Supermarktblog

Um die Wegwerfrate von Lebensmitteln zu senken, startet die Politik eine Kampagne, die uns in Vorschulsprache beibringen soll, wie das Mindesthaltbarkeitsdatum richtig interpretiert werden muss. Stattdessen für eine verständlichere Kennzeichnung zu sorgen, kommt für die Ministerin nicht in Frage. Dabei wäre es höchste Zeit, den verkorksten Begriff loszuwerden.

Eins kann der Journalist und Filmemacher Valentin Thurn schon mal von sich behaupten: seine Arbeit zeigt Wirkung. Zumindest ist es ihm gelungen, mit seinem Film „Taste the Waste“, der im vergangenen Jahr ins Kino kam (Trailer ansehen), bei vielen Leuten ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass (nicht nur) in Deutschland zu viele Lebensmittel weggeschmissen werden, obwohl sie noch verwertet werden könnten.

Die Resonanzen waren so gewaltig, dass sie sogar zur Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz durchgedrungen sind. Um sich nicht nachsagen zu lassen, sie sei untätig geblieben, hat Ilse Aigner in dieser Woche eine „Informationskampagne“ unter dem Motto „Teller oder Tonne?“ gestartet.

Aigner hat bei der Uni Stuttgart eine Studie in Auftrag gegeben, um rauszukriegen, wieviele Lebensmittel in Deutschland tatsächlich weggeworfen werden. (Hat aber nicht viel gebracht, weil die Forscher nur bisher existente Ergebnisse ausgewertet und Supermarktblog gelesen haben.)

Sie hat Forsa meinungsumfragen lassen, dass viele Leute von dem Problem schon gehört und ihre Einkaufsgewohnheiten angepasst hätten.

Sie hat den Supermärkten das unglaubliche Opfer abgerungen, Infobroschüren in den Läden auszulegen.

Sie hat sich bei einem Presstermin mit eingeschweißtem Hack vor einem offenen Kühlschrank fotografieren lassen und dazu gelächelt.

Und sie hat dafür gesorgt, dass die Website ihres Ministeriums mit Erklärsätzen, schlechten Wortspielen („Jedes Mahl wertvoll“) und Gute-Laune-Verbrauchertipps geflutet wird, obwohl sie am Ende doch eigentlich nur eines kommunizieren möchte: Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist kein Wegwerfdatum – bevor man zuhause was wegwirft, sollte man mal nachsehen, ob es nicht noch in Ordnung ist.

Und Thurn ist immer noch nicht zufrieden. Wie kommt das?

Wenn Sie erstmal einen Tipp wollen: Lesen Sie den Erklärschwall des Ministeriums bitte nicht – es sei denn, Sie lassen sich gerne so behandeln als würden Sie nächstes Jahr eingeschult. (Die Forderung nach einer „Sesamstraßen“-Kampagne zum Mindesthaltbarkeitsdatums, die im Herbst hier im Blog stand, war ein Scherz, Frau Ministerin!)

Sie brauchen künftig auch keinen „Augen-Nase-Zungen-Check“ machen, sondern können einfach die Folie vom Joghurt abziehen und nachschauen, ob darauf bereits ein grüner Flaum Party feiert. Sie müssen nicht „mit Resten zaubern“. Es reicht völlig, wenn Ihr Hirn tagsüber eingeschaltet bleibt. Vor allem aber: Lassen Sie sich bitte nicht davon einlullen, dass Aigner behauptet, das Mindesthaltbarkeitsdatum, das uns den ganzen Schlamassel eingebrockt hat, sei eine „verbraucherpolitische Errungenschaft“ und eine „wertvolle Orientierungshilfe“. Mit ihrer Kampagne beweist die Ministerin nämlich gerade recht beeindruckend das exakte Gegenteil.

Kein normaler Mensch hat bisher richtig interpretiert, was das Mindesthaltbarkeitsdatum überhaupt angibt – nämlich nur das Datum, bis zu dem der Hersteller garantiert, dass das gekaufte Produkt die gewohnte Form, Farbe und Konsistenz behält. Und nicht etwa, ob man’s danach wegschmeißen sollte.

Anders ist das mit dem Datum, das auf frisch abgepacktes Fleisch gedruckt ist. Das gibt an, dass man das Produkt danach auf keinen Fall mehr essen sollte, weil die Ware leicht verderblich ist.

Anstatt sich dafür einzusetzen, eine Kennzeichnung von Lebensmitteln zu erarbeiten, die ganz und gar unmissverständlich ist, „müssen Verbraucher nun Nachhilfestunden in der Deutung von Beamtenkauderwelsch über sich ergehen lassen“, schreibt die „Süddeutsche“ heute. Wobei: Das Problem ist ja gar nicht, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum besonders kauderwelschig wäre. Es wird nur seit seiner Einführung vor 30 Jahren kontinuierlich missverstanden.

Mal angenommen, ein Hersteller findet heraus, dass die Werbung für sein Produkt derart falsch interpretiert wird: Es wäre der sofortige Grund dafür, sich etwas völlig Neues auszudenken. Im Verbraucherschutz der Bundesregierung ist es hingegen der Anlass, eine vermutlich nicht ganz günstige Kampagne mit Infobroschüren, lächerlichen Klappkarten zum Ausdrucken und „interaktiven“ Videos zu starten (deren einzige Interaktivität darin besteht, sich am Ende des ersten Teils zum zweiten zu klicken), um 80 Millionen Menschen in die Birne zu hämmern, dass sie einen längst gescheiterten Begriff verdammtnochmal endlich richtig interpretieren sollen.

Wir kriegen das hier auch in einem Satz hin: Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist das Datum, nach dem ein Lebensmittel

vielleicht

nicht mehr gut ist.

Wenn man die Aussagekraft des Begriffs aufs Wesentliche herunterbricht, sieht man schon, wie verkorkst er eigentlich ist.

* * *

Ach so, und was sagen die Supermärkte, in diesem Fall der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BLV), der Aigners Vorstoß unterstützt? (Vor allem, weil er den Händlern bis aufs Broschürenauslegen keinerlei ernsthafte Konsequenzen abverlangt.) Ganz einfach: BLV-Präsident Friedhelm Dornseifer erklärte am Montag bei der Kampagnenpräsentation, das Mindesthaltbarkeitsdatum habe sich „bewährt“, eine Umbenennung halte er nicht für sinnvoll.

Hoffentlich sagt dem Mann noch mal jemand, warum er da überhaupt stand.

Foto: Supermarktblog

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Ilse Aigner erklärt das Mindesthaltbarkeitsdatum zu Tode

Von

Peer Schader

Um die Wegwerfrate von Lebensmitteln zu senken, startet die Politik eine Kampagne, die uns in Vorschulsprache beibringen soll, wie das Mindesthaltbarkeitsdatum richtig interpretiert werden muss. Stattdessen für eine verständlichere Kennzeichnung zu sorgen, kommt für die Ministerin nicht in Frage. Dabei wäre es höchste Zeit, den verkorksten Begriff loszuwerden.

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