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Synthetische Biologie: Organismen neu designen

Von Juliette Irmer

Das Ziel der Synthetischen Biologie ist es, biologische Systeme so gut zu verstehen, dass man sie nachbauen und verändern kann. Auf diese Weise sollen sie mit neuen Eigenschaften versehen werden, die in der Natur nicht vorkommen. Das Forschungsfeld der Synthetischen Biologie ist sehr vielfältig: Die Erforschung des Lebensursprungs mithilfe von Minimalgenomen gehört ebenso dazu wie eine stärker anwendungsorientierte Forschung, bei der neuartige Biomoleküle, Medikamente und Chemikalien produziert werden. Die enormen Fortschritte in der Molekularbiologie und der Bioinformatik treiben auch die Synthetische Biologie voran.

Als Synthetische Biologie bezeichnet man ein Konzept, das versucht biologische Systeme durch die Brille eines Ingenieurs zu betrachten. Diesem Denkmuster folgend, ist eine Zelle aus verschiedenen Modulen aufgebaut, etwa Proteinen, und das Erbgut der Bauplan für diese Module. Indem man diesen Bauplan unter standardisierten Bedingungen nachbaut und verändert, lassen sich Organismen erschaffen, die mit neuen Funktionen ausgestattet sind.

Das Forschungsfeld der Synthetischen Biologie reicht von einem erweiterten DNA-Code mit vier zusätzlichen Bausteinen....

... bis zu biotechnologischen Recylingverfahren für gemischte Plastikabfälle.

Großes Foto oben: Bierhefe, ein in der Synthetischen Biologie häufig genutzter Produktionsorganismus. (Kateryna Kon, 123RF). Foto oben: Millie Georgiadis/ Indiana University School of Medicine, unten: Josep Curto, 123RF

Noch 2010 sorgte der Eins-zu-eins-Nachbau eines Bakteriengenoms mit einer Million Basenpaaren für Schlagzeilen. Nur zehn Jahre später geht es nicht mehr um bloße Erbgut-Rekonstruktionen: Wissenschaftler versuchen sich stattdessen an so genannten Minimalgenomen. Dazu entfernen sie all jene Gene, die nicht direkt zum Überleben notwendig sind. So etwa beim Süßwasserbakterium Caulobacter crescentus, das natürlicherweise rund 4000 Gene besitzt, im Labor aber mit nur 680 Genen überlebt. Durch solche Experimente gewinnen Molekularbiologen Erkenntnisse über den Aufbau und die Regulation von Genomen.

Ein Meilenstein des Forschungszweigs, der mittlerweile als Synthetic Genomics bezeichnet wird, war 2019 die Bekanntgabe des synthetischen Organismus E.Coli Syn61. Britische Wissenschaftler ersetzten das gesamte Erbgut des Darmbakteriums Escherichia coli vollständig durch synthetische DNA, insgesamt vier Millionen DNA-Bausteine, und erschufen damit das bislang größte künstliche Genom. Außerdem vereinfachten sie den genetischen Code des ursprünglichen E.Coli-Genoms an 18000 DNA-Positionen, was als Recoding bezeichnet wird: So tauschten die Forscher etwa jedes einzelne TCG Codon, das für die Aminosäure Serin codiert, in das synonyme Codon AGC um, das ebenfalls für Serin steht. (Codon: Jeweils drei Basenpaare, in denen eine Aminosäure codiert ist.)

E.Coli Syn61 kommt dadurch mit nur 61 statt 64 Codons aus. Es ist etwas länglicher in der Form und teilt sich langsamer als sein Cousin, aber es lebt. Die drei frei gewordenen Codons könnten zukünftig als Anweisungen für neue Aminosäuren und so für neuartige Proteine dienen. 2019 kreierten japanische Forscher auch eine DNA mit vier zusätzlichen, künstlichen Bausteinen, die sie treffend Hachimoji (japanisch = acht Buchstaben) tauften. Trotz dieser Erweiterung blieb die synthetische DNA funktionsfähig.

Die Fortschritte in der Synthetischen Biologie sind auch dem massiven Preisrückgang bei den eingesetzten Technologien zu verdanken: DNA lässt sich heute äußerst schnell und günstig entziffern und Baustein für Baustein neu synthetisieren. Auch die DNA-Assemblierung, also der Zusammenbau einzelner DNA-Stücke, ist Routine geworden.

So tasten sich Forscher auch an größere Genome heran: Seit rund zehn Jahren überarbeitet das Hefekonsortium Sc2.0 das Erbgut der Bierhefe, das elf Millionen Basenpaare umfasst. Die beteiligten Forscher recoden, löschen und verändern die Erbgutstruktur indem sie Chromosomen auch fusionieren. Die Hefe toleriert Erstaunliches, selbst das Schrumpfen der 16 linear angeordneten Chromosomen auf nur ein ringförmiges. Wissenschaftler vermuten daher, dass das Hefegenom etliche redundante Elemente enthält. Eine neu designte Version des Hefegenoms, Sc3.0, soll radikalere Veränderungen beinhalten, um ein viel kompakteres Genom zu erzeugen.

Begehrte „Naturstoffe“: Herstellung in großen Mengen und in konstanter Qualität

Auch die anwendungsorientierten Forschungsbereiche der Synthetischen Biologie entwickeln sich weiter. Wissenschaftler verändern den Stoffwechsel von Bakterien-, Hefe- oder Pflanzenzellen und funktionieren sie zu Zellfabriken um. Auf diese Weise lässt sich ein großes Spektrum unterschiedlicher Substanzen herstellen: Enzyme für industrielle Prozesse, etwa Cottonasen, die die chemisch aufwändige Verarbeitung von Baumwolle vereinfachen und umweltfreundlicher machen, Biotreibstoffe wie Isobutanol und Ethanol, Biopolymere, Chemikalien, Duftstoffe und Aromen und Medikamente. Synthetisch hergestellt garantieren sie eine gleichbleibende Qualität.

Welchen Organismus man verwendet, hängt von dessen Fähigkeiten ab und dem zu produzierenden Wirkstoff. So unterscheiden sich Bakterien in ihren Stoffwechselleistungen von eukaryotischen Zellen. Manche Bakterienarten etwa sind in der Lage, nachwachsende Rohstoffe wie pflanzliche Stärke, Holz- und Zelluloseabfälle zu verwerten, und einige wenige können offenbar selbst Kunststoffbestandteile nutzen.

So gibt es Bakterien, die Bestandteile von Polyethylenterephthalat (PET), das in Plastik-Wasserflaschen weit verbreitet ist, und Polyurethan (PU), das zum Beispiel in Spülschwämmen und Gummistiefeln steckt, abbauen und verwerten können. Das Projekt MIX-UP, eine europäisch-chinesische Kooperation, das von der Rheinisch-Westfälische Technischen Hochschule Aachen koordiniert wird, forscht an nachhaltigen Recyclingmethoden, indem gemischte Kunststoffe mithilfe von Enzymen und Bakteriengemeinschaften in wertvollen Biokunststoff umgewandelt werden sollen (Grundsätzlich sollte das Ziel der Umstieg auf gut abbaubare Kunststoffe sein, da Bakterien allein das Plastikmüllproblem nicht lösen können. Für PVC oder Polyethylen, aus dem auch Folien hergestellt werden, wurden bislang keine Bakterien gefunden.)

So vielseitig Bakterien sind, wenn es um die Herstellung komplexer Proteine wie etwa Antikörper geht, scheiden sie als Produktionssystem aus, weil sie nicht in der Lage sind, Proteine mit Zuckerresten zu versehen. Diese so genannte Glykosylierung findet nur in eukaryotischen Zellen statt und sie ist für die Funktionsweise vieler Proteine wie etwa Antikörper unerlässlich. Hier kommen Pflanzenzellen ins Spiel, die im Vergleich zu tierischen Zellkulturen, die bislang zur Herstellung humaner Proteine verwendet werden, einfacher und auch günstiger zu kultivieren sind.

Ein Pionier ist das Unternehmen eleva, das mithilfe von Moos zwei Wirkstoffe für seltene Erkrankungen entwickelt: Moss-aGal, eine rekombinante Form des menschlichen Enzyms α-Galactosidase, und das hochkomplexe Protein Faktor H. Das Moos wurde genetisch „humanisiert“, so dass es die entsprechenden Proteine mitsamt korrekten Zuckerresten herstellt. Zusätzlich wurden die Zellen so programmiert, dass sie die Wirkstoffe ins Nährmedium abgeben.

Trotz einiger erster Erfolge steckt die Synthetische Biologie letztlich aber noch in Kinderschuhen. Sie könnte ihnen jedoch schnell entwachsen: Das Wissen über Aufbau und Struktur von Genomen sowie über Genregulation wächst rasant. Kombiniert mit den neuen Möglichkeiten des Genome Editings, ist zu erwarten, dass Wissenschaftler Stoffwechselwege und Genome bald noch effizienter und zielgerichteter konstruieren und verändern werden können.

Wie jede neue Technologie bietet die Synthetische Biologie Chancen, birgt aber auch Risiken, die Ängste hervorrufen. So bezeichnen Gentechnik-Gegner die Synthetische Biologie häufig als „extreme Gentechnik“. Tatsächlich sind die Grenzen sowohl zur klassischen Gentechnik als auch zum Genome-Editing fließend und so ähneln sich auch die aufgeworfenen ethischen Fragen: Überschreitet der Mensch moralische Grenzen, wenn er Organismen mit Techniken der Synthetischen Biologie umgestaltet, gar neu erschafft?

Die meisten Wissenschaftler, Ethiker und politischen Entscheidungsträger sind sich einig, dass die gesamte Gesellschaft über die Vor- und Nachteile solcher technologischer Entwicklungen diskutieren muss und, dass solche wissenschaftliche Entwicklungen in Punkto Sicherheit kritisch begleitet werden müssen: In Deutschland etwa wurde die Zentrale Kommission für biologische Sicherheit (ZKBS) vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft damit beauftragt. Laut ZKBS „birgt die derzeitige Forschung zur Synthetischen Biologie weder in Deutschland noch weltweit andere Risiken für die biologische Sicherheit, als solche, die bereits mithilfe des Gentechnik-Gesetzes und anderer internationaler Regulierungen für „konventionelle“ gentechnische Veränderungen bewertet werden.“

Sollte es eines Tages möglich sein, vermehrungsfähige, künstliche biologische Systeme herzustellen, würden neue Kriterien der Risikobewertung benötigt.

Was mit Synthetischer Biologie möglich ist: Einige Beispiele

Organismen

Ziel

Stand

Wer, Quelle

Bakterien

Plastik-Upcycling

Forschung

»Mix-Up

Bakterien

Isobuten

kommerzielle Anlage 2022

»Global Bioenergie

Bakterien

Biobeton

kommerziell

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»Biomason

Bakterien

Farbstoffe

Forschung

»Pili

Hefen

Biotreibstoffe: Ethanol (Sunliquid) aus Stroh/Abfällen

kommerziell

»Clariant

Hefen

Tropanalkaloide als Wirkstoffe gegen neurologische Erkrankungen

Forschung

»Publikation

Hefen

Spinnenseide

kommerziell

»Bolt Threads

Hefen

Rosenduft

kommerziell

»Ginkgo Bioworks

Löwenzahn

Gummi

Forschung

»Uni Münster, IBBP

Moos

Humane Proteine

Forschung

»Eleva Biologics

Möhren

Humanes Protein/Enzym zur Behandlung der seltenen Erbkrankheit Morbus Gaucher (Elelyso)

seit 2012 in den USA und weiteren Ländern zugelassen

»Protalix Biotherapeutics

Pilzmycel

Mylo-Leder (vegan)

Kooperation mit Adidas

»Bolt Threads

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