Hunde würden es nicht kaufen

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ie speise jetzt Wild mit Kürbis, Amaranth und Preiselbeeren, kündigt die blonde junge Dame in der Lederjacke an, greift sich eine Gabel und futtert mit Kennermiene drauflos, direkt aus der frisch geöffneten Konservendose. „Ich esse Pute mit Naturreis und frischem Löwenzahn“, verkündet ihre Tischnachbarin. „Mahlzeit“, wünscht eine Dame mit Brille und elegantem Schal und macht sich über eine dritte Dose her. Was sich das Feinschmecker-Trio da in einem YouTube-Video der Firma Terra Canis auf der Zunge zergehen lässt, ist – Hundefutter. „In Lebensmittelqualität“, wie Firmengründerin Birgitta Ornau hinzuzufügen nie vergessen würde.

Denn das ist ihr Geschäftsmodell: Tiernahrung, die in Qualität und Anmutung dem Hundebesitzer das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt. Es gibt vietnamesischen Thunfisch mit Reis, Mango und Zitronengras oder Lamm mit Frühlingsgemüse und Kräutern. Gern genommen wird auch Rinderbraten mit Spreewaldgurken und Teltower Rübchen, die 400-Gramm-Dose für 2,89 Euro. Auch den Preis hat Hundefutter der Premiumklasse mit menschlicher Nahrung gemeinsam. Mindestens. Bei Aldi Süd gibt’s 500 Gramm Rinderhack schon für 2,59 Euro.

Ornaus Firma ist Teil eines wachsenden Milliardenmarkts, der das Geschäft mit den 13 Millionen Katzen- und acht Millionen Hundebesitzern Deutschlands macht. Die Tierfreunde gaben für die Deckung des Bedarfs ihrer Vierbeiner nach Industrieangaben allein im vergangenen Jahr 4,1 Milliarden Euro in den Läden und weitere 450 Millionen Euro im Onlinehandel aus. Größtes Segment: Tiernahrung mit gut 3,2 Milliarden Euro Geschäftsvolumen. Noch vor fünf Jahren waren es fast 150 Millionen Euro weniger. Wachsender Beliebtheit erfreuen sich derzeit insbesondere allerlei Luxuswaren für Heimtiere, vom strassbesetzten Halsband bis zum rosa Himmelbett.

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Georg Müller, Chef des Industrieverbands Heimtierbedarf (IVH), spricht von einer „Premisierung“ des Markts. Fürs Futter gilt dies allemal. „Das Premiumsegment bei Tiernahrung wächst“, sagt Tore Heinlein, Lebensmittelexperte beim Marktbeobachter GfK in Nürnberg. Mussten sich die meisten Vierbeiner noch vor einer Menschen-Generation ihre Existenz als Mäusefänger oder Wachhund verdienen, so haben ihre Besitzer sie heute in die Rolle des Partnerersatzes oder Statussymbols befördert.

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Dies bietet ein ideales Umfeld für Luxusfutter-Firmen wie Terra Canis, O’Canis oder Biopur. Es gibt eine ähnliche Spaltung des Markts wie bei Lebensmitteln für Herrchen und Frauen: Entweder ist das Beste gerade gut genug, oder es muss wenigstens billig sein. „Das Economy-Segment im mittleren Preisbereich schrumpft“, sagt GfK-Experte Heinlein. Zur Nobelnahrung für den Hund dagegen neigen selbst Menschen, die selbst knapsen müssen, weiß Ornau. „Unsere Kunden sind überwiegend keine reichen Leute, sondern Angehörige der Mittelschicht“, sagt sie. „Manche sagen, sie sparen sich hochwertige Nahrung für ihr Tier vom Munde ab, weil es ihnen wichtig ist, es artgerecht zu ernähren.“

Das Credo der Hersteller von Edelhappen für Vierbeiner klingt plausibel: „Wir versuchen, den Tieren wieder die Rohstoffqualität zu bieten, die sie in ihrer natürlichen Umgebung ebenfalls vorgefunden haben – frisches Fleisch und frische pflanzliche Nahrungsbestandteile“, erklärt Ornau, die seit zehn Jahren im Geschäft ist. Das Ergebnis sind teure Produkte wie „Lumpis Hundesnack“ für 6,99 Euro oder ein Gläschen „Goldene Paste mit Kurkuma und Kokosöl“ in Bio-Qualität für 8,80 Euro.

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Freilich gehen die Meinungen darüber auseinander, wie artgerecht und gesund derlei Nahrung für die Tiere wirklich ist. Denn lackierte Krallen und Häkelmützchen auf Hundeköpfen ändern nichts daran: Das Verdauungssystem von Canis lupus familiaris, dem Haushund, ist mit dem des Menschen nicht vergleichbar. Hunde brauchen laut Experten beispielsweise dreimal so viel Kalzium wie der Mensch, und das müssen sie mit der Nahrung aufnehmen. Andernfalls drohen morsche Knochen und ausfallende Zähne, mahnte Stiftung Warentest jüngst bei einer Hundefutter-Prüfung. Auch Linolsäure und Kupfer fehlten in vielen teuren Produkten. Deshalb verpassten sie 14 von 30 Alleinfuttersorten, darunter auch einem Produkt von Terra Canis, ein „mangelhaft“, während einige Billigprodukte von Kaufland, Rossmann oder Netto mit einer Top-Bewertung abschnitten.

Zugleich formen sich wunderliche Trends. Die sogenannte BARF-Bewegung gewinnt unter Hundehaltern zunehmend Anhänger. Das Kurzwort steht für „Bones and Raw Food“. Doch ausschließlich Knochen und rohes Fleisch an seit 15.000 Jahren domestizierte Haushunde zu verfüttern, weil es Ahnvater Wolf genauso gehalten habe, kann böse enden. Krankheitskeime könnten aufgenommen werden, wenden Wissenschaftler ein. „Bei der BARF-Fütterung wird meist zu viel Eiweiß gegeben“, warnt zudem Jürgen Zentek, der Chef des Instituts für Tierernährung der FU Berlin. „Andere Halter ernähren ihre Tiere vegan oder vegetarisch“, registriert der Fachmann verwundert einen offensichtlich wenig artgerechten Trend zur Versorgung der Fleischfresser. Tatsächlich schnitten zwei vegetarische Alleinfutter beim Test mit „mangelhaft“ ab. Begründung auch hier: Es fehlten wichtige Nährstoffe und Vitamine.

Wissenschaftler Zentek hat eine plausible Erklärung für das trendgetriebene Verhalten vieler Haustierfreunde: „Mancher Halter überträgt sehr stark eigene Vorstellungen auf Katze oder Hund.“ Die Vermenschlichung sei „nicht immer zum Besten der Tiere“. Doch junge Firmen wie Terra Canis setzen auf das Bedürfnis zahlungskräftiger Halter, ihre Schätze zu verwöhnen, und sei es im Falle vorliegender oder drohender Krankheit mit Heilkräutern und Bachblüten-Beutelchen. Zweiflern wie Zentek, der hier eine Projektionsfläche für allzu Menschliches am Werke sieht, hält Anbieterin Ornau entgegen: „Bachblüten-Therapie ist ein Wohlfühl-Ansatz, den man auch auf Tiere übertragen kann. Statt die Tiere mit Chemie vollzupumpen, kann man vieles zunächst auf pflanzlichem Wege versuchen.“

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Ornaus Erläuterungen klingen ziemlich esoterisch: Überlieferte Geschichten erzählten, dass sich die Menschen einst die Nutzung der Heilkräuter bei den Tieren abgeschaut und so ihre Wirkungen erlernt hätten. So ästen Gämsen nach Schlangenbissen instinktiv ein bestimmtes Kraut, welches das Gift hemmen könne. Auch Bären wüssten nach ihrem Winterschlaf, welche Kräuter sie stärkten und ihnen Kraft gäben. „Das Fressen von Kräutern bei bestimmten körperlichen Beschwerden liegt also in der Natur der Tiere.“ Die Anstrengung hat ihren Preis. Die „Kräuterhelden“-Mischung für Hunde kostet immerhin 9,89 Euro das Beutelchen.

Mit solchen Artikeln im Superpremium-Bereich setzen sich Newcomer in ihrer wachsenden Marktnische von den Großen der Branche ab. Denn den Löwenanteil des Massenmarkts haben Konzerne wie Mars, Nestlé oder Colgate Palmolive (Marke „Hills“) längst unter sich aufgeteilt. Allein Marktführer Nestlé Purina schöpft unter Handelsnamen wie Gourmet, Felix oder Purina in Deutschland gut 27 Prozent der Branchenumsätze ab. Mars Petcare – eine Schwesterfirma des Schokoriegel-Produzenten – kommt mit Marken wie Whiskas, Sheba, Pedigree oder Kitekat fast ebenso weit.

Ornau möchte die Mächtigen der Branche indes am liebsten als Teil der Entsorgungsindustrie gewertet wissen, weil sie sogenannte Schlachtnebenprodukte verarbeiten. Nur rund 60 Prozent des Tierkörpers wird für die menschliche Ernährung verwertet, der große Rest müsste entsorgt werden – wenn nicht die Tierfutterindustrie Teile wie Herz und Lunge, Kutteln, Euter oder Niere als Rohstoff fürs Futter nutzte. Aus ernährungsphysiologischer Sicht sei dagegen nichts einzuwenden, sagt Veterinär-Professor Zentek: „Der größte Teil der Abfälle eignet sich für die Ernährung von Hunden und Katzen.“ Es gehe immer nur darum, die Nährstoff-Komponenten so zusammenzustellen, dass diese dem Bedarf entsprächen.

Das sieht Unternehmerin Ornau naturgemäß anders. Auch ihr Hersteller, eine Münchner Metzgerei, besorge sich Rohstoffe auf Schlachthöfen, aber es werde ausschließlich Fleisch ausgewählt, das sich auch für den menschlichen Verzehr eigne – eben „in Lebensmittelqualität“. Kritiker stoßen sich genau daran. „Natürlich will jeder Tierhalter nur das Beste für sein Tier, aber man muss sich schon fragen, ob hier die Relationen noch stimmen“, sagt Bernhard Walter, Referent für Ernährungssicherheit bei Brot für die Welt, mit Blick auf die Hochpreis-Strategie der Edelfutter-Erzeuger. Schließlich müssten mehr als eine Milliarde Menschen mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen. Außerdem würden durch Tierfutter in Lebensmittelqualität noch mehr Tiere geschlachtet – mit der Folge, dass auch mehr Futter fürs Schlachtvieh auf Flächen erzeugt werden müsse, die dann für die menschliche Ernährung nicht mehr zur Verfügung stünden. Ornau gibt sich unbeeindruckt. „Mit minderwertigem Entsorgungsmaterial im Hunde- oder Katzennapf wird das Problem des Hungers in der Welt nicht gelöst“, sagt sie. Vielmehr drohten dann bei Hund und Katz Beschwerden und Erkrankungen und somit Tierarzt-Kosten.

Wie auch immer Wissenschaft und Ethik Tierfutter bewerten, das auch dem Menschen mundet – wirtschaftlich geht das Konzept auf. Der Umsatz von Terra Canis werde dieses Jahr 17 Millionen Euro erreichen, und das operative Ergebnis liege im zweistelligen Prozentbereich, sagt die Firmengründerin. Und mittelfristig sei eine Umsatzverdopplung „absolut vorstellbar“.