Haustiere werden in Deutschland mit Luxus verwöhnt

Anzeige

F

ür die Anwohner der Schillerstraße in Rösrath bei Köln ist das Gespann ein gewohnter Anblick. Dreimal am Tag, um acht, halb eins und sechs Uhr, öffnet sich die Tür eines Mehrfamilienhauses. Heraus treten drei Damen in wetterfester Kleidung. Erika Sinning, Erika Müller und Erika Jahre.

Sie teilen Vornamen und Wohnanschrift, sind alle drei in Rente und alleinstehend. Was sie aber mehr als alles verbindet, ist ihre gemeinsame Liebe zum Hund.

Trixi, Toni und Celly heißen die drei Fellknäuel, die im Hausflur herumwuseln und auf den rituellen Gassigang warten. Doch bevor es losgeht, schieben zwei Erikas noch ihre Kinderwagen auf den Bürgersteig. Was ein wenig überrascht, denn ein Kind ist weit und breit nicht in Sicht.

Halsband mit Strassbesatz

Anzeige

„Das sind Dog Cars. In Amerika hat das schon jeder Dritte“, korrigiert Erika Jahre. Malteserhündin Celly kennt ihr Gefährt schon und springt bereitwillig auf. In der anderen Karre nimmt Shih-Tzu-Dame Antonia Platz, deren rosafarbenes Halsband mit Strassbesatz die Verwandtschaft zum Wolf noch entfernter erscheinen lässt.

So ziehen sie los Richtung Wäldchen, drei Damen und drei Hunde, einer an der Leine und zwei im Wagen. Die meiste Zeit liefen ihre Hunde natürlich selber, sagt Erika Müller. „Doch im Gedränge oder beim Einkaufen ist es so einfach stressfreier, und niemand kann der Toni auf die Pfoten treten.“ Nur manchmal bekomme sie einen blöden Spruch zu hören: „Hat der Hund keine Beine?!“

Der Hund im Kinderwagen. Das ist nur eine wunderliche Nische eines Marktes, dessen Wachstum offenbar keine Grenze mehr kennt. Die Besitzer der 6,9 Millionen Hunde in Deutschland sind zu einer Milliarden Euro schweren Zielgruppe geworden, die dem Handel jedes noch so teure und scheinbar überflüssige Produkt aus den Regalen reißt.

Möbel für Hunde

Anzeige

Auch weniger betuchte Halter verwöhnen ihren Liebling mit Accessoires und Lebensmitteln, die sie sich in gleicher Preislage für sich selbst nicht leisten würden. Zwar ist der Hund statistisch nur Haustier Nummer zwei nach den 11,5 Millionen Katzen, doch im öffentlichen Leben ist er die Nummer eins.

Der letzte Modeschrei: Ein weißer Pudel trägt eine pinke Kollektion

Quelle: Getty Images

Am Strand, in der Einkaufszone, am Arbeitsplatz. Überall wedelt und bellt es. Und überall wird groß Kasse gemacht mit der Leidenschaft der Deutschen. „Der Hund ist für viele Menschen nicht mehr nur ein Haustier“, beobachtet Detlev Nolte vom Industrieverband Heimtierbedarf, „er ist ein Sozialpartner.“ Und der braucht natürlich die passenden Sachen. Zum Beispiel Möbel.

Für standesbewusste Hundedamen gibt es da etwa das rosa-weiße „My Princess“-Himmelbett, das hinter Gardinchen einen Traum aus rosasamtenem Plüsch verspricht. Dazu gibt es ein Spielkissen in Form einer Kreditkarte („Royal Bone Bank“), eine Hundehandtasche und Plüschpumps – natürlich alles in Rosa. Und selbstverständlich auch die passenden Klamotten in Form eines rosafarbenen Prinzessinnenpullovers mit trendigem Rautenmuster und Rollkragen und einem Wintermantel mit Bommeln. Eine komplette Prinzessinnen-Ausstattung für zusammen 250 Euro! „Jauull-Alaarm“, kreischt der Anbieter, und niemand würde da widersprechen.

Jedes Jahr eine neue Bekleidungskollektion

Anzeige

Die von Prinzessin und Hundeliebhaberin Maja von Hohenzollern entworfene Linie ist nur ein kleiner Ausschnitt des umfangreichen Sortiments des Heimtierproduktanbieters Trixie. Das Unternehmen aus dem schleswig-holsteinischen Tarp ist mit einem Marktanteil von 40 Prozent unangefochtener Rudelführer im deutschen Hundezubehörmarkt, hat in vier Jahrzehnten Firmengeschichte kein Jahr ohne Umsatzwachstum erlebt und bietet heute 6500 Heimtierartikel an – 70 Prozent davon für Hunde.

„Hundebesitzer legen heute großen Wert auf schicke Sachen“, sagt Marketingleiterin Claudia Menzel. Ihre Firma bringt jedes Jahr neue Wohn- und Bekleidungskollektionen für den Vierbeiner auf den Markt. Trends für Farben und Stoffe folgten dem Geschmack der Halter und änderten sich schnell: „Das kommt dem Humanbereich sehr nah.“

Mit dem modernen Hund verhält es sich ähnlich wie mit einem Tintenstrahldrucker. In der Anschaffung relativ billig, doch im Unterhalt verschlingt er Unsummen. 370 Millionen Euro gaben die deutschen Hundebesitzer im vergangenen Jahr allein für Feuchtfutter aus. 406 Millionen Euro für Trockenfutter.

Am meisten aber investierten sie in Leckerli. Sticks und Snacks im Wert von 428 Millionen Euro wurden im vergangenen Jahr an folgsame Fiffis verfüttert, ein Plus von 7,3 Prozent. Das Belohnungsgeschäft brummt. Aber da geht noch mehr.

Google toleriert Hunde am Arbeitsplatz

Zum Beispiel bei Google Deutschland, in der ABC-Straße in Hamburg. Ein Unternehmen, das seinen Mitarbeiterinnen nicht nur das Einfrieren von Eizellen finanziert, sondern auch eine „Dogfriendly Policy“ pflegt. Der Hund darf mit an den Arbeitsplatz – und nach Feierabend dann natürlich auch mit zum Shoppen.

Beispielsweise gleich eine Tür weiter zu „Koko von Knebel“. Eine Hundeboutique, in der nichts an die miefige Zoohandlung vergangener Tage erinnert. In aufgeräumten Regalen liegen hier Produkte, von denen einige erst auf den zweiten Blick als Tierbedarf zu erkennen sind. Halsbänder mit Swarovski-Steinen, mit Blattgold verzierte Hundekekse, handgefertigte Leinen aus Fischleder mit Beschlägen aus Vollmessing.

„Unsere Kunden sind enorm anspruchsvoll“, sagt Inhaberin Friederike de Jong-von Knebel, die weitere Filialen in Düsseldorf, Berlin, Marbella, Timmendorf und auf Sylt betreibt. Im kommenden Jahr will sie in fünf europäischen Städten neue Geschäfte eröffnen.

Nur ausgewähltes Leder ohne Gerbstoffe

Anzeige

Die Auswahl der bisherigen Standorte lässt erahnen, welche Klientel vornehmlich angesprochen werden soll. Kunden hätten ihre Geschäfte schon mal mit einem Bon von 1000 bis 2000 Euro verlassen, erzählt de Jong-von Knebel, Russen und Chinesen vor allem. Die deutschen Kunden seien zwar deutlich sparsamer, erwarteten für ihre Tiere aber dennoch nur das Allerbeste.

Am Stammsitz in Kiel nähen Mitarbeiter von Hand edle Halsbänder, Leinen und Geschirre. Natürlich nur aus ausgewähltem Leder aus Europa oder Kanada. Das sei nicht nur von der Haptik angenehmer, sagt von Knebel, sondern dünste auch keine giftigen Gerbstoffe aus wie die billige Massenware.

Haustiere werden in Deutschland mit Luxus verwöhnt

Dass ihre Produkte auch optisch aus dem Rahmen fallen, findet sie völlig normal. „Warum immer braunes Leder? Dem Hund tut Strass nicht weh“, sagt die Unternehmerin. „Und das andere Ende der Leine bezahlt und entscheidet.“

Hundehalter sind eine beliebte Zielgruppe für die Luxusbranche. Denn ihr soziodemografisches Profil verspricht Kaufkraft. Die meisten Hunde leben in Haushalten mit Kindern. Zwei Drittel der Halter besitzen Wohneigentum. Freiberufler und Selbstständige mit gehobenen Einkommen sind überrepräsentiert. Wer einen Hund hat, hat vermutlich auch Geld, wissen die Unternehmer der Branche.

Den Wohlstand mit dem Tier teilen

Und es scheint den Menschen zunehmend ein Bedürfnis, ihren Wohlstand und Lebensstil mit ihrem Tier zu teilen. Die Ausgaben für Hundefutter und Hundezubehör steigen seit Jahren. Ähnlich wie im Lebensmitteleinzelhandel für den Menschen geht der Trend zu Bio und Nachhaltigkeit. Es gibt Hundebesitzer, die nur noch mit einer großen Kühlbox verreisen, um ihrem Liebling auch unterwegs eine ausgeklügelte Trennkost bieten zu können – die ihnen vielleicht selbst ganz guttun würde.

„Die Ernährungsbedürfnisse des Hundes sind mittlerweile ähnlich vielfältig wie beim Menschen“, heißt es bei der Fressnapf-Gruppe, Marktführer mit 1,5 Milliarden Euro Jahresumsatz und fast 1300 Märkten. Auch weil immer mehr Hunde Allergien und Unverträglichkeiten aufweisen, legten Halter zunehmend Wert auf eine ausgewogene, proteinreiche und kohlenhydratarme Kost.

„Real Nature Wilderness“ nennt sich eine für diesen Trend entwickelte Futtersorte; auf der Packung überquert ein Wolf einen reißenden Fluss. Auch im Zubehörbereich fragen Kunden vermehrt nach antiallergischen und fellschonenden Materialien. Wer zu billigem Plastikspielzeug aus Fernost greift, erntet mittlerweile nicht nur auf dem Spielplatz tadelnde Blicke, sondern auch auf der Hundewiese.

Ein Hallenbad nur für Hunde

Das große Geschäft lockt auch Quereinsteiger. Der Glitzerdesigner Harald Glööckler will mit einer Hundekollektion namens „Dog Couture“ etwas vom Hundekuchen abhaben. In Hamburg gibt es einen Bäcker, für den Leberwurstkekse zu einer bedeutenden Säule seines Geschäfts geworden sind. Und seit Hundeflüsterer im TV neurotischen Exemplaren auf den Pelz rücken, verdingen sich überall im Land Heilpraktiker und Therapeuten als Hundeversteher.

Anzeige

Auch Ex-Lkw-Fahrer Helmut Füzy ist ins Hundebusiness eingestiegen. In diesem Sommer gab er sein Truckerleben auf und eröffnete in einem Gewerbegebiet in Hanau das „Aquabello“. Ein Hallenbad nur für Hunde. Drei zehn Meter lange Becken stehen in einer sonst eher schmucklosen Halle für die Badegäste bereit.

Spaß im Nass: Aquabello, das Hunde-Hallenbad

Quelle: Aquabello

Kunstrasenrampen dienen als Einstiegshilfen, das Wasser ist angenehm temperiert. „Es läuft besser als gedacht“, freut sich Füzy, der eher zufällig zum Hundebademeister wurde. Ursprünglich war es seine Idee, die selbst konstruierten Edelstahlbassins an betuchte Halter und Züchter zu verkaufen.

Nun herrscht in seinem Showroom sieben Tage die Woche Badebetrieb. Eine Stunde schwimmen kostet 7,50 Euro inklusive Duschen und Föhnen. Für die Begleitpersonen gibt es ein kleines Bistro. An diesem frühen Dienstagvormittag steht erst eine Frau Mitte dreißig am Beckenrand und schaut zu, wie ihr Schäferhund seine Bahnen zieht. „Ein Stammgast. Zehnerkarte“, erkennt Füzy mit einem Blick.

Mitunter tobten hier zehn bis 15 Hunde gleichzeitig durch die Becken, behauptet er. Und warum dürfen sie nicht einfach in den nächstbesten Fluss oder See springen? „Viele haben Angst, dass ihr Hund in Scherben treten oder von der Strömung mitgerissen werden könnte“, sagt Füzy verständnisvoll. Bei ihm sei es sicher.

100.000 Jobs hängen am Hund

Dass der deutsche Haushund ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor ist, weiß man spätestens seit dem Standardwerk der Göttinger Ökonomin Renate Ohr, die 2006 ausrechnete, dass fünf Milliarden Euro Umsatz, etwa 0,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, direkt oder indirekt an der Hundehaltung hängen.

Und sie ging noch von fünf Millionen Hunden aus. Ein einziger Kläffer, rechnete Ohr aus, kostet im Laufe seines Lebens 10.000 Euro. Für Züchter, Futter, Ausstattung, Versicherung, Steuer, Tierarzt, Hundeschule, Dogsitter, Hundesalon, Hundezeitschrift, Hundepension, Hundefriedhof. 100.000 Jobs hängen am Hund. Und das Gesundheitssystem spart jährlich 2,1 Milliarden Euro, weil Hundehalter gesünder sind und seltener zum Arzt gehen.

Anzeige

Auf der anderen Seite der Bilanz schlagen vor allem zwei Posten zu Buche: Zeit und Kot. Ein Hund produziert pro Tag durchschnittlich 300 Gramm Fäkalien. Bei 6,9 Millionen Tieren macht das innerhalb eines Jahres einen über 750.000 Tonnen schweren Haufen.

Übernachtung in der Privatlodge mit Garten

Und ein Hund braucht Auslauf, laut Verband für das Deutsche Hundewesen je nach Rasse ungefähr zwei Stunden am Tag. Die deutschen Hundebesitzer verbringen also gut fünf Milliarden Stunden pro Jahr mit der Leine in der Hand. Kein Wunder, dass sie da mal eine Pause brauchen.

In Freising bei München, zehn Minuten vom Flughafen entfernt, liegt das „Canis Resort“, ein Fünf-Sterne-Haus für Hunde. Den vierbeinigen Gästen bietet es auf 2600 Quadratmetern Privatlodges mit eigenem Gärtchen, 24-Stunden-Betreuung, Zimmerservice und viel Kontakt zu Gleichgesinnten. Ihren Besitzern schenkt es hundefreie Herbstferien. 30 Tiere seien derzeit eingecheckt, sagt Resortleiterin Friederike Brych. Die Nacht koste 80 Euro. Für dieses Geld würden die Gäste aber auch „rund um die Uhr bespaßt“.

Im Canis Resort in Freising übernachten die Hunde in einer Privatlodge

Quelle: Canis Resort

Auf Wunsch und gegen Aufpreis nimmt das Resort den Kunden alles ab, was das Halterdasein lästig machen kann. Während Herrchen und Frauchen in Marbella am Pool liegen, wird ihr Fiffi in Freising gewaschen, gefönt und frisiert. Tierarztbesuche und Impfungen werden erledigt, Hundetrainer arbeiten an Grundgehorsam und Leinenführigkeit.

Die soziale Funktion wird wichtiger

Die Besitzer müssen ihr Tier nicht einmal bringen oder abholen – dafür gibt es den „Gate To Gate Service“. Das Haus sei gut ausgelastet, sagt Brych, zu über 85 Prozent sogar von Stammgästen. Aus den ursprünglichen Plänen, „Canis Resort“ zu einer Hundehotel-Kette auszubauen, wurde allerdings bisher nichts. „Zu viel zu tun“, sagt Gründerin Brych.

Wellnessurlaub, Glitzerhalsband, Himmelbettchen. Die Verzärtelung des Canis lupus familiaris kann bei manchen Besitzern schon bizarre Formen annehmen. Dem gegenüber steht allerdings auch eine immer wichtigere soziale Funktion des Haushunds in einer alternden und vereinsamenden Gesellschaft. Ein Dienst am Menschen, der mit Geld wohl kaum aufzuwiegen ist.

„Vor zwei Jahren ist mein Mann gestorben“, erzählt Erika Müller, die mittlerweile einen leeren Kinderwagen schiebt, während ihre Toni auf eigenen Pfötchen neben ihr her tapst. Von ihren gleichnamigen Gassi-Freundinnen wird sie zur einfacheren Unterscheidung Erika-Toni genannt. „Der Hund ist für mich jetzt alles. Wegen ihr muss ich regelmäßig raus und kann mich nicht verkriechen“, sagt die 68-Jährige.

Darf der Hund im Bett schlafen?

„Der Hund ist quasi wie ein Kind“, stimmt Erika-Celly zu. „Für mich nicht“, widerspricht Erika- Trixi. Eine weitere Nachbarin hat sich mit ihrem Shih-Tzu-Malteser Flori angeschlossen, und schon mäandert das Geplauder munter von hundefreundlichen Urlaubszielen über Bernsteinhalsbänder gegen Zecken bis zur Schlafzimmerfrage: Darf der Hund bei seiner Halterin schlafen?

Am Ausgang des Wäldchens führt die Gassirunde zu einem Baumstumpf, an dem es traditionell ein „Leckerschen“ gibt. Erika Sinning greift in die Jackentasche und schmeißt eine Runde. Doch das Interesse der Tiere ist mau. Die Hunde beschnuppern die dargebotenen Snacks eher höflich, manche verschmähen sie ganz. Dieser Markt scheint gerade gesättigt.