Biodiversität: Wie können wir Südafrikas essbare Insekten schützen?

Unter einem großen Mangobaum in Mopye, einem Dorf im Nordosten Südafrikas, knabbert Martin Boima knusprige getrocknete Termiten. "Makeke" werden Insekten hier in der Gegend genannt. Schon als kleiner Junge hat er sie gegessen. Mit langen Grashalmen lockt Boima sie aus ihren Hügeln, trocknet oder brät sie.

Heute verteilt er selbstgemachte Proteinriegel aus Termiten - Geschmacksrichtung Käse oder Schokolade. Boima hat eine Firma gegründet und sich auf Lebensmittel aus Insekten spezialisiert. Nun will er wissen, wie die Menschen die Riegel finden.

An diesem Morgen ist Bronwyn Egan an seiner Seite. Die Biologin arbeitet an der South African University in Limpopo. Sie teilt Boimas Faszination für essbare Insekten: aus kulinarischen, aber auch aus wissenschaftlichen Gründen. In den vergangenen zwei Jahren hat sie eng mit ihm und anderen Einheimischen zusammengearbeitet. Vieles hat sie dabei über die nahrhaften Krabbeltiere gelernt und selbst auch Insekten für ihre Forschung gesammelt.

Dramatisches Insektensterben weltweit

Laut Schätzungen könnten in den kommenden Jahrzehnten bis zu 40 Prozent aller Insektenarten aussterben. Vor allem durch den Verlust ihres Lebensraums. Immer mehr landwirtschaftliche Nutzflächen werden geschaffen, Pestizide eingesetzt und wachsende Städte versiegeln immer mehr Natur. Um möglichst viele Insektenarten zu erhalten, will Egan sie wissenschaftlich erfassen.

Hier geht es Termiten in ihrem Hügel an den Kragen

Die Biologin fürchtet, dass es in Südafrika besonders schwierig ist, das Ausmaß des Biodiversitätsverlustes zu bestimmen. Denn bisher gibt es nur eine unzureichende Klassifizierung von Insekten, auch Taxonomie genannt. "Wir haben nicht einmal Namen für all die Wesen, die uns täglich verloren gehen", sagt die Wissenschaftlerin. Auch weltweit ist bislang nur ein Bruchteil aller Arten bestimmt und genetisch erfasst.

Wissenschaft profitiert von altem Wissen

Egan hofft, dass ihr Projekt zum Schutz von Insekten zu diesem Vorhaben beiträgt, zumal sie eine besonders wertvolle Nahrungsquelle für die Einheimischen darstellen. Insekten zu fangen, zu kochen und zu essen ist gang und gäbe in vielen Teilen des ländlichen Südafrikas, auch in der üppigen Bergregion Bolobedu South in Limpopo, wo Boima lebt. Er liebt Insekten wegen ihres erdigen und nussigen Geschmacks. "Egal, wie man sie zubereitet, sie sind immer lecker."

Wurmeintopf ist ein traditionelles - und nahrhaftes - Gericht im Dorf Mopane

Boima und andere Einheimische beschreiben der Biologin die essbaren Insekten ganz genau: ihre Namen, den Lebensraum und ihre Verhaltensweisen. So wollen sie ihren Beitrag zum Schutz der Tiere und zum Erhalt ihres traditionellen Wissens leisten.

Heute zeigt Martin Boima, wie er auf den Feldern neben dem Dorf sein Abendbrot fängt: Er schüttelt die Blätter der Pflanzen. Heuschrecken - oder "ditšie" - fallen herunter. Man muss nur die Hände aufhalten.

Barcodes für Erhalt der Biodiversität

Ein Teil von Boimas Beute kommt in eine Plastiktüte und ist für Egans Labor bestimmt. Dort konserviert die Wissenschaftlerin die Insekten und erfasst alle Informationen, um sie identifizieren zu können. Einige der konservierten Exemplare schickt sie weiter an Barbara van Asch, Hochschuldozentin in der Abteilung für Genetik an der Universität Stellenbosch in der Nähe von Kapstadt.

Diese gesammelten Grashüpfer stellt Martin Boima der Wissenschaft zur Verfügung

Van Asch sequenziert die DNA der Insekten. Anschließend erstellt sie aus einem DNA-Abschnitt einen genetischen Barcode - vergleichbar mit denen, die man aus dem Supermarkt kennt. Der Insekten-Barcode wird mit Daten, wie der Gattung und dem wissenschaftlichen Namen, in den International Barcode of Life eingepflegt. In dieser globalen Datenbank des Lebens erfassen Wissenschaftler aus der ganzen Welt genetische Informationen zu verschiedenen Arten. Langfristig soll das dem Erhalt der Artenvielfalt auf dem Planeten dienen.

Bislang hat van Asch aus den Limpopo-Proben neun "Ethno-Spezies" ermittelt. Das sind Tiergruppen, die zwar die Einheimischen kennen, die aber bisher in keinem westlichen, wissenschaftlichen Klassifizierungssystem auftauchen.

Diese Art von Arbeit wurde bereits mit anderen essbaren Insekten in asiatischen Ländern durchgeführt. Aber das Wissen aus Afrika wurde von der Wissenschaft oft übersehen, erklärt van Asch. "Es ist, als würden wir es zum Leben erwecken", sagt sie. "Aber nur für uns, für die Menschen hier existieren die Insekten ja längst."

Umweltzerstörung bedroht Insekten

Boima steht auf dem Feld, auf dem er die Heuschrecken gefangen hat und zeigt auf die andere Seite. Dort, in dem Tal, gab es früher viele Insekten. Jetzt gibt es kaum noch welche, erzählt er. Viele Pflanzen seien braun geworden, berichtet Boima. Er vermutet, dass der Landbesitzer Pestizide versprüht hat, um das Land später zu bebauen oder Landwirtschaft zu betreiben.

Die Wissenschaftlerin Bronwyn Egan will das traditionelle Wissen über Insekten für Forschung und Artenschutz nutzen

Die Wissenschaftlerinnen Egan und van Asch sehen in ihrer Arbeit einen wichtigen ersten Schritt zum Erhalt der Arten. "Wenn ein Wesen keinen Namen hat, wird es niemanden geben, der schützend die Hand darüber hält", sagt Egan. Die beiden hoffen, dass ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu beitragen, Forscher und Umweltschützer zu mobilisieren, die Arten weiter zu erforschen, aber auch zu schützen.

Wirtschaftsfaktor Insekt

Ob in Lebensmitteln oder Tierfutter, Insekten sind in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden. So ist Grillenprotein bei Sportlern in den USA und Europa beliebt, in Südafrika gibt es Insekteneis zu kaufen. In dieser Entwicklung sehen die beiden Wissenschaftlerinnen enormes Potenzial.

"Insekten verbrauchen selbst nur sehr wenig Ressourcen im Vergleich zu dem Nährwert, den sie liefern", so van Asch. Vor drei Jahren haben niederländische Forscher in einer Studie belegt, wie viel nachhaltiger der Verzehr von Insekten gegenüber dem Fleischkonsum ist: Sie verbrauchen weniger Wasser und Fläche, produzieren dabei viel weniger Treibhausgase als Schlachttiere.

Van Asch will nun auch Gelder für mehrere Pilotprojekte beschaffen und testen, wie Familien in Südafrika kleine Insektenfarmen anlegen können. Egans Feldforschung soll dabei helfen herauszufinden, welche Insektenarten dafür geeignet sein könnten.

Potenzial von Insekten noch nicht ausgeschöpft

Eine Studie der Universität Bonn aus diesem Jahr kommt zu dem Ergebnis, dass die Kultivierung von Insekten zwar großes Potenzial hat. Es sei aber noch mehr Forschung über die Arten nötig, die in Frage kommen, zudem brauche es mehr Investitionen und bessere politische Rahmenbedingungen.

Egan ist überzeugt, dass es helfen kann, das traditionelle Wissen aus Gegenden wie Limpopo mit den Daten der Wissenschaftler zusammenzuführen. So könne man herausfinden, welche Insektenarten kommerziell genutzt werden könnten. Soldatentermiten, die das ganze Jahr über vorkommen, wären zum Beispiel eine bessere Wahl als die nur in bestimmten Jahreszeiten fliegenden Termiten.

Martin Boima will schon bald mit dem Verkauf seiner Termiten-Proteinriegel beginnen. Sein Traum ist, bald auch eigene Mitarbeiter zu beschäftigen. Und er will den Menschen das traditionelle Wissen weitergeben. "Wir müssen verstehen, dass diese Insekten sehr wichtig für unsere Kultur sind, dass wir nur durch sie leben können", sagt er. "Also müssen wir uns um sie kümmern."

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Insekten als Nahrung der Zukunft

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