Flutwelle verwüstet Heimerzheim in Nordrhein-Westfalen

Hochwasser in Deutschland

Flutwelle verwüstet Heimerzheim in Nordrhein-Westfalen

Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland steht nach der Flutkatastrophe unter Schock. Ganze Ortschaften wurden evakuiert, so auch Heimerzheim. Von dort berichten die DW-Reporter Marie Sina und Oliver Pieper.

Hochwasser in Heimerzheim

Nur noch das Portemonnaie und das Hundefutter können Uwe und Robert Gödecke aus ihrem Haus retten, als eine Flutwelle sie um 3 Uhr morgens in Heimerzheim aus dem Tiefschlaf weckt. Binnen Minuten werden erst Hund Kuno und dann die beiden Männer durch ihr Küchenfenster in der Quellenstraße in ein Motorboot des Deutschen Roten Kreuzes gerettet: "Alles kam an uns vorbeigeschwommen: der Gartentisch, Strandkörbe, der Mülleimer” sagte Uwe Gödecke der DW. Zwei Ihrer Nachbarn konnten bisher noch nicht gefunden werden.

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"Ich bin erschüttert von den Berichten, die mich erreichen"

Durch Starkregen spielen sich über die Nacht zwischen Mittwoch und Donnerstag dramatische Szenen in Teilen von Nordrhein-Westfalen ab. Die Swist, ein normalerweise zwei Meter breiter Fluss, der sich durch Heimerzheim schlängelt, weitet sich auf 200 Meter aus und sickert in den frühen Morgenstunden in die Keller und Wohnzimmer dutzender Häuser. 6000 Anwohner in Heimerzheim und Umgebung müssen evakuiert werden. Viele von ihnen bangen nun um Ihr Hab und Gut.

Robert und Uwe Gödecke mit ihrem Eurasier Kuno: in letzer Sekunde gerettet

Manfred Lütz, seit 15 Jahren der stellvertretende Bürgermeister von Heimerzheim, hat Tränen in den Augen, wenn er von der vergangenen Nacht erzählt. 300 Eimer Wasser schöpfen er und seine Mithelfer aus der Gemeinde aus seinem Haus. "Dann kam die Swist und hat alles zunichte gemacht. Unser Haus steht jetzt komplett unter Wasser." Für seine Nachbarschaft hat er Hotelzimmer buchen müssen. "So ein Ereignis hat es seit den 60er Jahren hier nicht mehr gegeben.”

Noch unter Schock: Vizebürgermeister Manfred Lütz

Feuerwehr rund um die Uhr im Einsatz

Auch Torsten Clemens ist fassungslos. Der stellvertretende Leiter der Freiwilligen Feuerwehr Swisttal hat die ganze Nacht kein Auge zugemacht, war mit seinen 180 Mitarbeitern pausenlos im Einsatz. "Wie schnell das Wasser kam und vor allem die Menge, so etwas habe ich noch nie erlebt."

Im Dauereinsatz: die Freiwillige Feuerwehr mit Torsten Clemens (zweiter von rechts)

Noch am Vorabend versucht die Feuerwehr verzweifelt, mit Dutzenden von Pumpstationen das Hochwasser in den Griff zu bekommen. Um 22 Uhr ereilt sie eine leise Vorahnung, dass vielleicht alle Mühen umsonst sind. "Wir standen hier trockenen Fußes und keine zehn Minuten später zehn Zentimeter im Wasser."

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Flut im Ahrtal

Die Feuerwehr räumt im Windeseile fünf Straßenzüge, trotzdem harren einige Menschen in ihren Häusern aus. Als die Swist einige Stunden später über die Ufer tritt, heißt es auch für die Feuerwehr: Rette sich, wer kann. "Wir sahen das Wasser kommen und haben gesagt, es hat keinen Zweck, wir bekommen sonst unsere eigenen Fahrzeuge nicht mehr heraus. Man hat dann keine Chance mehr, irgendetwas zu retten, die Menschen konnten ja noch nicht einmal ihre eigenen Autos wegschaffen."

Ganze Straßen stehen im Heimerzheim unter Wasser, Autos sind überflutet

Danach evakuiert die Feuerwehr mit Unterstützung vom Technischen Hilfswerk THW und der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft DLRG mit Kleinbooten, obwohl diese oft gar nicht gegen die starke Strömung ankommen. Clemens und seine Helfer warten jetzt noch auf weitere Boote und wollen dann auch die letzten Heimerzheimer retten. "Dadurch, dass der Strom ausgefallen ist, haben wir entschieden, dass wir jetzt alle Personen evakuieren."

Manche Bewohner von Heimerzheim sind vom Wasser umschlossen - sie sollen evakuiert werden

Sporthalle als Auffangstation für die Flutopfer

Über den ganzen Umfang der Katastrophe hat Clemens noch keinen Überblick, genauso wenig wie Frank Braun, der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit vom Deutschen Roten Kreuz. Braun steht abgekämpft am Rande der kleinen Sporthalle von Heimerzheim, in der auf die Schnelle 180 Personen versorgt werden, die keine Bleibe gefunden haben.

Was hat sich bei ihm in der vergangenen Nacht im Kopf eingebrannt? "Es war sehr schwierig, alle Einsatzstellen zu erreichen, weil Straßen und sogar die Autobahnen überflutet waren", sagt Braun. Auf Tischen können sich die Gestrandeten mit trockenen Klamotten eindecken, welche die Nachbarn gespendet haben, auf Feldbetten ruhen sich die Menschen aus, Notfallseelsorger sprechen ihnen Mut zu.

Nachbarschaft in der Not: Die Evangelische Kirche hatte per Facebook zu Kleiderspenden aufgerufen

Heinz Schmitz hat mit seiner Frau bei Freunden Unterschlupf gefunden, er gehört mit seiner Frau zu den Alteingesessenen des Ortes. 40 Jahren ist es her, dass sie hier gebaut haben. Vor wenigen Jahren erst haben sie ihr Haus runderneuert, jetzt steht das Ehepaar vor den Trümmern seiner Existenz. "Das Haus steht bis zum Erdgeschoss voll. Das heißt, alles rausreißen und in einer Bauphase anderthalb Jahre trockenlegen."

Schmitz hat das Glück, eine Elementarversicherung zu besitzen. Doch wird wirklich alles entschädigt und wie lange wird das dauern? Ihm schießen die Tränen in die Augen, als er sagt: "Für die nächsten Monate und Jahre wird es für uns und unsere Nachbarn nicht möglich sein, in den Häusern zu leben."

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