Heimtierbedarf: Die Haustiere sind uns lieb – und auch teuer

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och wirkt die Produktionsstätte wie ein viel zu groß gekaufter Anzug: An der Stirnseite der Halle stehen ein paar Schreibtische, an der gegenüberliegenden Wand weiße Riesensäcke. Darin lagern die wichtigsten Rohstoffe: Lamm, Huhn, Fisch.

Daneben aufgebockte Fässer mit verschiedenen Ölen. Die beiden Frauen mit den Plastikhauben auf dem Kopf, die an einem kleinen Tischchen mittendrin Trockenfutter mischen und abfüllen, wirken verloren auf den 1200 Quadratmetern.

Noch könnte man in der ehemaligen Druckerei im Dortmunder Gewerbegebiet Fußball spielen, ohne die Arbeit ernsthaft zu stören. „In ein paar Wochen“, sagt Tobias Heitmann lächelnd, „sieht das hier schon ganz anders aus.“

Hundefutter im Internet bestellen

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Dann werden die beiden automatischen Produktionsstraßen installiert, und dann wird bei wunschfutter.de richtig Masse gemacht. Denn das Geschäft mit dem teuren Hundefutter, das sich jeder Kunde via Internet individuell zusammenmischen lassen kann, boomt. Nur ein Jahr nach dem Start steht die Zehn-Mitarbeiter-Firma „kurz vor der Gewinnzone“, sagt Gründer Heitmann.

Das Start-up-Unternehmen ist schließlich auch in einer Sparte des Einzelhandels aktiv, die seit Langem auf Hochtouren läuft und keine Krise zu fürchten braucht. Auch die Konkurrenz des Internethändlers ist glänzend unterwegs, Marktführer Fressnapf ebenso wie kleinere Anbieter, etwa Futterhaus, zooplus oder Terra Canis, das „Hundefutter in 100 Prozent Lebensmittelqualität“ anbietet. Wachstum im Windhundtempo.

Zwar stagniert die Gesamtbranche des Tierzubehörs in Deutschland bei rund vier Milliarden Euro Umsatz. Doch dahinter verbergen sich gegenläufige Trends. Das Geschäft von kleinen Zoohandlungen und einigen Industriemarken schrumpft; und für Supermärkte, Discounter und Drogeriemärkte verliert das Geschäft rund ums Tier an Bedeutung – die Ketten stellen sich lieber Produkte mit höheren Gewinnmargen in ihre Regale.

Fachmarktketten profitieren vom Trend

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Andere partizipieren umso mehr am Trend zum verwöhnten Tier: Die Premiumanbieter, die Fachmarktketten und die Onlinehändler profitieren von der Bereitschaft der Deutschen und anderer Europäer, auch in unsicheren Zeiten viel Geld für ihre Tiere auszugeben – und sich so die heile Welt auf vier Pfoten oder zwei Krallen ins Haus zu holen.

Sollte die Euro-Krise Deutschlands Verbraucher in den kommenden Monaten stärker treffen als bisher – die Heimtierbranche würde es wohl zuletzt spüren. „Wir haben es mit einem hochemotionalen Thema zu tun“, freut sich Torsten Toeller. Seine Kette Fressnapf wächst seit Jahren im In- und Ausland. Mehr als 1200 Märkte betreiben er und seine Franchise-Partner schon, 1,4 Milliarden Euro Umsatz erzielten sie im vergangenen Jahr.

„Je stürmischer die Zeiten da draußen werden, desto mehr ziehen sich die Menschen in die eigenen vier Wände zurück. Und dabei wird das Tier als emotionaler Partner immer wichtiger. Für ihn sind die Menschen bereit, Geld auszugeben“, sagt Birgitta Ornau, die vor sieben Jahren nach dem Studium mit ihrem Metzgerfutter Terra Canis den Kampf gegen globale Multi-Marken wie Pedegree, Chappi oder Frolic begann.

„Wies’n Menü 2012“

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Die Kundschaft liebt es: In diesem Jahr soll ihr Umsatz von 3,8 Millionen auf sechs Millionen Euro steigen. Gerade hat die Münchnerin das „Wies’n Menü 2012“ auf den Markt gebracht, einen „Ochsentopf mit Gemüse und Leinöl“ für den Hund. Zum Preis von 2,79 Euro für eine 400-Gramm-Dose. Mit Wiesn-Motiven drauf – und dem Spruch „Oans, zwoa, g’fressn!“ Ob den Hund das juckt?

Jedenfalls ist der Markt rund ums Fressen riesig: In jedem dritten deutschen Haushalt lebt ein Haustier, laut Industrieverband Heimtierbedarf (IVH) gibt es 12,3 Millionen Katzen, 7,4 Millionen Hunde, dazu 7,6 Millionen Kleinsäuger und auch noch ungezählte Bewohner von etwa 2,6 Millionen Gartenteichen.

Und das ist noch nicht alles. Denn über die vier Milliarden Euro Umsatzvolumen im eigenen Land hinaus lockt die deutschen Anbieter ein Marktpotenzial in ganz Europa von mehr als 22 Milliarden Euro. Der Umsatz mit Pferdehaltern ist dabei noch gar nicht eingerechnet.

Anders als früher füttert heute natürlich kaum noch jemand Hund und Katz mit Küchenabfällen oder Essensresten. Längst landet Ware der Industrie im Napf, in unterschiedlichster Qualität, mal nass, mal trocken, gern auch als Leckerli. Immer gesünder und individueller wird das Fresschen, und immer mehr wird es dem Alter des Tieres angepasst.

Tiernahrung wird immer edler

Bei Forschung, Marketing und Werbung kommen sich Nahrungsmittel für Tier und Mensch näher – auch preislich. Mancher Fernsehzuschauer fragt sich schon mal, ob das Produkt, dessen Spot er gerade sieht, denn nun für den Teller oder für den Napf entwickelt wurde.

Torsten Toeller hat von der Entwicklung dieses neuen Marktes bisher wohl am meisten profitiert, wenn auch seine immer zahlreicheren Konkurrenten inzwischen deutlich hörbar mit den Hufen scharren.

Er hat mit der Gründung seiner Kette Fressnapf vor zwei Jahrzehnten das geschafft, was Dirk Roßmann und dm-Gründer Götz Werner zuvor bei den Drogerieartikeln gelang: eine von vielen Produktsparten aus dem Supermarkt zu einer eigenen, milliardenschweren Gattung des Einzelhandels zu machen.

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Im Tier-Supermarkt, inzwischen oft in XXL-Ausdehnung, gibt es alles, was Hund, Katze, Nager, Fisch und Vogel brauchen – oder zu brauchen scheinen. Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres steigerte Toellers Fressnapf seinen Umsatz um 7,5 Prozent, in Deutschland lag das Plus bei fünf Prozent. Und das ist beachtlich, denn der gesamte deutsche Einzelhandel schaffte im Schnitt in den ersten sechs Monaten nicht einmal halb so viel Zuwachs.

Heimtierbedarf: Die Haustiere sind uns lieb – und auch teuer

Kein Umsatzrückgang in den Krisenländern

Toeller ist sich sicher, dass es mit der Branche weiter munter aufwärtsgehen wird – selbst dann, wenn die Euro-Stürme noch heftiger werden sollten. Er hat Erfahrungswerte aus seinen Läden in Ländern, die bereits härter von der Krise betroffen sind als Deutschland: „In Irland etwa spüren wir keinerlei Rückgang der Ausgaben für die Haustiere.

Und in Ungarn auch nicht, obwohl die Menschen dort wirtschaftlich wirklich zu kämpfen haben“, sagt er. „Wenn sich die Krise nicht dramatisch verschlimmert, bleibt unsere Branche weitgehend ungeschoren“, meint der Unternehmer, der neben Fressnapf noch Equiva betreibt, eine Kette mit derzeit 50 Filialen für Reitsportbedarf. Auch Equiva wächst.

Die Marktforscher der GfK geben ihm in seiner Einschätzung recht: Jeder zweite Befragte in Deutschland sagte ihnen, dass er weniger Geld ausgeben werde, wenn die Euro-Krise seinen Haushalt direkt betreffen würde. Doch davon wollten 55 Prozent im Fall der Fälle an ihren eigenen Bedürfnissen sparen, nicht aber an denen ihres Haustieres.

Erst wenn es gar nicht mehr anders ginge, würden sie billigeres Futter oder weniger Spielzeug kaufen. Der Rückzug vieler Menschen ins Private, das „Cocooning“, zeigt sich auch hier. „In Boomzeiten“, sagt Toeller aus Erfahrung, „wächst unsere Branche nicht so stark wie andere. Aber dafür spüren wir die Krisen nicht wirklich.“

Hundefutter selbst zusammenstellen

Der Chef-Fütterer von Europas Haustiermassen weiß, „dass das Premiumsegment noch krisenresistenter ist als der Massenmarkt“. Zwar hat auch Toeller eigene, teure Premium-Futtersorten erfunden und ins Regal gestellt. Dennoch profitieren die kleinen Nischenanbieter besonders stark vom Trend zum teuren Tierfutter. So wie wunschfutter.de.

Vor einem Jahr erst starteten drei Dortmunder Unternehmer aus anderen Branchen ins Abenteuer Hundefutter. „Ich hatte einen Vortag des Gründers von mymuesli.de gehört. Und dessen Prinzip der individuellen Zusammenstellung der Bestandteile des Müslis per Internet haben wir aufs Hundefutter übertragen“, sagt Tobias Heitmann, im Hauptberuf Kunsthändler.

„Wir suchten eine wachstumsstarke Branche mit vielen Kunden, die die Ware immer wieder kaufen und dabei nicht in erster Linie auf den Preis achten. Da bot sich der Versand von individuell zusammenstellbarem Trockenfutter geradezu an“, berichtet Mitgründer Kai Oestreicher, der auch eine Marketingberatung betreibt.

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Die Kenntnisse aus der Lebensmittelbranche brachte Sonja Groneweg mit: „Die Tierfutterbranche war jahrzehntelang von wenigen globalen Multis dominiert. Das beginnt sich jetzt zu ändern“, sagt sie.

Eigenkomposition wird schnell teuer

Ihr Unternehmen wirbt zwar mit einem Einstiegspreis von 5,32 Euro pro Kilo für das Trockenfutter „ohne Füllstoffe wie Getreide oder Schlachtabfälle“. Basteln sich die Kunden am Computer aber ein Futter wie „Huhn mit mittlerem Proteingehalt und gelben Erbsen“ mit ein paar Extras wie „Gelenkfit“ für den „leicht übergewichtigen Hund“ zusammen, kostet das Zwei-Kilo-Paket inklusive Versandkosten schnell mehr als 20 Euro. Beim Discounter dagegen kann man drei Kilo Trockenfutter schon für 2,99 Euro bekommen.

Damit Neukunden dennoch bestellen, wendet wunschfutter.de – Werbespruch: „Nicht irgendeins. Sondern meins“ – eine Art Dackelblicktrick an: Man kann dem Individual-Futter einen Namen geben, der dann auf der Packung steht – und sogar noch ein Foto des gefräßigen Lieblings dazustellen. Eine E-Mail an wunschfutter.de reicht.

Ein wichtiges Verkaufsargument neben Individualität und Qualität: „Statt die schweren Futterbeutel schleppen zu müssen, liefern wir sie dem Kunden ins Haus. Viele bestellen inzwischen per Abo – alle zwei oder drei Wochen kommt dann ein neues Paket“, sagt Groneweg, die gerade nebenher noch eine Onlinefirma für Modefans gestartet hat.

Online verkauft auch Birgitta Ornau einen großen Teil ihres Dosenfutters, das es inzwischen auch für Katzen gibt. Die Marke Terra Canis hat sie gegründet, „weil das Industriefutter mit seinen Inhaltsstoffen ja eine Zumutung war“.

Tierfutter könnte auch von Menschen gegessen werden

Ihre Nahrung dagegen – etwa Pute mit Naturreis und Löwenzahn, Lamm mit Zucchini, Hirse und Dill oder gar Büffel an Hirse, Tomaten und Papaya, jeweils ab 1,95 Euro für 200 Gramm – sei von einer Qualität, dass sie auch Menschen essen könnten. Das Fresschen wird von einem alteingesessenen Münchner Metzger hergestellt. Anders als wunschfutter.de, das Trockennahrung anbietet, verkauft Ornau fast nur Nassfutter.

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Dass ihre Produkte deutlich teurer sind als die Massenmarken, ist den Käufern offenbar egal: Wenn die sich gut und gesund ernähren, sollen ihre Hunde das auch tun. „Die Rolle der Haustiere wandelt sich ständig. Hund oder Katze werden immer mehr zum emotionalen Partner des Menschen, den man gut behandeln möchte. Premium wächst eindeutig auf Kosten der Billighersteller“, sagt Ornau. „Und wenn es wirtschaftlich schwierig wird, verzichten viele Leute lieber auf das neue Auto oder den dritten Urlaub im Jahr als auf ihren Hund.“

Zwar sind die Umsätze ihrer Firma noch überschaubar, doch legt sie ein rasantes Wachstum hin. Für 2013 peilt sie neun Millionen Euro Umsatz an. „Wir bereiten jetzt die Expansion ins Ausland vor. Einen Umsatz von 20 Millionen Euro halte ich bald für realistisch“, sagt die 35-Jährige. Der Onlinetrend hilft ihr, ein Drittel der schweren Futterdosen verkauft sie über Portale wie zooplus.de.

Zooplus versiebenfacht seinen Umsatz

„Der Online-Futtermarkt bietet ein riesiges Wachstumspotenzial, vor allem in Verbindung mit dem Premiumanspruch“, sagt Florian Seubert, Mitgründer und Finanzchef des börsennotierten Unternehmens, das sich als europäischer Marktführer in der Onlinesparte sieht.

In den vergangenen fünf Jahren hatte Zooplus seinen Umsatz versiebenfacht. „Wir sind in Deutschland schon profitabel und finanzieren unsere Expansion aus dem Cashflow“, sagt Seubert. Schon 2012 Jahr sei ein operativer Gewinn möglich.

Hierzulande liege die Firma mit einem Marktanteil von rund acht Prozent auf Platz zwei. 1,4 Millionen neue Kunden seien allein 2011 dazugekommen, in diesem Jahr würden es wohl noch mehr. „Unser Ziel ist es, so schnell wie möglich zu wachsen, auch im Ausland. Denn die Kosten für die Akquisition von Neukunden steigen“, so der Finanzchef.

8000 Produkte hat Zooplus im Angebot. 70 Prozent des Umsatzes kommen vom Futter, der Rest über Zubehör wie Hundehütten, Transportboxen, Spielzeug, Kratzbäume oder Katzenstreu. 2012 will das Unternehmen auf einen Umsatz von mindestens 320 Millionen Euro kommen, im nächsten Jahr auf 400 Millionen.

Alphatier Toeller sieht die Position seiner Ladenkette Fressnapf durch die neuen Konkurrenten nicht gefährdet: Er, der deutlich über 90 Prozent seines Umsatzes stationär erzielt, gibt den Online-Neugründungen kaum Chancen: „Die unterscheiden sich nur noch über den Preis, und nur wenige sind nachhaltig erfolgreich. Der Markt braucht wirklich nicht noch die sechste Kopie irgendeines Geschäftsmodells. Von den jungen Online-Anbietern können auf Dauer nicht viele übrig bleiben“, sagt Toeller.

Onliner Seubert beißt zurück: „Zooplus wächst in Euro deutlich stärker als Fressnapf – obwohl Fressnapf deutlich größer ist.“ Für einen fairen Vergleich des Geschäftserfolgs müsse man die Umsatzsteuer und die stornierten Aufträge aus den Zahlen des großen Konkurrenten herausrechnen, fügt Seubert angriffslustig hinzu.

Die Heimtierbranche ist halt kein Streichelzoo.