Larven zu Tierfutter

In Regalen hängen große Bleche. Auf den Blechen liegt eine krümelige braune Masse, und darin drehen sich unzählige Larven. "Die sind vier Tage alt", sagt Keiran Whitaker. Im nächsten Raum zeigt der Gründer und Chef des Londoner Unternehmens Entocycle, wie diese Insekten enden. In einer durchsichtigen Schraubdose befindet sich ein grau-braunes Pulver. Als der 35-Jährige die Dose öffnet, entströmt ein nussiges Aroma. Dieses Pulver besteht aus getrockneten und gemahlenen Larven der schwarzen Soldatenfliege.

Entocycle züchtet Millionen von Larven, mästet sie mit Essensabfällen - das ist die braune Masse auf den Blechen - und verarbeitet sie zu Tierfutter. Die Larven enthalten viel Protein. Das Pulver ist daher eine gute Futterbeigabe, etwa für Fische in Aquafarmen oder für Hühner und Schweine.

Das Larvenpulver könnte auch Grundlage für Proteinshakes sein, die Fitnessstudios an Bodybuilder verkaufen. Unternehmenschef Whitaker befürchtet hier aber noch "Akzeptanzprobleme" und konzentriert sich deswegen auf Tierfutter. Der Herr der Fliegen sagt, er wolle mit Entocycle zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft beitragen. Die Weltbevölkerung wächst, und noch schneller steigt der globale Fleischkonsum. Deshalb nimmt die Nachfrage nach Tierfutter weltweit zu. Viele Bauern kaufen Soja oder Fischmehl, denn das sind gute Proteinquellen. Doch für Sojafelder wird Regenwald abgeholzt, und in den Ozeanen sind zahlreiche Bestände bereits überfischt. "Wir zerstören sehenden Auges unseren Planeten", klagt Whitaker.

Larven seien eine viel umweltfreundlichere Proteinquelle, sagt der Vegetarier - vor allem, wenn sie mit Abfall gefüttert werden. Die braune Masse, welche die Insekten auf den Blechen vertilgen, stammt von Cafés und Brauereien. Es sind Kaffeereste und Rückstände vom Brauprozess. Die Larven könnten auch verdorbenes Obst und Gemüse von Supermärkten und Großhändlern fressen, sagt Whitaker.

In vielen Teilen der Welt gelten Insekten als leckere Spezialität - nicht aber in Europa und Nordamerika. Allerdings bieten immer mehr Unternehmen Lebensmittel für Mensch und Tier an, in denen Insekten stecken. Als Begründung dienen stets Nachhaltigkeit und der hohe Nährwert. Die US-Firma Exo zum Beispiel nutzt Grillen, um Proteinriegel für Sportler herzustellen. Essento aus Zürich vertreibt neben solchen Riegeln Burgerbratlinge aus Mehlwürmern. Tenetrio, ein Brandenburger Betrieb, verkauft Hundeleckerli mit Mehlwürmern.

Whitaker gründete Entocycle 2016; er sammelte drei Millionen Dollar bei Investoren und über Förderprogramme ein. Die Firma mit heute 14 Beschäftigten ist in einem Eisenbahn-Viadukt in der Nähe des Bahnhofs London Bridge untergebracht. Junge Menschen sitzen vor Computern, regelmäßig ist von oben das Rumpeln der Züge zu hören. In der Etage unter dem Büro befinden sich die Räume, in denen die Larven aufgezogen, gemästet und pulverisiert werden.

Das ist eine Pilotanlage; hier testet Entocycle Abläufe und Technik. Die Aufzucht ist teilweise automatisiert: Computer überwachen das Klima, Roboter verteilen Larven in Boxen. Die Firma will ein kompaktes System entwickeln - eine schlüsselfertige kleine Insektenfarm, die Landwirte oder Unternehmen, die viel Essensabfall produzieren, auf ihr Gelände stellen können. "Das Modul wird etwa fünf Meter breit und 25 Meter lang sein", sagt Whitaker. In so einem Schuppen geht Müll auf der einen Seite rein, und auf der anderen Seite kommt Proteinpulver heraus. Zudem könnten Bauern die Exkremente der Larven als Dünger verwenden. Damit der Kreislauf funktioniert, werden 97 Prozent der Insekten getrocknet und gemahlen, drei Prozent überleben, um neue Eier zu legen, aus denen die nächste Larvengeneration schlüpft.

"Anfang 2020 wollen wir die erste Anlage auf einem Bauernhof im Norden Englands aufbauen", sagt der Gründer. "Der Hof ist in der Nähe einer Brauerei und kann deren Abfall verwerten."

Das Insekt, das Entocycle nutzt, stammt aus wärmeren Gefilden. Whitaker hat sich für die schwarze Soldatenfliege entschieden, weil deren Larven sehr schnell wachsen - "in zwei Wochen von einigen Millimetern auf 2,5 Zentimeter", sagt er. Bei dieser Größe sind sie reif zum Pulverisieren. Außerdem seien die Larven beim Essen nicht wählerisch. Mehlwürmer hingegen würden viel langsamer wachsen und keinen Abfall fressen, sagt der Brite. Und anders als Heuschrecken stellen schwarze Soldatenfliegen bei einem Ausbruch aus der Farm keine Gefahr dar. Die Fliegenlarven vertilgen nur Müll, kein Obst am Baum oder Getreide, und die ausgewachsenen Fliegen fressen gar nichts, sondern widmen ihr kurzes Dasein dem Eierlegen. Daher muss kein Bauer befürchten, dass ausgebüxte Insekten seine Felder heimsuchen.

Gründer Whitaker verbrachte nach dem Studium fünf Jahre als Tauchlehrer in Asien und Lateinamerika. "Da sah ich, wie der Regenwald vernichtet wird und wie Korallenriffe sterben", erinnert er sich. "Ich wollte etwas tun." Jetzt hilft er von London aus dabei, den weltweiten Raubbau zu stoppen: mit aufopferungsvoller Unterstützung der schwarzen Soldatenfliege.