In Tierheimen werden immer mehr Katzen und Hunde abgegeben

Tamara Hirning vom Tierheim Offenbach erinnert sich noch genau an den Fall. Im Spätsommer des vergangenen Jahres, so erzählt sie es, wird in ihrem Tierheim ein vier Monate altes Kaninchen abgegeben. Die Begründung der Besitzer: Die Kita mache wieder auf. 

Im Jahr zwei der Corona-Pandemie naht nach dem Ende der bevorstehenden Sommerferien nicht nur wieder die Schul- und Kita-Zeit. Zudem kehren Beschäftigte schon jetzt dem Homeoffice vielerorts wieder den Rücken. Von daher ist die Befürchtung von Tierschützern nicht unbegründet, dass in den kommenden Monaten massiv Haustiere in Tierheimen abgegeben werden könnten. Bereits jetzt lässt sich in verschiedenen Tierheimen in Deutschland ein derartiger Trend beobachten. 

In der schlimmsten Phase der Pandemie gab es eine enorm gestiegene Nachfrage nach Haustieren. "Tatsache ist, dass es einen starken Zuwachs an Haustieren gab", sagt Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzbund. Dabei beruft sie sich auf die Zahlen des Zentralverbands Zoologischer Fachbetriebe Deutschland. 

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Demnach gab es 2020 etwa eine Million mehr Katzen und 600.000 mehr Hunde als noch im Vorjahr. Die Tierschützer:innen befürchten, dass sich einige Menschen die Tiere unüberlegt zur Beschäftigung oder gegen die Einsamkeit in der Pandemie angeschafft haben - zumal viele im Homeoffice waren und entsprechend Zeit hatten, sich um die Tiere zu kümmern. 

Mit dem Abschwächen der Pandemie kehrt nun aber nach und nach die Normalität zurück. Das bedeutet auch, dass die Menschen weniger zu Hause sind und weniger Zeit für die Haustiere haben. Damit stellt sich die Frage: Was passiert mit den Tieren, wenn die Besitzer beispielsweise wieder zum Arbeiten ins Büro müssen. 

"Sobald pandemiebedingt für viele kein Homeoffice mehr zur Verfügung steht, wird ein unter diesen Bedingungen zugelegtes Haustier wegen Zeitmangel, Überforderung oder Kosten abgegeben werden", sagt Jillian Moss, eine Sprecherin des Tierheims München. "Viele Menschen sind durch die Pandemie sehr einsam geworden und wünschten sich einen Begleiter, allerdings ist dieser Zeitraum begrenzt. Danach geht für viele der normale Alltag wieder los - und wer kümmert sich dann?" 

Auch die Lockerungen bei Urlaubsreisen könnten dazu führen, dass wieder mehr Tiere in den Tierheimen abgegeben werden. "Es war zum Sommer hin immer relativ voll. Das blieb während der Corona-Pandemie aber aus", erzählt Tamara Hirning vom Tierheim Offenbach. Im Schnitt habe das Tierheim vergangenen Sommer etwa zehn Katzen gehabt, normalerweise seien es um die 60. Eine mögliche Ursache für den ruhigen Sommer im vergangenen Jahr sieht Hirning auch in den Reisebeschränkungen. Sollten Reisen wieder weitestgehend möglich sein, kann es also wieder voller im Tierheim werden. 

In den Tierheimen in München und Berlin hat man bereits registriert, dass vereinzelt wieder Haustiere abgegeben werden. Im Tierheim Berlin seien bisher sechs Hunde abgegeben worden, erklärt die Sprecherin Annette Rost. Aufgrund des Alters der Hunde kommen die Tierschützer zu dem Schluss, dass die Hunde während der Pandemie angeschafft wurden. 

In München konnte das Tierheim keine genauen Angaben zu der Anzahl der abgegebenen Tiere machen. Dennoch ließen die Angaben der Besitzer:innen darauf schließen, dass die Tiere zu Corona-Zeiten geholt wurden. "Die Menschen kommen meist, weil sie mit den Tieren überfordert sind und nicht zurechtkommen. Dann heißt es oft, der Hund sei hyperaktiv", sagt Sprecherin Jillian Moss.

Auch Annette Rost erklärt, dass sich viele Menschen voreilig einen Hund kaufen und dabei nicht berücksichtigen würden, welche Arbeit dahintersteckt. "Die Menschen holen sich schnell einen süßen Welpen und vergessen dabei, dass dieser noch zu einem ausgewachsenen Schäferhund wird", sagt Rost. 

Dazu kommt, dass die meisten Hundeschulen in Deutschland während der Pandemie geschlossen hatten, wodurch insbesondere unerfahrenen Hundehalter:innnen eine wichtige Unterstützung fehlte. Diese hätten nur "sehr eingeschränkte Möglichkeiten gehabt, ihre Hunde unter fachgerechter Anleitung zu erziehen und auszubilden", heißt es vom Berufsverband der Hundeerzieher/innen und Verhaltensberater/innen. (BHV). "Dies hat unter Umständen gravierende Folgen für die Entwicklung, Erziehung und Ausbildung der Hunde mit entsprechenden Konsequenzen für Zusammenleben und Sicherheit von Mensch und Hund im privaten wie im öffentlichen Bereich".

Gerade bei Welpen und pubertierenden Hunden bräuchten unerfahrene Hundehalter besonders viel Unterstützung. "Das erste 'Pubertier' im Haus zu haben ist manchmal eine echte Herausforderung", erklärt Julia Sulzer vom BHV. 

Zu der drohenden Abgabewelle kommt aber für einige Tierheime noch ein weiteres Problem hinzu. Denn der Haustier-Boom in der Pandemie habe auch zu einem Anstieg des illegalen Welpenhandels geführt, berichten die Tierheime. Die stark gestiegene Nachfrage nach Haustieren und insbesondere nach Welpen während der Pandemie hätten viele seriöse Züchter nicht bedienen können. "Teilweise hatten die Züchter keine Tiere mehr", sagt Annette Rost. Die Menschen, die dann beim Züchter oder im Tierheim keinen passenden Hund finden konnten, suchten dann im Internet - auch bei unseriösen Händlern. 

“Die immense Nachfrage führte dazu, dass Tiere – meist in Osteuropa – regelrecht produziert werden”, erklärt Annette Rost. Die Welpen werden dann häufig zu früh von der Mutter getrennt oder hätten nicht die nötigen Impfungen. Daher komme es oftmals dazu, dass die illegal verkauften Welpen schnell erkranken würden. 

In Tierheimen werden immer mehr Katzen und Hunde abgegeben

So sei beispielsweise vor kurzem ein Welpe im Tierheim Berlin abgegeben worden, der zuvor in Polen gekauft worden sei, erzählt Annette Rost. Schon einen Tag nach dem Kauf sei er erkrankt. Beim Tierarzt wurde dann anschließend eine Rechnung von 1000 Euro fällig. Da das für die Besitzer auf Dauer zu teuer gewesen sei, gaben sie den Hund im Tierheim ab. 

Der illegale Welpenhandel kann aber nicht nur die Abgaben in Tierheimen erhöhen. Auch führt er zu mehr sichergestellten Hunden, die ebenfalls ins Tierheim kommen. “Wir stoßen immer wieder an unsere Grenzen der Kapazität, denn die Sicherstellungen von Welpen boomt”, erzählt Jillian Moss. 

Das Veterinäramt München stellte nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr 33 “aufgegriffene illegale Tierverbringungen” mit insgesamt 45 Tieren fest. Davon seien 39 Hunde gewesen. Einen Anstieg kann das Veterinäramt allerdings nicht verzeichnen. Zumindest 2020 gab es sogar weniger Vorfälle als noch 2019. 

Damals kam es zu 52 Vorfällen mit 65 Tieren. Für 2021 lägen noch keine Zahlen vor, heißt es beim Veterinäramt. Anhand der Zahlen aus dem Vorjahr sei “kein Zusammenhang dahingehend zu erkennen, dass während der Corona-Pandemie der illegale Welpenhandel zugenommen hätte”, erklärte das Veterinäramt München auf Nachfrage.

Im Tierheim Berlin kommen inzwischen etwa 50 Prozent aus der sogenannten Tiersammelstelle. Neben Tieren aus Sicherstellungen würden dazu aber auch Fundtiere, Verwahrtiere und Beobachtungstiere gehören, erklärt Annette Rost.  

Trotz der Abschwächung der Pandemie könne man mit der Situation gut umgehen, erklärt Annette Rost. Es könnte zwar voll werden, aber man sei mit anderen Tierheimen im Austausch. Gegebenenfalls können man die Tiere also weitergeben. Einige Tierheime haben dank des Haustier-Booms in der Pandemie jetzt entsprechende Kapazitäten zur Aufnahme der Tiere.

Denn obwohl die Tierheime geschlossen waren, konnten Tiere vermittelt werden. Über die Website konnten sich Interessierte die Tiere Online in Augenschein nehmen. Per Telefon und persönlichem Beratungstermin wurde dann sichergestellt, ob Tiere und Besitzer zueinanderpassen. Dabei waren die meisten Tierheime aber vorsichtiger, was die Auswahl der Besitzer:innen angeht.

Man habe schon “sehr genau” geschaut, sagt Rost. “Wir haben ja ein großes Interesse, dass wir für die Tiere ein optimales Zuhause finden. Das falsche Zuhause kann für ein Tier ein traumatisierendes Erlebnis sein”. Immerhin: Von den sechs abgegebenen Hunden im Berliner Tierheim konnten fünf schon wieder vermittelt werden.