In der linken Regierungskoalition gibt es Streit über das Thema Fleischkonsum. Verbraucherminister Alberto Garzón von der Podemos-Partei überraschte den Rest der Regierung mit seiner Kampagne „Weniger Fleisch, mehr Leben“, in der die Spanier aufgefordert werden, ihrer Gesundheit und dem Planeten zuliebe weniger Fleisch zu essen.

Die Kampagne entfachte eine landesweite Debatte über die Konsequenzen einer fleischlastigen Ernährung, und der sozialistische Ministerpräsident Pedro Sánchez versetzte seinem Minister mit den Worten „Ein perfektes Steak ist für mich unschlagbar“ eine verbale Ohrfeige. Der interne Streit entbrannte, während Brüssel sich darauf vorbereitete, ein Paket an Klimagesetzen mit dem Titel „Fit for 55“ zu verabschieden. Damit sollen die Treibhausgasemissionen der EU bis zum Ende des Jahrzehnts um 55 Prozent gesenkt werden.

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Die spanische Debatte über die Auswirkungen von Tierhaltung auf das Klima zeigt jedoch: Es wird schwierig, die europäische Viehwirtschaft dazu zu bewegen, ihre umweltschädlichen Praktiken zu ändern – zumal Fleischkonsum in vielen EU-Ländern kulturell verwurzelt ist. Das Wort für „Steak“ in Sánchez‘ Antwort war das schwer übersetzbare chuletón – eine spanische Delikatesse, ähnlich einem T-Bone-Steak, die typischerweise von Rindern aus Nordspanien stammt.

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Verbraucherminister Garzón, ein 35-jähriger Kommunist und Wirtschaftswissenschaftler, startete seine Kampagne mit einem sechsminütigen Video auf Twitter, das seit vergangenem Mittwoch mehr als 900.000 Mal angesehen wurde. „Zu viel Fleisch zu essen schadet unserer Gesundheit und auch dem Planeten“, sagte er in dem Video, in dem unter anderem eine Kuh eins mit einem Auspuff wird.

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Sein Plädoyer an die Spanier sorgte für ein erneutes Aufflammen des europaweiten Kulturkampfes um die Zukunft eines Nahrungsmittels, von dem Aktivisten und Experten sagen, dass es zur Bekämpfung der Klimakrise deutlich seltener konsumiert werden muss. Einige sind der Meinung, dass Fleisch zu einer luxuriösen, aber grundsätzlich verzichtbaren Proteinquelle werden sollte.

Der ehemalige konservative spanische Innenminister Juan Ignacio Zoido, inzwischen Mitglied des Landwirtschaftsausschusses des Europäischen Parlaments, twitterte ein Foto von seinem fleischhaltigen Abendessen und verteidigte seinen Fleischkonsum mit einem Hashtag, der übersetzt „Ich esse Fleisch“ bedeutet. Fleisch „ist Teil der mediterranen Ernährung, der Verzehr ist gesund, und wir müssen den Fleisch- und Tierhaltungssektor unterstützen“, schrieb er.

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Garzón betonte, dass 14,5 Prozent der weltweiten Treibhausgase aus der Viehwirtschaft resultierten und dass für jedes Kilo Rindfleisch 15.000 Liter Wasser benötigt würden. Spaniens Fleischindustrie bestritt diese Zahl in einem offenen Brief an den Minister jedoch und behauptete, das meiste davon wäre Regen.

Spanier sind die größten Fleischesser der EU

Laut Daten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen werde in Spanien mehr Fleisch verzehrt als in jedem anderen EU-Land. Der durchschnittliche Fleischkonsum der Spanier übertrifft die Ernährungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und selbst die der spanischen Ernährungsbehörde bei Weitem; demnach sollte eine Person ihren Fleischkonsum auf zwei bis vier Portionen von maximal 125 Gramm pro Woche beschränken, davon nicht mehr als zwei Stücke rotes Fleisch. Spanier essen allerdings bis zu ein Kilo Fleisch pro Woche und haben während der Pandemie im Jahr 2020 mehr davon konsumiert als 2019.

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Landwirtschaftsminister Luis Planas aus Sánchez‘ Sozialistischer Arbeiterpartei sagte, er hätte von der Kampagne nichts gewusst, bezeichnete ihre Botschaft als „so falsch wie die, dass Zucker tötet“, und beschuldigte Garzón, ihn „zu benutzen“. Planas führte die Entvölkerung großer Teile Zentralspaniens als Hauptargument zur Verteidigung der Viehwirtschaft an und betonte ihre Wichtigkeit für die Erhaltung der ländlichen Wirtschaft und Gemeinden. Außerdem verglich er Tierhaltung mit anderen umweltverschmutzenden Sektoren wie Schwerindustrie und Transportwesen und sagte, dass „nur“ acht Prozent der spanischen Treibhausgasemissionen aus der Tierhaltung stammten. Er berief sich auf einen im März veröffentlichten Bericht des Regierungsministeriums für ökologischen Wandel und demografische Herausforderung. Demnach produziert die Landwirtschaft zwölf Prozent der Emissionen des Landes, davon kommen 66 Prozent aus dem Tiersektor. Verkehr, Schwerindustrie und Stromerzeugung trugen dem Bericht zufolge im Jahr 2019 weit mehr zur globalen Erwärmung bei als die Landwirtschaft.

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– könnte ein billiger und effektiver Weg sein, die globale Erwärmung einzudämmen. Doch die Unterstützung von schlecht bezahlten und politisch einflussreichen Landwirten zu gewinnen wird eine Herausforderung.

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In einem Interview mit „Politico“ sagte EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski, es gebe zwar keine Pläne, die Zahl der in Europa gehaltenen Tiere zu reduzieren, das neue „Fit for 55“-Paket werde jedoch zur Senkung der Emissionen aus Tierhaltung beitragen, indem der Transport nachhaltiger gestaltet und die Lieferketten verkürzt würden. „Die Fleischproduktion macht nur vier Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union aus; das ist kein großer Anteil. Ich denke, wir können mehr erreichen, indem wir vor allem den Transportaufwand reduzieren“, sagte er. Der polnische Kommissar lehnte es ab, die Frage zu beantworten, ob die EU-Bürger weniger Fleisch essen sollten: „Es ist nicht meine Aufgabe, den Europäern Ernährungsvorschläge zu machen.“

Nichtsdestotrotz preist die „Vom Hof auf den Teller“-Strategie der Europäischen Kommission – Teil ihres Vorzeigeprojekts „Green Deal“ zur Bekämpfung der Klimakrise – die ökologischen und gesundheitlichen Vorteile einer Ernährung mit „weniger rotem und verarbeitetem Fleisch“ und stellt zugleich fest, dass die EU-Bürger im Durchschnitt die empfohlene Konsummenge von rotem Fleisch überschreiten.

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Brüssel plant zudem, dass Tierfutter weniger gefährliche Ausstöße verursachen soll und Landwirte Anreize bekommen, Kohlenstoff im Boden zu halten. Unter erheblichem Druck von Umweltgruppen überprüfen EU-Beamte auch die bisherige Politik, für den Export vorgesehene Lebensmittel zu bewerben. Die Aktivisten fordern, die Subventionen für Fleischwerbung zu reduzieren.

Politische Grabenkämpfe um Fleisch

Während durchaus eine breite Akzeptanz für das Ziel der Ernährungspolitik existiert – die Reduzierung von Emissionen und die Eindämmung der Klimakrise – verursacht der Drang, dramatische Schritte eher früher als später zu unternehmen, politische Grabenkämpfe.

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Im Mai veröffentlichte die spanische Regierung eine langfristige strategische Vision, wie das Land in der Mitte des Jahrhunderts aussehen soll. Darin heißt es: „Wir werden weniger Lebensmittel tierischen Ursprungs konsumieren.“

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Adrián Vázquez Lázara, ein spanischer Europaabgeordneter von der konservativ-liberalen Ciudadanos-Partei, sagte: „Wir arbeiten alle daran, diese Emissionen zu senken. Aber wir können das nicht von heute auf morgen machen, wir können nicht einen bestimmten Sektor verteufeln. Wir müssen es Schritt für Schritt tun, so schnell wie möglich natürlich, deshalb treiben wir ja so viele neue Gesetzesvorhaben voran. Aber man muss das mit einer gewissen Logik und ein wenig Verstand angehen.“

Vielleicht hat Garzón diese Kritik vorausgesehen und in seinem Video deshalb betont, dass er niemanden wegen seines Fleischverzehrs anprangern, sondern die Menschen nur zum Nachdenken über ihre Konsumgewohnheiten anregen wolle. Er würde verstehen, sagte er, dass manche Familien einfach keine Zeit hätten, sich für etwas anderes als die billigste und schnellste Option zu entscheiden, wenn es darum ginge, Essen auf den Tisch zu bringen.

Auf die Kritik an seiner Kampagne angesprochen, erklärte Garzón im Fernsehen, dass er lediglich die Zukunft im Blick habe: „Ich will Maßnahmen ergreifen, damit die Zukunft – der Planet, den wir meiner dreijährigen Tochter, meiner einjährigen Tochter, ihrer ganzen Generation hinterlassen – ein bewohnbarer Planet ist. Und keine Wüste.“

Dieser Text stammt aus der Zeitungskooperation Leading European Newspaper Alliance (LENA). Ihr gehören neben WELT die italienische Zeitung „La Repubblica“, „El País“ aus Spanien, „Le Figaro“ aus Frankreich, „Gazeta Wyborcza“ aus Polen, „Le Soir“ aus Belgien sowie aus der Schweiz „La Tribune de Genève“ und „Tages-Anzeiger“ an.

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Übersetzt aus dem Englischen von Jessica Wagener.