„Ich kann mich nicht zurücklehnen und sagen: Es geht ganz gut“

Rostocks Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen

dpa

Während fast alle Städte und Landkreise mit hohen Infektionszahlen zu kämpfen haben, hat es Rostock geschafft, sich relativ niedrige Werte zu bewahren. Die Hansestadt ist einer der wenigen orangenen Flecken auf der Corona-Deutschlandkarte – die aktuelle 7-Tage-Inzidenz liegt dort unter der kritischen Grenze von 50. „Es ist eine Mischung aus immer hinterher sein, nie aufgeben und grundsätzlich das Gesundheitsamt ausbauen,“ sagt Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen im Podcast „Die Stunde Null“.

Früher als andere Regionen schloss er Rostocks Schulen, ordnete Homeoffice an, sagte Veranstaltungen ab. Der gebürtige Däne, der 2019 als Parteiloser ins Rostocker Rathaus einzog, hat keine Angst vor schnellen, unbürokratischen Entscheidungen. Dabei musste er immer wieder gegen Widerstand aus der Bundes- und Landespolitik ankämpfen.

Dem Corona-Management in Deutschland fehle es an Langzeitperspektiven, sagt Madsen im Gespräch mit Tanit Koch. Die Politik habe es versäumt, in den ruhigeren Sommermonaten für den Umgang mit der nächsten Welle vorzusorgen. „Ich kann mich ja nicht zurücklehnen und sagen, es geht ganz gut, sondern im Gegenteil. Dann müssen wir hier jeden Morgen aufstehen und noch einen Einsatz liefern.“

Es fehle der Blick nach vorne. „Man stellt sehr oft fest, dass kaum einer sich mit morgen befasst. Verwaltung verwaltet und das auch zu recht und schaut dabei sehr viel nach hinten.“ Der 7-Tage-Inzidenzwert? „Das ist ein Rückblick, der bringt uns gar nichts. Wir fahren quasi mit 300 km/h und schauen in den Rückspiegel.“

Vor seiner Zeit als Bürgermeister leitete der 48-Jährige eine Möbelhauskette und war langjähriger Präsident der Rostocker Industrie und Handelskammer. Sein unternehmerisches Denken kommt ihm nun in der Corona-Krise zugute: „Was muss ich heute tun, damit es morgen so wird, wie ich mir das vorstelle?“

Viele Politiker, sagt Madsen, hätten Angst voranzugehen und mutige Entscheidungen zu treffen. Ständig lauere der Vorwurf, man habe nicht alles getan. Nur: „Maximale Forderungen, maximale Schließungen, maximale Sicherheit“ könne keine dauerhafte Lösung sein. „Wir müssen einen Weg finden mit Corona. Wir reden nicht über zwei Wochen. Wir reden, wenn wir Glück haben, über zwei Monate oder vielleicht sogar noch viel länger.“

Anstelle eines rigorosen Lockdowns plädiert Madsen dafür, Kontakte effizienter zu verfolgen, mehr zu testen und Hygienekonzepte durchzuhalten. Dann könne man auch Kultureinrichtungen, Sportanlagen und Einzelhandel öffnen. „Rostock kann sehr gerne Pilot sein. Das Interessante ist doch: Auch während des Lockdowns hat sich die 7-Tage-Inzidenz von Rostock verdrei- oder vierfacht.“ Die Leute träfen sich trotzdem – nur sei die Kontaktverfolgung im Privatbereich wesentlich schwieriger.

Hören Sie in der neuen Folge von „Die Stunde Null“,

wie Rostocks Oberbürgermeister in sechs Stunden ein Testzentrum für 5000 Leute hochgzog,

was Deutschland von seinen dänischen Nachbarn lernen kann,

welche Fehler die Politik in der Krisenkommunikation gemacht hat.

Die Folge von „Die Stunde Null“ mit dem gesamten Interview hören Sie bei Audio Now, Apple oder Spotify oder via Google.