Klimagerecht, aber unsozial

Um dieKlimagerecht, aber unsozial

CO2 -Emissionen zu senken, müssten die Preise für Milch- und Fleischprodukte steigen. (Bild: Colourbox)

Nebst den CO2 -Emissionen, die beim Verbrennen von fossilen Treibstoffen wie Erdgas oder Öl entstehen, sind Methan und Lachgas aus der Landwirtschaft die zweitwichtigsten Treibhausgase in Europa. Laut Experten muss der Ausstoss dieser Gase dramatisch gesenkt werden, wenn das 1,5-Grad-Klimaziel, wie es im Pariser Abkommen festgehalten wurde, erreicht werden soll.

Die technischen Mittel, um Methan- und Lachgas-Emissionen zu senken, sind allerdings begrenzt und teuer. Um die Klimaziele einzuhalten, muss daher der Konsum von Produkten wie Fleisch, Milchprodukte oder Reis, die stark zu den oben erwähnten Emissionen beitragen, eingedämmt werden. Doch das Verhalten der Konsumenten und Konsumentinnen zu ändern, ist schwierig. Und vor Zwangsmassnahmen scheuen Regierungen und Behörden zurück.

Preissteigerung in der Schweiz vertretbar

Die ETH-Umweltforschenden Nicoletta Brazzola, Jan Wohland und Anthony Patt, Professor für Klimaschutz und -anpassung, haben das Problem nun aus einer anderen Perspektive betrachtet. Sie fragten sich, wie viel mehr CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden muss, wenn es nicht gelingt, den Ausstoss der übrigen landwirtschaftlichen Klimagase zu kompensieren. Zudem untersuchten sie, wie sich die zusätzlichen Reduktionsmassnahmen auf den Preis von Milch, Fleisch und Reis niederschlagen könnten. Ihre Studie ist soeben in der Fachzeitschrift «PLoS ONE» erschienen.

«Ob unsere Ergebnisse eine gute oder eine schlechte Nachricht sind, hängt davon ab, wo jemand lebt», sagt Co-Autor Patt. In Ländern wie der Schweiz, wo Milchprodukte und Fleisch schon jetzt verhältnismässig teuer sind, würden die Preise für Rindfleisch um 10 Prozent und für Milch um rund 5 Prozent steigen. Diese Preissteigerung reiche aus, um die Lachgas- und Methanemissionen aus der Milch- und Fleischproduktion mit zusätzlicher CO2 -Entsorgung vollständig zu kompensieren. «Für die meisten Konsumentinnen und Konsumenten in den reichen Industrienationen wäre dieser Aufschlag verkraftbar», findet Patt

Anders sieht es für Menschen in Entwicklungsländern aus: Um diese Lebensmittel «klimagerecht» zu machen, müssten deren Preis verdoppelt werden. «Das stellt uns vor ein Dilemma: Eine solche Massnahme wäre zwar klimagerecht, aber unsozial», betont der ETH-Professor.

Landwirtschaftliche Emissionen kompensieren

Auf diese Zahlen kam Patts Team mithilfe eines Klimamodells. Damit berechneten sie, wie viel CO2 aus der Luft entfernt und im Untergrund eingelagert werden muss, um das Pariser Klimaziel von 1,5 bis 2 Grad Celsius Erwärmung einzuhalten. Und dies unter der Annahme, dass die übrigen landwirtschaftlichen Klimagasemissionen gleich hoch bleiben oder weiter steigen.

Danach schätzten die Autoren die Kosten für die CO2 -Sequestrierung, also die Abscheidung und Speicherung von CO2, mit einer Kombination verschiedener Technologien. Die günstigsten Lösungen sind das Anpflanzen von Bäumen und das Einfangen von Emissionen, die bei der Nutzung von Bio-Energieträgern entstehen. Beides hat jedoch Grenzen, weil dafür nicht genügend Land zur Verfügung steht. Die Gesellschaft müsste deshalb bald auf teurere Massnahmen umsteigen, etwa CO2 mit chemischen Prozessen aus der Luft zu filtrieren und das Gas im Untergrund einzulagern. Die Kosten dafür dürften mit zunehmender Verbreitung der Technologie allerdings sinken.

Diese wären vorerst günstig. Je mehr CO2 aber im Lauf der Zeit sequestriert werden müsste, desto teurer werden die dafür benötigten Technologien, auch wenn sie günstiger werden, je stärker sie sich verbreiten.

Um die Sequestrierungskosten in Preisänderungen für landwirtschaftliche Produkte zu übertragen, bezogen die Forschenden die jeweiligen Emissionen, die bei der Erzeugung von Milchprodukten, Rindfleisch und Reis entstehen, sowie deren globale und länderspezifischen Preise mit ein.

«Sowohl die Gesamtmenge an CO2, die global aus der Atmosphäre zu entfernen ist, als auch der Geldbetrag, der dafür benötigt wird, scheinen astronomisch hoch zu sein», erklärt Erstautorin Nicoletta Brazzola. Indem sie analysierten, wie sich Lebensmittelpreise und damit die Kosten für Einzelpersonen verändern, erhielten die Forschenden einen besseren Eindruck davon, ob ihr Ansatz realistisch ist.

In Entwicklungsländern kaum umsetzbar

Am stärksten betroffen von Kohlenstoff-Reduktionsmassnahmen wären demnach Menschen in Entwicklungsländern, die einen Grossteil ihres Einkommens für Lebensmittel aufwenden. Höhere Preise würde ihre Ernährungssicherheit und ihr Wohlbefinden gefährden.

«In gewissen Industrienationen, wo der Überkonsum von emissionsintensiven Nahrungsmitteln problematisch ist, könnte dieser Ansatz den Übergang zu nachhaltigeren Ernährungsformen erleichtern», sagt Brazzola. Für Europäer seien die Zusatzkosten überschaubar. Zudem könnte die Nachfrage nach Fleisch und Milchprodukten sinken, wenn diese teurer würden - was sich wiederum positiv auf die Reduktion von landwirtschaftlichen Emissionen auswirkt.

Wenn man also den heutigen Kilopreis für Rindfleisch von 20 Euro um zwei Euro erhöhen würde, wäre das politisch akzeptabel. Der gleiche Preisaufschlag von 2 Euro erscheint hingegen überrissen in Ländern, in denen Rindfleisch heute nur fünf Euro kostet und das verfügbare Einkommen tiefer ist.

«Ich glaube nicht, dass solche Preisaufschläge in Entwicklungsländern eine realistische Option sind, vor allem dann nicht, wenn sie die Ernährungssicherheit gefährden; ich kann mir aber auch nicht vorstellen, dass Politiker gewillt wären, die Preise für solche Lebensmittel mehr als zu verdoppeln. Wir müssen daher andere Möglichkeiten suchen», sagt Patt.

Entweder finde man Wege, um die Emissionen durch veränderte Ernährungsgewohnheiten oder Fleischersatz zu reduzieren; oder man müsse andere Geldquellen finden, um das Entfernen von CO2 aus der Luft zu finanzieren.

Literaturhinweis

Brazzola N, Wohland J, Patt A. Offsetting unabated agricultural emissions with CO2 removal to achieve ambitious climate targets.

published 17 Mar 2021 PLOS ONE. DOI: 10.1371/journal.pone.0247887

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