Wegen Corona: Tierheim ohne Tiere in Henstedt-Ulzburg

Als sie morgens die Tür zur Katzenstation öffnet, wird Philine Bestehorn von einem Miauen begrüßt - allerdings von einem deutlich leiseren, als sie es gewohnt ist. Denn normalerweise warten im Tierheim Henstedt-Ulzburg um die 40 Katzen auf ein neues Zuhause. Im Moment wohnt Kater Rufus ganz alleine hier. Und auch für ihn gibt es schon Interessenten. "Das hatten wir hier wirklich noch nie, normalerweise sind immer alle Räume besetzt", erzählt die Tierpflegerin. Kaum einer gibt momentan sein Tier ab. Und die Nachfrage war noch nie so groß wie zu Coronazeiten.

Tier-Anfragen ohne Ende

Auch Kater "Rufus" wird in ein paar Tagen abgeholt.

"Das Telefon steht den ganzen Tag nicht still", kommentiert Philine Bestehorn das Klingeln, während sie Rufus Katzenklo reinigt. Danach bekommen die Hunde ihr Futter. Die Tierpflegerin streichelt den kleinen Mischlingsrüden Kayro. "Er wird heute noch abgeholt", erzählt sie. Und auch für fast alle anderen der sieben Hunde hier gibt es schon Bewerber. Die Tierheim-Mitarbeiter sehen das große Interesse an Tieren kritisch: "Uns gruselt es schon ein bisschen vor der großen Abgabewelle nach dem Lockdown", sagt Tierheimleiterin Katja Vogel. Denn wenn der vorbei ist, haben die Menschen plötzlich nicht mehr so viel Zeit. Und die Tiere kennen es möglicherweise nicht, alleine zu sein. "Dann kann es sein, dass Hunde anfangen zu bellen oder jammern oder Katzen aus Protest in die Wohnung pinkeln. Und die Tiere landen wieder bei uns", befürchtet sie.

Tiere gegen die Corona-Einsamkeit

Philine Bestehorn verteilt Möhren im Kaninchengehege. Die Futter-Runde ist im Moment schnell gemacht. Mit den paar Vierbeinern hat die Tierpflegerin viel weniger Arbeit als gewöhnlich - dafür aber umso mehr mit den Bewerbern. "Wir müssen sicherstellen, dass es nicht nur zur Tieraufnahme kommt, weil die Menschen gerade einsam sind und Langeweile haben, sondern dass sie sich der Verantwortung bewusst sind." Die Hürden für Interessenten sind deshalb hoch. Die Tierheim-Mitarbeiter lassen jeden eine Selbstauskunft ausfüllen, wollen Fotos vom möglichen neuen Zuhause sehen und führen Gespräche. Die Frage, warum es gerade jetzt zu dem Entschluss kommt, ein Tier aufzunehmen, stellen sie dabei immer. Und entscheiden dann nach einer Mischung aus Fakten und Bauchgefühl. Stichprobenartig führen sie auch Nachkontrollen durch. Heute skypt Philine Bestehorn mit einem jungen Paar, das vor kurzem einen Kater aufgenommen hat. "Wie ist es denn dem Travis ergangen?", fragt sie. Seine neuen Besitzer führen durch das neue Zuhause, zeigen den Kratzbaum, Ruheecken und sogar ein eigenes Spielzimmer. Die beiden wollten sich schon lange eine zweite Katze zulegen und nutzen die Zeit im Homeoffice für Travis Eingewöhnung. Philine Bestehorn ist zufrieden. "So gut trifft es leider nicht jedes Tier."

Junge Tiere mit Niedlichkeitsfaktor für die Kinder

"Viele Anrufer fragen, ob sie sich nicht einen Hund ausleihen können für die Zeit, in der sie zu Hause sind - am besten einen unkomplizierten", erzählt Philine Bestehorn. "Solche Anfragen lehnen wir natürlich strikt ab, denn die Tiere hätten dann ja nach dem Lockdown einen weiteren Verlust zu verkraften." Auch bei Fragen nach möglichst jungen Tieren mit Niedlichkeitsfaktor werden die Tierheim-Mitarbeiter skeptisch. Noch nie gab es so viele Interessenten für Babykatzen wie seit dem Lockdown, obwohl momentan überhaupt nicht die Zeit dafür ist. Auch Welpen sind gefragt wie nie. Deshalb blüht zurzeit auch der illegale Handel mit viel zu jungen und kranken Hunden.

Teurer Handel mit Welpen im Internet

Regelmäßig verfolgen die Tierheim-Mitarbeiter die Angebote im Internet. Hier werden laut Bestehorn Hunde für bis zu 4.000 Euro angeboten, die vor Corona noch unter 1.000 Euro gekostet haben: "Die Preise steigen, weil die Tierheime leer sind. Wir haben nicht mehr die Welpen, die die Leute gerne hätten. Insofern werden die immer teurer gehandelt. Auch Mischlingswelpen steigen in den Preisen." Beschlagnahmte Tiere landen bei ihnen. Und überleben häufig nicht, weil die illegalen Händler an Impfungen sparen, die Hunde viel zu früh von ihren Müttern getrennt werden und in miserablen hygienischen Verhältnissen gehalten werden.

Warteliste für eine Katze

So wie in Henstedt-Ulzburg sieht es in den meisten Tierheimen in Schleswig-Holstein aus. In einigen gibt es sogar lange Wartelisten für Tier-Interessenten. Im Tierheim Lübeck sind zurzeit 18 beschlagnahmte Welpen aus illegalem Handel untergebracht, um die es sehr schlecht steht. Und auch erste unüberlegt angeschaffte Tiere kommen in vielen Tierheimen schon zurück. Philine Bestehorn und ihre Kollegen hoffen, dass das Ausnahmen bleiben und die große Abgabewelle nach Corona nicht kommt.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin |17.02.2021 | 19:30 Uhr

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