Tierversuche bei der Bundeswehr: Mäuse, Hunde und Affen sterben für die Truppe

ImagoTierversuche bei der Bundeswehr: Mäuse, Hunde und Affen sterben für die Truppe

Finanzen100-Autor Christoph Sackmann

Freitag, 16.07.2021, 11:16

Jedes Jahr experimentiert die Bundeswehr an hunderten Mäusen, Ratten, Meerschweinchen, Kaninchen, Schweinen und anderen Tieren. Seitdem eine Anfrage der Linken-Fraktion das Ausmaß offenlegte, ist eine Debatte um die Versuche entbrannt. Experten sind gespalten, inwieweit die Tierversuche notwendig sind.

Ein Tier beim Militär zu sein, war in der Geschichte nie ein gutes Schicksal. Heroische Zeichnungen und Erzählungen von Kavallerie-Einheiten oder Reiterhorden verdecken, dass die meisten Pferde ihren unfreiwilligen Dienst mit dem Leben bezahlten. Von Hannibals berühmten 37 Elefanten starben im ersten Winter nach der Alpenüberquerung 36. Noch im Ersten Weltkrieg kamen rund acht Millionen Pferde zu Tode, dazu unzählige Hunde, Tauben, Esel und sogar Kamele.

Auch heute noch beschäftigt die Bundeswehr Tiere, etwa Pferde und Maulesel für Lastentransporte und Spürhunde. In die Schlagzeilen sind jetzt aber ganz andere Einsatzzwecke für Tiere in der deutschen Armee gekommen: Versuchstiere.

Tierversuche bei der Bundeswehr: Verletzte Mäuse und Amputationen bei Schweinen

Rund 1500 von ihnen darf die Bundeswehr alleine in diesem Jahr „verbrauchen“, wie es im Verwaltungsjargon heißt. Die meisten von ihnen sind Mäuse, Ratten, Meerschweinchen und Kaninchen, die getötet werden sollen, um die Auswirkungen von verschiedenen Wirkstoffen auf ihre Organe zu untersuchen. Im Herbst oder Winter sollen 798 Mäuse mittel bis schwer an der Haut verletzt werden, um experimentelle Stammzell-Therapien zum Gewebeersatz zu erproben. Und regelmäßig erlernen Sanitäter der Bundeswehr beim so genannten „Life Tissue Training“ (LTT) an narkotisierten Schweinen, wie sie Gliedmaßen amputieren oder Wunden versorgen können. Die Schweine werden danach getötet.

Der Bundeswehr sind durch das Tierschutzgesetz allerdings Grenzen für ihre Experimente gesetzt. So dürfen etwa keine Versuche durchgeführt werden, bei denen Waffen, Munition oder andere Ausrüstung erprobt werden. Alle Tierversuche der Bundeswehr, die teilweise an externe Institute herausgegeben werden, dienen daher medizinischen Zwecken – wenngleich manche davon wiederum auf speziell militärisch-medizinische Zwecke beschränkt sind.

7500 Tier-Experimente seit 2000: Auch Hunde, Pferde und Affen wurden benutzt

Die Linken-Fraktion im Bundestag hatte im März das genaue Ausmaß der Tierversuche in einer kleinen Anfrage ermittelt. Das Bundesverteidigungsministerium gab darin an, seit dem Jahr 2000 rund 7500 Tiere in Experimenten gebraucht zu haben. Neben vielen Ratten und Mäusen waren darunter auch 144 Hunde, 630 Meerschweinchen, mehr als 300 Schafe, Ziegen und Pferde und sogar einige Affen. Die den Tieren zugefügten Schäden reichen von leichten Verletzungen bis zu Tötungen.

Sinn und Zweck solcher Tierversuche sind umstritten. Zu den lautesten Kritikern der Bundeswehr-Praktiken gehört „Ärzte gegen Tierversuche“. Der Verein aus Köln setzt sich seit 1979 gegen Tierversuche ein. Im Juni startete er die Kampagne „Stoppt Tierversuche bei der Bundeswehr“.

„Tierversuche sind wissenschaftlich und ethisch sinnlos“

Die Mitglieder des Vereins kritisieren vor allem zwei Dinge an den Experimenten der Bundeswehr: „Tierversuche sind wissenschaftlich und ethisch sinnlos“, sagt Julia Radzwill, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Vereins gegenüber der "taz". Der Körperaufbau von etwa Ratten und Menschen sei zu unterschiedlich, um aus Tierversuchen allgemein Rückschlüsse auf Wirkungen beim Menschen zu ziehen. Die meisten Medikamente, die etwa mit Tieren getestet würden, erhielten später keine Zulassung. Auch das LTT kritisiert sie. Statt Schweinen gäbe es hier mittlerweile menschliche Attrappen, mit denen die Wundversorgung genauso gut geübt werden könne.

Die Bundeswehr selbst sieht das – wenig überraschend – anders: „Tierversuche werden nur durchgeführt, wenn es für die Ausbildung und/oder Forschung absolut unvermeidlich ist“, sagt ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums auf Anfrage von FOCUS Online. Hier sehen Kritiker wie Radzwill aber die zweite Krux: Was für die Bundeswehr absolut unvermeidlich ist, entscheidet meist das Bundesverteidigungsministerium. Die Bundeswehr kontrolliert sich also selbst.

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Nur bei externen Forschungsaufträgen, die das Militär an Institute herausgibt, sind dafür die Bundesländer verantwortlich. Wie viele Anträge dabei abgelehnt werden, ist unbekannt. Das Bundesverteidigungsministerium listet nur beispielhaft einen Fall aus dem Jahr 2015 auf, bei dem Meerschweinchen mit dem Nervengas VX vergiftet werden sollten, um dann Heilmethoden zu erproben.

Corona-Impfstoff wurde zuerst an Nagetieren wie Mäusen oder Ratten getestet

Dass Tierversuche auch beim Militär durchaus sinnvoll sein können, sehen auch andere Experten so. „Der Argumentation von ‚Ärzte gegen Tierversuche‘ folgen wir nicht“, sagt die Max-Planck-Gesellschaft gegenüber FOCUS Online. Die Forschungseinrichtung hat bereits 2017 ein umfangreiches Whitepaper zum Thema Tierversuche herausgegeben. Eine internationale Kommission aus Verhaltensforschern, Biologen, Ethikern, Forschern und Kommunikationsexperten hatte dafür Richtlinien erarbeitet.

Darin heißt es unter anderem: „Interaktionen zwischen den Bausteinen einzelner Zellen lassen sich ohne weiteres in Zellkulturen und in Vitro-Präparationen untersuchen. Eine Untersuchung der Funktionen, die aus der Wechselwirkung von Zellen entstehen, erfordert jedoch die Untersuchung intakter Organe und Organismen.“Tierversuche bei der Bundeswehr: Mäuse, Hunde und Affen sterben für die Truppe

Vereinfacht ausgedrückt: Wer wissen will, ob eine Stammzellen-Therapie Hautverletzungen heilt, ohne anderswo am Körper Schaden anzurichten, der muss einen kompletten Körper untersuchen und nicht ein Computermodell. Dass Tierversuche dabei oft sinnvolle Ergebnisse liefern, zeigt die Pharmaforschung. Jeder aktuell verfügbare Corona-Impfstoff wurde etwa zuerst an Nagetieren wie Mäusen oder Ratten getestet.

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Zwar sehen die Autoren des Whitepaper Tierversuche damit als „unverzichtbar“ an, gleichzeitig aber auch die Notwendigkeit, diese so stark wie möglich zu begrenzen. „Studien an intakten Organismen können Belastungen und Schäden für fühlende Wesen mit sich bringen“, schreiben sie, „daher sind ethische Konflikte in diesem Gebiet oft unvermeidlich und schwer zu lösen.“

Abwägung zwischen Nutzen und einschätzbarem Leid

Das Schwierige: Das Ergebnis eines Experimentes – egal ob mit oder ohne Tieren – ist vorher kaum bekannt, sonst bräuchte es das Experiment nicht. Dieser nicht vorhersagbare Nutzen eines Tierversuches muss aber gegen das oft besser einschätzbare Leid abgewogen werden, das den Versuchstieren zugefügt wird. Das Leid wiederum ist subjektiv, denn niemand kann genau quantifizieren, wie sehr Tiere in bestimmten Situationen leiden. „In diesem Diskurs müssen die Interessen der beteiligten Tiere zwangsläufig von Menschen eingeschätzt und vertreten werden. Die Ergebnisse solcher Überlegungen werden immer Kompromisscharakter haben und wohl kaum alle Mitglieder der Gesellschaft zufrieden stellen können.“

Peta startet Petition - doch verglichen mit Pharmaindustrie ist Ausmaß gering

Der Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ möchte mit seiner Kampagne keinerlei Kompromisse eingehen. Gefordert wird nicht weniger als ein Ende aller Tierversuche. Auch die Tierschutzorganisation Peta hat eine Petition gestartet, die sich aber vor allem gegen das LTT richtet.

Mengenmäßig machen die Tierversuche der Bundeswehr nur einen Bruchteil aller Tierversuche in Deutschland aus. 2019 wurden laut Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung rund 2,9 Millionen Tiere in Experimenten benutzt, hauptsächlich in der Pharmaindustrie.

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