Helfer oder Killer: So mächtig sind Bakterien, Viren, Pilze

Die unterschätzte Gefahr: Sepsis

Jedes Jahr sterben mehr als 70.000 Menschen in Deutschland an einer Sepsis. Sie ist laut Robert Koch-Institut die häufigste Todesursache infolge einer Infektion. Sepsis ist den meisten Menschen ein Begriff, allerdings kennen nur wenige die möglichen Symptome, die Ursachen und wissen auch nicht, dass eine Sepsis ein lebensgefährlicher Notfall ist.

Eine „Blutvergiftung“, wie sie im Volksmund immer noch heißt, ist sie jedenfalls nicht. Und es ist auch nicht immer ein roter Strich auf der Haut zu sehen. Eine Sepsis ist die Folge einer Infektion, die äußerlich meist gar nicht sichtbar ist. Eine Wundinfektion kann die Ursache sein, aber auch eine Grippe, eine Lungenentzündung, ein Harnwegsinfekt, Covid19 – jede Infektion, ausgelöst durch Bakterien, Viren oder Pilze kann zur Sepsis werden.

Das Immunsystem richtet sich bei einer Sepsis gegen den Körper: Abwehrzellen greifen das eigene Gewebe an. Dies kann zu Organversagen, zum Verlust von Gliedmaßen oder zum Tod führen. Viele der Patient*innen, die überleben, werden wenig später wieder ins Krankenhaus eingeliefert; viele leiden an schweren Folgeschäden.

Warnzeichen, auf die jeder selbst achten kann, sind: Fieber, Schüttelfrost, schneller Puls und Herzrasen, Kurzatmigkeit, Schmerzen, starkes Unwohlsein, Schwitzen, feuchte Haut und Schwäche sowie Verwirrtheit und Desorientiertheit.

Doch selbst für Ärzt*innen ist es oft gar nicht so einfach, die Erkrankung zu erkennen, denn die Symptome sind nicht immer eindeutig. Die Gefahr: Wird eine Sepsis nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, ist sie kaum noch zu stoppen. An der Universität Greifswald arbeitet das Projekt „Sepsisdialog“ daran, das rechtzeitige Erkennen und Behandeln der Sepsis zu verbessern. Rund 20.000 Todesfälle, so schätzen Expert*innen, könnten jedes Jahr in Deutschland vermieden werden. Doch bisher wird das Problem Sepsis unterschätzt; bessere Informationen und vor allem Qualitätsstandards fehlen.

Das Immunsystem: Unterscheiden zwischen Freund und Feind

Wer sein Immunsystem stärkt, beispielsweise durch gesunde Ernährung oder Sport, will sich meist gegen Krankheiten schützen. Doch das Immunsystem ist nicht nur eine effektive Abwehr gegen Krankheitserreger von außen, es hält auch die Billionen nützlicher Mikroben, die uns besiedeln, im Gleichgewicht und sorgt so dafür, dass wir gesund bleiben.

Wie das Immunsystem seine vielen Aufgaben erfolgreich erledigt, ist noch nicht vollständig erforscht. Sicher ist: Es muss bei allen Mikroben zwischen „Freund“ und „Feind“ unterscheiden können. Eine blitzschnelle Entscheidung, wer bekämpft und wer geduldet wird. Und werden Eindringlinge wie Viren oder Bakterien bekämpft, muss das Immunsystem das richtige Maß einhalten, denn bei zu geringer Gegenwehr ist eine Krankheit die Folge.

Bei übermäßiger Abwehr kann das Immunsystem nicht mehr zwischen Eindringling und körpereigenen Zellen unterscheiden. Dann greifen die Abwehrzellen gesundes Gewebe an und schädigen es. Die Folge sind ebenfalls Krankheiten: die sogenannten Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose oder rheumatoide Arthritis; auch Allergien, Neurodermitis, Asthma und einige chronisch entzündliche Darmerkrankungen können ausgelöst werden.

Mikrobiom: Mikroben und ihre Jobs

Rund 30 Millionen Mikroben wohnen in und auf jedem Menschen – zehnmal mehr, als wir Zellen haben. Und alle zusammen erledigen einen für den Menschen lebenswichtigen Job, denn ohne sie würde der Körper nicht funktionieren. Mittlerweile gilt das Mikrobiom sogar als eigenes Organ.

Bei den meisten Mikroben handelt es sich um Bakterien. Bakterien können zwar auch Krankheiten auslösen; rund 99 Prozent „unserer“ Bakterien sind aber nützlich. Vor allem im Darm, wo die meisten von ihnen sitzen, sorgen sie dafür, dass die Verdauung funktioniert. Auf der Haut, im Mund, im Rachen haben sie wichtige Schutzfunktionen.

Das Mikrobiom ist so einzigartig wie der Fingerabdruck: Jeder Mensch bildet nach der Geburt seine eigene Zusammensetzung an Mikroben heraus. Beeinflusst wird das Mikrobiom von der Ernährung, von Medikamenten, über Kontakte und auch über die Atemluft.

Wer sein Mikrobiom positiv beeinflussen will, kann viel über die Nahrung erreichen: Ballaststoffe sind wichtig für das Gedeihen nützlicher Bakterien; probiotische Lebensmittel wie Joghurt, Kefir, Sauerkraut und andere vergorene Lebensmittel stärken über Milchsäurebakterien und Hefepilze die Darmwand. Wichtig ist es, eine einseitige Ernährung zu vermeiden, denn das Mikrobiom ändert sich ständig und will, damit es gut funktioniert und vor Krankheiten schützt, ständig gut gefüttert werden.

Nahrung: Die Reise durch den Darm

Jeder kleine Bissen, den der Mensch zu sich nimmt, durchläuft im Körper einen langen Prozess, bis die Verdauung komplett ist. Nach Kauen und Schlucken ist der Magen die erste größere Station: Die zerkleinerte Nahrung bleibt ein bis zwei Stunden im Magensaft, schwer Verdauliches kann auch länger brauchen. Weiter geht‘s – portionsweise – in den Dünndarm. Dort durchläuft der Nahrungsbrei einen mehrere Meter langen Weg, vorbei an unzähligen Zotten (Ausstülpungen).

Über die große Oberfläche des Dünndarms werden der Nahrung schon die meisten Nährstoffe entzogen und in ihre Einzelteile zerlegt. Nächste Station: der Dickdarm. Hier gehen die Mikroorganismen ans Werk, vor allem Bakterien, aber auch Viren und Pilze. 25 bis 30 Stunden dauert es, bis sie alles abgebaut haben, was noch übrig ist. Besonders gut verwertet werden Ballaststoffe, die als Energiequelle dienen. Was bei einer Birne zum Beispiel übrig bleibt, sind vor allem abgestorbene Darmzellen und jede Menge Bakterien, die schließlich ausgeschieden werden.

Überfütterte Bakterien machen krank

Das Mikrobiom will gut ernährt werden, dann funktioniert es auch gut und hält uns gesund. Doch was passiert, wenn Menschen sich „falsch“ ernähren? Wenn sie ihren Bakterien ein Überangebot an Nahrung geben?

Zwei Wissenschaftler der Universität Kiel testeten dies an winzigen Süßwasserpolypen und an Seeanemonen, die beide ihre Bakterien auf der Haut tragen. Die kleinen Polypen erhielten unterschiedliche Nahrung: die einen proteinreich, die andere sehr gehaltvoll. Bei Menschen würde das einer Ernährung mit vielen Milchprodukten und tierischem Eiweiß im ersten Fall entsprechen; im zweiten Fall einer ungesunden Lebensweise mit viel Fleisch und Zucker.

Die Ergebnisse zeigten sich schnell: Die Bakterien, die ein zu üppiges Nahrungsangebot hatten, vermehrten sich extrem schnell. Das Mikrobiom der Polypen geriet aus dem Gleichgewicht; sie bauten Zellmaterial ab, ihre Tentakel verkürzten sich. Die Seeanemone wehrte sich gegen ihre überfütterten Bakterien, indem sie ihre Haut abstreifte.

Möglicherweise hält das Mikrobiom uns nicht nur gesund, sondern ist bei Störungen selbst die Ursache für Erkrankungen. Und Fasten könnte bei Menschen wiederum eine Methode sein, das überfütterte Mikrobiom wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Doch bis dies erforscht ist, gilt Fasten einfach generell als gesundheitsfördernd.

Der Mikrobiomtest für Zuhause

Wer nun wissen will, ob sein Mikrobiom im Gleichgewicht ist oder nicht, kann sich einfach einen Test kaufen. Solche Tests gibt es schon für unter 100 Euro. Wie sinnvoll sie allerdings sind, ist fraglich. Gastroenterologe Christian Trautwein, Direktor der Medizinischen Klinik III der RWTH Aachen, erklärt, warum: Zum einen verändert sich die Darmflora sehr schnell – auch innerhalb eines Tages. Das hängt von Ernährung, von Stress und mehr ab. Je nachdem, wann die Stuhlprobe genommen wird, fallen die Ergebnisse sehr unterschiedlich aus.

Auch die Ergebnisse selbst, die manchmal Wochen auf sich warten lassen, bringen Laien nicht unbedingt weiter. In der Auswertung steht zwar eventuell, wie viele Bakterien von welchem Stamm gefunden wurden. Doch das alles ist noch kein Hinweis auf eine bestimmte Krankheit. Und bei vielen Darmbakterien, so Prof. Trautwein, sei die Funktion noch gar nicht ganz erforscht. Als „teuer und sinnlos“ bezeichnet die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten die Tests. Fazit: Wer Probleme hat, sollte besser einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen und sich fachlichen Rat holen.

Was prähistorischer Kot über uns verrät

Wovon sich Menschen vor Jahrtausenden ernährt haben und wie ihr Mikrobiom im Darm zusammengesetzt war, lässt sich tatsächlich heute noch feststellen: Forscher*innen des Max-Planck-Instituts in Jena untersuchen dafür prähistorische Kotbrocken, sogenannte Koprolithen. Die Hinterlassenschaften geben Auskunft über die Lebensgewohnheiten der Menschen und über ihre Ernährung.

Besonders interessiert sind die Forscher*innen an der Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms im Vergleich zu heute. Denn Veränderungen könnten ein Hinweis darauf sein, dass bestimmte Krankheiten wie Depression oder Krebs auf eine Änderung von Essen und Lebensstil zurückzuführen sind. Einen Unterschied haben die Wissenschaftler bereits gefunden: Dem modernen Menschen fehlt ein bestimmtes Bakterium, das Pflanzen verdaut. Vermutlich weil heute wesentlich weniger pflanzliche Nahrung gegessen wird als früher. Auch dies ist ein Hinweis darauf, dass der Mensch seine billionengroße Helferschar aus Bakterien, Viren und Pilzen aktiv beeinflusst.

Die Themen der Sendung

Medizinischer Notfall: So gefährlich ist eine Sepsis!

So wichtig sind Mikroben für unser Immunsystem

Winzige Wesen mit großer Wirkung: Fakten zum Mikrobiom

Reise durch den Körper: Das passiert beim Verdauen einer Birne

Gesundheitsrisiko: Deshalb sollten wir unsere Darmbakterien nicht überfüttern!

Analyse von Stuhlproben: Was Selbsttests über unser Mikrobiom verraten - und was nicht!

Das verrät jahrtausendealter Kot über das Mikrobiom unserer Vorfahren