Adoption älterer Hunde: Man muss mit allem rechnen, besonders mit Glück

22.11.2020, 09:01 UhrAdoption älterer Hunde: Man muss mit allem rechnen, besonders mit Glück

Viele ältere Hunde hören schlecht und sehen wenig. Sie sind bedürftig wie Babys und haben doch schon viel erlebt. Manchmal werden sie wieder zum Teenager, wild und hungrig auf das Leben, und vergessen für einen Moment die Jahre, die ihnen in den Knochen stecken.

Von Cornelia Ganitta

Mit einem Tuch säubert Regina Horch ihrem Schützling liebevoll die Schnauze. "Das Sabbern hat in den letzten Tagen zugenommen", sagt sie an ihren Partner gewandt. Lotta lässt die Prozedur geduldig über sich ergehen. Weniger geduldig ist die weiße, braun gefleckte English-Setter-Hündin, wenn es um Streicheleinheiten geht: In dieser Hinsicht ist jeder Mensch, Besucher eingeschlossen, ein potenzieller Dienstleister für sie. Auf Zurufe allerdings reagiert Lotta nicht, die Ohren machen nicht mehr ganz so mit. Seit sechs Jahren ist die Vierzehnjährige Mitglied der Familie Horch. In Spanien wurde sie zur Jagd genutzt und kam, nachdem sie nicht mehr hundert Prozent einsatzbereit war, in ein Tierheim.

Trotz ihres Alters, ihrer knochigen Statur und ihrer trüben Augen zeigt sich die Hündin temperamentvoll. "Drinnen ist sie sehr ruhig", erzählt Regina Horch. "Doch kaum zur Terrassentür heraus, donnert sie durch den Garten und mit voller Wucht zurück ins Haus. Wir denken dann oft, dass sie die Kurve nicht kriegt." Zustimmung gibt es von draußen in Form von Gegacker, das seinesgleichen sucht. "Das sind unsere Hühner", sagt Regina Horch und lacht. "Die laufen wild aufgeplustert durch den Garten, immer dann, wenn die Hunde im Spiel sind oder sie ein Ei gelegt haben." Auf die Gesellschaft von Artgenossen braucht Lotta nicht zu verzichten. Zwei weitere Hunde dürfen neben dem Setter ihren Lebensabend bei den Horchs verbringen.

Raus aus dem staatlich geführten Auffanglager

Erst im Juni hat der Hundehaushalt im nahen Frechen Zuwachs bekommen. Coronabedingt allerdings später als ursprünglich geplant. Im komfortablen, klimatisierten Transporter wurde Gioi, Italienisch für Freude, mit rund fünfzig anderen Vierbeinern von Sardinien nach Deutschland gebracht und in die Hände der Kölner Familie gegeben. Zuvor fristete der dreizehnjährige Rüde mit den Barthaaren sein Dasein in einem staatlich geführten Auffanglager bei Olbia, aus dem ihn eine italienische Tierschützerin herausholte. Der Segugio-Rüde torkelt zuweilen, das fällt auf. Was zunächst lustig erscheint, hat einen traurigen Hintergrund. "Gioi leidet an Arthrose und hat deshalb manchmal Probleme mit der Koordination", sagt Klaus Horch, der als Rentner tagsüber über die Hunde wacht. Die heraushängende Zunge zeugt von einer zuvor nicht artgerechten Haltung, die vielen Hunden auf dem italienischen Eiland zuteilwird. "Er hat keine Zähne mehr im Unterkiefer", so Horch. Dies wiederum sei eine Folge von Mangelernährung: Hunde im ökonomisch armen Süditalien würden oft mit Essensresten, Pasta oder Brot gefüttert, Ursache für den meist schlechten Zustand der Zähne.

Mit den Horchs hat Gioi das großes Los gezogen – und umgekehrt. "Wir hatten ein Riesenglück mit ihm", erzählt die Hausherrin. "Er ist sozial, nicht so traumatisiert wie Lotta und liebt sein Körbchen ebenso wie seine beiden Artgenossen." An der Wand im Wohnzimmer, gleich neben Aufnahmen der Kinder und Enkel, hängen Fotos eines weiteren Hundes. "Das ist Daria", erzählt Regina Horch ein wenig wehmütig. "In den Monaten bevor Gioi kam, hatten wir einen dritten Hund aufgenommen. Daria sollte nur kurze Zeit bei uns Urlaub machen." Der English Setter, der äußerlich Lotta sehr glich, sei wiederholt an Krebs erkrankt und nur wenige Wochen später an einem Lungentumor gestorben. "Daria wurde zwölf Jahre alt. Wir vermissten sie so sehr, dass wir uns gleich nach einem neuen Hund umsahen", so die 63-Jährige. "Wir haben ein Haus, einen Garten, jede Menge Zeit – und ein Faible für alte Hunde", sagt sie. "Sie sind so weise und haben, im Gegensatz zu einem jungen Hund, bereits einen gefestigten Charakter."

Knochenschonende Einstiegshilfe

Auf Facebook schließlich wurde das Ehepaar fündig: Der Tierschutzverein Streunerherzen suchte ein neues Zuhause für einen sardischen Hund. "Ein Blick auf das Foto und wir waren beide hin und weg. Außerdem hatte Gioi exakt die gleiche Geschichte wie Lucca", erklärt Regina Horch ihre spontane Zuneigung. Lucca wurde vor zweieinhalb Jahren adoptiert und ist der dritte Hund im Bunde. Wie Gioi hat der Pointermix fast sein ganzes Leben in einem Canile bei Rom verbracht, das rund 800 Hunde beherbergt. Der Rüde ist zurückhaltend und wirkt etwas schüchtern, seine Angst vor großen Männern hat sich zum Glück mittlerweile gelegt. Gelegentlich läuft Lucca auch heute noch im Kreis, eine Gewohnheit aus alten Zwingertagen, in denen es keinen Auslauf gab. Hier bei den Horchs jedoch hat der alte Herr mit der silbrig weißen Schnauze seinen Freiraum gefunden. Alle drei Hunde scheinen sich prächtig zu verstehen. Während Lotta, die es gewohnt war, ungefragt manch Ehrenrunde zu drehen, an der Leine geht, laufen die anderen frei nebenher. "Sie sind hundert Prozent abrufbar und haben kein Interesse daran, sich mit anderen Hunden zu messen", sagt Regina Horch.

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Aber auch ein "angebrachtes Nein" sei durchaus nötig manchmal. Zweimal täglich Gassigehen, jeweils mindestens eine Dreiviertelstunde, ist zum Ritual geworden. Hierfür werden die Hunde über eine Rampe geleitet, die es den Tieren erlaubt, knochenschonend ihren Platz im Kombi einzunehmen, der sie in den nahegelegenen Wald bringt. Für Lotta wurde eigens ein GPS-Ortungsgerät angeschafft, mit dessen Hilfe die Horchs eines Tages feststellten, dass ihre Hündin in zweieinhalb Stunden fast sechzehn Kilometer gerannt war – "oft nur fünfzig Meter von uns entfernt", so Regina Horch. "Sobald Vögel im Spiel waren, schaltete sie ihre ohnehin nicht mehr ganz fitten Ohren auf Durchzug. Nichts konnte sie vom Jagen abhalten". Ein Grund, weshalb die Setterhündin nun wieder an die Leine muss. Jetzt läuft sie im Wohnzimmer der Horchs hin und her, unschlüssig, ob sie sich in einem der Körbchen niederlassen soll. Alle drei Hunde haben ihre eigenen Ruheplätze, sowohl im Wohnzimmer als im Schlafzimmer. Und alle drei erhalten biologisch artgerechtes Rohfutter, weil sie es gut vertragen. Nicht nur deshalb ist das Leben mit einem Seniorhund durchaus kostspielig: Pro Hund werden rund 50 Euro für das Futter im Monat fällig, hinzu kommen die Tierarztbesuche, die bei einer betagteren Fellnase naturgemäß häufiger nötig sind als bei einem jungen Hund. Immerhin konnten die Medikamente aufgrund der guten Haltung auf ein Minimum reduziert werden.

Ausführliche Vorbereitung vor der Adoption

Vereinen wie dem in Brühl ansässigen Streunerherzen eV. ist es zu verdanken, dass es auch für graue Schnauzen noch Hoffnung auf ein Happy End gibt. Etwa dreihundertfünfzig Hunde pro Jahr finden über die Streunerherzen ein neues Zuhause, knapp zwanzig Prozent davon sind alte Hunde. Bei einem Seniorhund wisse man nie, was kommt, sagt Stefanie Richter vom Verein. Von jetzt auf gleich könnte ein Tumor oder Arthrose diagnostiziert werden, oft mit erheblichen Folgekosten. Die größte Hemmschwelle für Menschen, sich eines alten Vierbeiners anzunehmen, sei die Frage: Wie viel Zeit bleibt ihm noch? "Mit einem alten Hund nimmt man immer ein Überraschungsei", weiß Stefanie Richter aus Erfahrung. Fünf Senioren zählte ihr Rudel – bis die älteste Fellnase mit fünfzehn Jahren an Krebs verstarb. "Die Untersuchungen und Behandlungen der letzten Monate haben mehr als 1300 Euro verschlungen", erzählt Richter. Ihre Freizeit widmet die Hundenärrin, die im Hauptberuf das Büro einer Unternehmensberatung leitet, zu einem Großteil den Streunerherzen. Seit 2013 ist der Verein in der bundesweiten Vermittlung aktiv. Hundertachtzig Mitglieder zählt er heute. Viele der vermittelten Hunde stammen aus dem sardischen Partnerheim L.I.D.A., das auf einem Gelände nahe des Flughafens bei Olbia Zuflucht für 850 Hunde bietet.Adoption älterer Hunde: Man muss mit allem rechnen, besonders mit Glück

Ein Qualitätsmerkmal, das dem Verein bei jeder Adoption am Herzen liegt, ist die genaue Vorbereitung. Zunächst erfolgt ein langes Telefonat, in dem es um die Rasse und deren Bedürfnisse geht. In einem Fragebogen werden die äußeren Lebensumstände abgeklopft. Gibt es ein Haus, einen Garten, einen Lift? Bei einem Vorbesuch wird noch einmal auf die persönliche Motivation, sich für einen Seniorhund zu entscheiden, eingegangen. Erst dann erfolgt die Adoption, die mit einem Kontrollbesuch im Nachgang beendet wird. Ein Prozess, der viele glücklich macht, Menschen wie Hunde. "Keine Hundeschule mehr und die tägliche Freude darüber, dass es den Hunden gut geht, wenn man morgens aufwacht und sie schwanzwedelnd in der Tür stehen", fasst Klaus Horch dieses Glück zusammen. Eine geringere Lebenserwartung nimmt das Paar im Wissen, einem Tier nach einem schlechten Leben ein paar geborgene Jahre zu geben, gern in Kauf. "Wenn meine Frau nicht noch berufstätig wäre, hätten wir vier Hunde. Weil wir jeder zwei Arme haben", sagt er und streicht Gioi zärtlich über den Kopf.

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